Von Ulrich van der Heyden
Im Jahre 1995 wurde die Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte (BGMG) in dem altwürdigen Backsteinbau in Berlin-Friedrichshain gegründet. Diese sollte keineswegs eine nostalgische Einrichtung sein, sondern eher das Gegenteil. Sie blickt heute auf mehr als zweieinhalb Jahrzehnte recht erfolgreicher Tätigkeit zurück.
Eines ihrer wichtigsten Anliegen ist die Unterstützung der interdisziplinären Forschungen zur Geschichte der christlichen Missionsgesellschaften in den Ländern des heute sogenannten globalen Südens. Sie will die interdisziplinäre Nutzung missionarischer Quellen für die verschiedensten sozialgeschichtlichen Fragestellungen zur Vergangenheit und zum Teil auch Gegenwart überseeischer Völker und Kulturen fördern. Das reicht von der außereuropäischen Christentumsgeschichte, Ethnologie sowie Kolonial- bis hin zur Medizingeschichte. Das Archiv mit einer wertvollen Sammlung handschriftlicher Quellen befindet sich im Kirchlichen Archivzentrum in Berlin-Kreuzberg.
Damit wurde die „traditionelle“ Missionsgeschichtsschreibung „modernisiert“ und fand Anschluss an den Wissensstand globalgeschichtlicher Forschungen weltweit. Die Zusammenarbeit mit Kollegen aus den ehemaligen Missionsgebieten gehört von Anfang an zu den Selbstverständlichkeiten.
Die Gründer der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte ließen sich nicht zuletzt von der Erkenntnis leiten, dass die in Übersee tätigen Missionare diejenigen waren, wie es damals in einer Zeitschrift heißt, die „wie keine anderen Europäer, schon durch ihre gründliche Sprachkenntnis befähigt seien, die alten Traditionen zu sammeln und die Sitten und religiösen Anschauungen zu erkunden. Sie seien die eifrigsten Sammler und ihre Berichte dürften fast durchweg den Wert eines viel authentischeren Quellenmaterials beanspruchen, als die der gelehrten Reisenden, denen, selbst wenn sie einige Sprachkenntnisse besitzen, die lange vertraute Bekanntschaft mit den betreffenden Völkern fehlt“. Dies ist umso wichtiger, als dass in Afrika kaum Ethnien missioniert wurden, die über eine Schriftsprache verfügten.
Historische Schätze
Dass in den Archiven und Bibliotheken der deutschen Missionsgesellschaften noch ungehobene historische Schätze schlummern, wurde schon um die Mitte der 1980er Jahre publik gemacht. Aber die Missionsgesellschaften schienen kein besonderes Interesse zu haben, sie der Forschung zur Verfügung zu stellen. Nach und nach wurde auch in den ehemaligen Missionsgebieten bekannt, dass in Deutschland historische Quellen zur Geschichte der missionierten Völkerschaften lagern.
So gingen Historiker aus Deutschland und solche, die aus den früheren Missionsgebieten stammen, aufeinander zu, insbesondere in der nach 1990 nicht mehr geteilten Stadt Berlin. Da kam der Erforschung zugute, dass im Ostteil schon früher die Bedeutung missionarischer Quellen für die außereuropäische Geschichte erkannt worden war. Das war damit ein Jahrzehnt eher als das eigentlich als „Entdecker“ der missionarischeren Quellen für die kultur- und sozialwissenschaftliche Forschung geltende Chicagoer Wissenschaftlerehepaar Comaroff.
Dieser Stand erlaubte es, mit weiteren interessierten Wissenschaftlern zu diskutieren: Man war sich einig, dass die Bearbeitung der mannigfachsten Fragen zur außereuropäischen Historiographie vielfach nur oder vornehmlich mit missionarischen Quellen möglich war. So fiel es nicht schwer, dass die Historiker, vornehmlich aus der Akademie der Wissenschaften der DDR, mit den interessierten missionarisch-kirchlichen Kollegen zusammentrafen und beide Seiten ein gemeinsames Interesse feststellten.
Erste Kooperationen und spätere Erfolge
Wie zu Zeiten des politischen Umbruchs in der DDR vereinbart, entstand schon bald nach dem Fall der Mauer eine recht enge Kooperation zwischen den interessierten Wissenschaftlern sowie Missions-praktikern aus Ost und West. Davon zeugte eine erste wissenschaftliche Konferenz zum Wirken der Berliner Mission in Ostafrika aus Anlass von 100 Jahre Evangelium im Süden Tansanias. Diese historische Konsultation mit wissenschaftlichen Anspruch, die 1991 im Berlinen Missionshaus stattfand, besuchten auch afrikanische Christen. Wesentlichen Anteil an dem gegenseitigen Kennenlernen und den fruchtbaren Diskussionen hatte der inzwischen verstorbene Direktor des Ostberliner Ökumenisch-Missionarischen Zentrums/Berliner Missionsgesellschaft, Christfried Berger.
Von dem Erfolg und den guten Erfahrungen der Tagung inspiriert, vereinbarten die damaligen Akteure weitere, nunmehr ausgesprochen international ausgerichtete wissenschaftliche Symposien zur Rolle christlicher Missionen im Kontext nationaler Entwicklungen in Afrika, Asien und Ozeanien. Es folgten fünf wissenschaftliche Konferenzen, zu Themen wie Macht und Gewalt oder zum transkulturellen Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare im Prozess der Christianisierung.
Sie riefen international viele positive Reaktionen hervor. Schon bei der ersten Konferenz wurde beschlossen, zur Verstätigung solcher Aktivitäten eine koordinierende Institution, eben die Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte, zu gründen. Inzwischen ist sie durch mehrere populärwissenschaftliche Vorträge mit anschließenden Diskussionen und 56 wissenschaftliche Publikationen nicht nur in der akademischen Welt, sondern auch bei allgemein an Missionsgeschichte interessierten Berlinern bekannt geworden. Sie hat Mitglieder auf allen fünf Kontinenten.
Die wissenschaftliche Gesellschaft
hat die Basis sowie den internationalen Rahmen geschaffen, dass eine enge Verknüpfung von politischen mit Forschungsthemen entstanden ist. Das betrifft insbesondere die Diskussionen zum Verhältnis von Mission und Kolonialismus sowie zur Geschichte des außeneuropäischen Christentums.
Doch die Weiterarbeit der Gesellschaft ist gefährdet. Denn auf Grund von Baumaßnahmen an der Humboldt-Universität zu Berlin muss die Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte ihr Büro räumen. Es ist schwierig, adäquate Büroräume für circa zwei PC-Arbeitsplätze und etwa sechs bis acht Regale zu finden. Deshalb ergeht an die Gemeinden in Berlin und in dessen Umfeld die Anfrage, ob es nicht in Ihren Räumlichkeiten Platz gibt, wo die Gesellschaft ein Büro unterhalten könnte. Da die Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte nur auf Mitgliederbeiträge und gelegentliche Spenden zurückgreifen kann, ist es nur möglich, einen geringen finanziellen Mietkostenbeitrag aufzubringen, plus Übernahme der Nebenkosen.
Wer helfen kann, wende sich bitte an Ulrich van der Heyden, E-Mail: heydenul(at)hu-berlin.de
Ulrich van der Heyden ist Erster stellvertretender Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte.