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Aktive Gewaltfreiheit

Wie lässt sich angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine eine Haltung des radikalen Gewaltverzichts begründen? Und was bedeutet die sicherheitspolitische „Zeitenwende“ für die evangelische ­Friedensethik? Hierüber spricht die Vorsitzende von „Church and Peace“, Antje Heider-Rottwilm, Pfarrerin im Ruhestand, im Interview mit Tilman A. Fischer. Das ökumenische Netzwerk verbindet ­Friedenskirchen, christliche Gemeinschaften, Kirchengemeinden, Einzelmitglieder sowie Friedensprojekte aus ganz Europa. Die frühere Leiterin der Europa-Abteilung der EKD gehört dem Laurentius­konvent an und war Mitglied im Zentralausschuss der Konferenz ­Europäischer Kirchen.

Foto: Alice Donovan Rouse/unsplash

Frau Heider-Rottwilm, seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist von einer sicherheitspolitischen „Zeitenwende“ die Rede. Bedeutet diese auch eine „Zeitenwende“ für die Friedenskirchen?

Sie bedeutet insofern eine ­„Zeitenwende“, als wir alle heftig herausgefordert sind, noch viel ­klarer die Ursachen und Folgen eines Krieges zu analysieren, Konsequenzen zu ziehen und Alternativen deutlich zu machen.

Welche wären das?

Zunächst: Der brutale russische Überfall ist durch nichts zu recht­fertigen! Und es wäre erbarmungslos und zynisch, den Menschen in der Ukraine vorzuschreiben, wie sie sich zu verteidigen haben. Aber es geht um eine tiefgreifende und selbst­kritische Analyse der Ursachen des Konfliktes. Auch dieser Krieg macht deutlich, dass die global so viele Menschenleben kostende ­Ver­kettung von Machtinteressen, ­Ausbeutung, Bedrohungsszenarien, Gewalteskalation et cetera analysiert werden muss. „Zeitenwende“ bedeutet für mich, endlich ernst zu ­nehmen, dass wir an den Ursachen arbeiten müssen, dass es um globale Gerechtigkeit und Menschenrechte geht. Es geht darum, Rüstungs­kontrollvereinbarungen zu stärken und endlich konsequent alle anderen Instrumentarien auszubauen statt Aufrüstung und militärische Kompetenz.

Was bedeutet das konkret?

Die Gefahr gewaltförmiger Konflikte ist mit allen zur Verfügung ­stehenden Mitteln zu verhindern, heiße Konfliktsituationen sind zu deeskalieren, Menschen zum Widerstand zu befähigen, sowohl gegen den Krieg wie auch in einer Niederlage im Widerstand gegen eine ­Besatzung. Und nach einem Krieg geht es um Traumabearbeitung, ­Heilung von Erinnerungen, Wahrheitsfindung, weiteren gewaltfreien Einsatz für Gerechtigkeit und ­Freiheit als Voraussetzung zur ­Ver­söhnung. All das muss gelernt werden, darauf müssen wir vor­bereitet werden. Dafür muss mehr denn je in Menschen und Kompetenzen investiert werden, mindestens so viel wie bisher in Waffen! Das ­erfordert ein radikales Umdenken statt einer weiter eskalierenden Rüstungsspirale. 

Wie haben Sie vor diesem Hintergrund die kirchlichen Reaktionen auf den Kriegsausbruch wahr­genommen?

Die Äußerungen von Kirchen­vertreter*innen nach dem 24. Februar fand ich in dem, was sie an ­Kontexten beschrieben und an Warnungen ausgesprochen haben, ­zumeist überzeugend. Und trotzdem frage ich mich angesichts der vorherrschenden Argumentation, „wir können niemandem das Recht auf Selbstverteidigung absprechen, ­deshalb unterstützen wir Waffen­lieferungen“: Warum müssen Kirchen die friedensethische Legitimation für das liefern, was die Politik macht? Mir sind die Kirchen da ­weitgehend zu konform mit dem, was gerade offizielle Politik ist.

Aber lässt sich die kirchliche Befürwortung von Waffenlieferungen an die Ukraine nur politisch als Ausdruck von Konformität erklären oder nicht auch theologisch herleiten? Bewegt sich die Unterstützung der Ukraine bei der Wahrnehmung ihres Selbstverteidigungsrechts nicht im Bereich der „Ethik rechtserhaltender Gewalt“, wie sie die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 beschreibt?

Sie haben recht und wir landen dann natürlich bei der Frage: Welchen Stellenwert hat die Kund­gebung der EKD-Synode 2019? Ist sie eine Neuauflage dessen, was in der Friedensdenkschrift von 2007 steht, oder ist sie eine Weiterentwicklung? Nach den intensiven Debatten von 2007 bis 2019 haben wir als Frieden­engagierte die Kundgebung so ­verstanden, dass der Vorrang für ­Gewaltfreiheit das ist, wofür wir als Kirchen stehen: Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen (Matthäus 5,9). Oder: Leistet dem Bösen nicht mit gleichen Mitteln Widerstand. Vielmehr, wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, halte ihm auch die andere Backe hin (Matthäus 5,38.39). ­Deshalb ist es uns als Kirchen vom Evangelium her geboten, alles zu tun, damit der Vorrang für Gewaltfreiheit auch politisch umgesetzt wird. Und damit sind wir eine Zumutung für politisch Verantwortliche!

Würde dies aber letztlich nicht eine Revision des Konzeptes des „gerechten Friedens“ bedeuten?

Es geht nicht um eine Revision. Es muss aber weiterdiskutiert werden. Wir brauchen einen ernst­zunehmenden Diskurs um die theologische Begründung und um die ethische Relevanz der Gewalt­freiheit. Der friedensethische Diskurs ist immer nur bis zu einer bestimmten Stelle geführt worden, nämlich bis zu dem Recht auf militärische ­Verteidigung beziehungsweise der Responsibility to Protect, also der Rechtfertigung eines militärischen Eingreifens im Falle von Menschenrechtsverletzungen. Aber es geht doch um die Alternativen! 

Seit 2018 etwa wird das innerhalb der Badischen Landeskirche erarbeitete Szenario „Sicherheit neu denken“ diskutiert und weiterent­wickelt. Es beschreibt konkrete Handlungsmöglichkeiten auf dem Weg von einer militärischen zu einer zivilen Sicherheitspolitik. Von hier aus können Visionen für die Zukunft entwickelt werden. Demgegenüber gibt es aber immer noch eine zu große Zurückhaltung.

Sehen Sie für eine solche Weiterentwicklung Anknüpfungspunkte in der gegenwärtigen friedensethischen Debatte?

Es gibt ja Kriterien – auch im ­ökumenischen Konzept des „gerechten Friedens“ und selbst in dem des „gerechten Krieges“ – die einschränken, wann eine militärische Reaktion oder Aktion überhaupt sinnvoll und verantwortbar ist, etwa an­gesichts der Opfer, die ein Einsatz fordert. Man muss sich doch der Frage stellen, was wirklich Solidarität bedeutet in einem Krieg wie ­diesem und ob Solidarität nicht auch bedeuten kann, an bestimmten Punkten andere Aspekte und eine andere – an Gewaltfreiheit orientierte – Kompetenz ins Spiel zu ­bringen. 

Welche Argumente kann die christliche Friedensbewegung hierfür ins Spiel bringen?

Die unleugbar klare Einladung Jesu auf den Weg der aktiven ­Gewaltfreiheit – und die Erfahrungen, die Menschen immer wieder in ­Situationen des Krieges und der ­Besatzung gemacht haben. Wo mit Methoden wie gewaltfreiem Widerstand und zivilem Ungehorsam auf die angreifende Gewalt geantwortet wurde, führte die Hälfte zu nach­haltigem Frieden, doppelt so oft wie bei militärischer Verteidigung, so ein Ergebnis der Friedensforschung.

Was bedeutet Nachhaltigkeit in diesem Kontext?

Militärische Aktionen oder Reaktionen finden auf einem hohen ­Aggressionslevel statt, weil sie massiv zerstörerisch sind – auch Verteidigung ist zerstörerisch. Sie finden auf einem hohen Kompetenzniveau statt, weil sie eine technisch ­hochversierte Kriegsmaschinerie ­er­fordern. Und sie liegen auf einem ­finanziell irrsinnig hohen Niveau. Demgegenüber beziehen gewaltfreie Formen des Widerstandes oder der Intervention alle Menschen ein – ­natürlich auch Spezialist*innen, aber jeder Mensch hat eine wichtige Rolle. 

Und wenn Menschen sich als würdig und kompetent erlebt haben, die Deeskalation oder das Ende eines Konfliktes mit bewirkt zu haben, haben sie die Kraft, eine Veränderung auch langfristig mitzutragen. Zudem verbrennen gewaltfreie ­Aktionen ­weniger Geld als Waffen – Geld, das dringend sinnvoller ­gebraucht wird. Es steht uns Kirchen gut an, diese Perspektive offen zu halten und alles dafür Mögliche zu tun!­

Church and Peace

Das ökumenische friedenskirchliche Netzwerk Church and Peace bringt christliche Gemeinschaften, Kirchengemeinden, Ausbildungsstätten, ­Friedensorganisationen und Friedensdienste aus ganz Europa zusammen. Es will ein Ort der Begegnung und ein Forum für Dialog sein. Zurzeit ­gehören mehr als 50 Gemeinschaften, Gemeinden, Ausbildungsstätten, Friedensdienste, Friedensorganisationen und -komitees sowie um die 60 Personen aus unterschiedlichen Traditionen aus 14 europäischen ­Ländern zu Church and Peace.

www.church-and-peace.org

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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