Von Uli Schulte Döinghaus
Schon eineinhalb Stunden vor der ersten Impfung finden sich die ersten Menschen vor der Wunderblutkirche in Bad Wilsnack ein. Später, als das Eingangsportal des Gotteshauses geöffnet wird, biegt sich die Warteschlange zur zentralen Großen Straße hin, bis ungefähr dort, wo gegenüber die ehemalige Stadtapotheke mit einem Sinnspruch versehen ist: „Aus Pflanze, Tier und Stein ward Arznei gemacht. Klug ist, wer sie gebraucht, eh es zu spät für ihn ist.“
Am vergangenen Dienstag halten sich etwa 40 Frauen und Männer daran und kommen am Nachmittag zur berühmten Wallfahrtskirche, um sich zwischen Altar und Orgelempore gegen Covid-19 impfen zu lassen. Die Impfteams werden von Klinikärzten des Kreiskrankenhauses Prignitz in Perleberg geleitet.
Einige reisten aus dem Umland an
„Wir kommen zum Boostern, zur Auffrischimpfung“, sagt Isolde H. (71) aus dem zehn Kilometer entfernten Dorf Rühstädt. Ihr Lebensgefährte Ulrich (67) ergänzt: „Sicher ist sicher. Wir haben zu Weihnachten die Familie zu Besuch, freuen uns auf die Enkel, die wir lange nicht mehr gesehen haben.“ Das Künstlerpaar aus dem benachbarten Storchendorf ist typisch für die meisten Wartenden, die im Rentenalter sind, geboostert werden wollen und aus den Nachbardörfern anreisen, wo es keine hausärztliche Versorgung (mehr) gibt.
Vom kurzfristigen Impfangebot haben viele in Apotheken erfahren, wo für die Termine geworben wurde. Der Nachmittagstermin kommt recht gut an: Nach Feierabend können Söhne und Töchter ihre teils betagten Eltern zur Kirche nach Bad Wilsnack begleiten. Andere, wie die beiden Rühstädter, loben den Zeitpunkt, weil sie dann noch mit dem letzten Bus zurück ins Dorf gelangen können.
„Erreichbarkeit war eines unserer Ziele“, sagt später Pfarrer Olaf Glomke, „die Kirchen sind zentrale Anlaufstellen und von überall her recht gut anzusteuern.“ Das Konzept sei aufgegangen, „die Nachfrage war riesig, wir waren total überrascht“. Glomke ist Seelsorger im Kreiskrankenhaus, das die Impfaktion in acht Kirchen in der Prignitz ausrichtet.
Das Impfen in Prignitzer Gotteshäusern geht auf ein erfolgreiches Konzept der sächsischen Landeskirche zurück, die in vielen Kirchen Anti-Corona-Impfteams beherbergte und Impfwillige willkommen hieß. Kirchenräume sind, logistisch gesehen, recht gute Impfzentren: Anders als Vereinsräume oder Veranstaltungssäle sind sie sehr schnell für solche Zwecke einzurichten, weil nicht lange hin- und weggeräumt werden muss. Und ehrenamtliche Helfer aus den Kirchengemeinden sind gut zu mobilisieren und zu motivieren. Nach sächsischem Vorbild fanden sich im Kirchenkreises Prignitz acht Gemeinden, die in ihren Kirchen Impfteams und Impfwillige beherbergten: Bad Wilsnack, Glöwen, Karstädt, Groß Warnow, Cumlosen, Boberow, Berge, Meyenburg. Allein in Bad Wilsnack wurden rund 160 Impfdosen verimpft, insgesamt waren es an allen Tagen fast 700 Impfdosen.
Kirchen geben Hilfe für Leib und Seele
Superintendentin Eva-Maria Menard ist dem Kreiskrankenhaus Prignitz dankbar, dass es auf die Idee gekommen ist. „Mein Dank geht auch an die Pfarrkolleginnen und -kollegen sowie die Kirchengemeinden, dass sie ihre Türen öffnen und gemeinsam mit den beiden Ärzteteams des Krankenhauses diese Impfaktion umsetzen. Kirchen sind Orte, in denen Menschen Hilfe für Leib und Seele erfahren mögen.“
So verstanden es auch die Wartenden in der Schlange vor der Wunderblutkirche in Bad Wilsnack: „Kirche? Ein guter, zentraler Ort mit viel Platz“, lobt Rollstuhlfahrerin Jutta (67), und Brigitte (80), auch sie im Rollstuhl, pflichtet ihr zwar bei, aber: „Könnte ziemlich kühl im Innenraum werden.“ Das sei in der Tat die einzige „Barriere“ gewesen, sagt Mitorganisator Glomke später. Die Kirchengebäude seien meist unbeheizt und daher sei es kühler als draußen. Andererseits logistisch ideal: Viel Raum, in dem sich die Atemluft schnell verflüchtigt. Luftaustausch ist kein Problem. Oft gibt es zwei Eingänge, durch die die Geimpften aneinander vorbei hinein und hinaus gelotst werden können.
„Nur ein bisschen“, antwortet Felix Uttke (23) auf die Frage, ob er Bammel vor der Impfung habe. Für den jungen Mann aus dem benachbarten Grube ist es die erste Impfung. Bisher war er unentschlossen. Ein bisschen aus eigenem Antrieb sei er gekommen, sagt er, aber auch auf Drängen seines Chefs und wegen all der Einschränkungen, die Ungeimpfte zu erwarten haben.
Seine Mutter Sabine nickt, wirkt erleichtert. Sie begleitet Felix, will sich selbst zugleich die dritte Auffrischungsimpfung abholen. Ob es sie stört, in der Kirche geimpft zu werden? „Überhaupt nicht. Man weiß auf Anhieb, wo geimpft wird.“