Von Carolin George (epd)
Als Angelika Fröhlich von der Idee ihres Nachbarn hörte, kramte sie sofort ihre Kalligrafie-Feder aus der Schublade. Dann schaltete sie ihren Computer an und trug sich in eine Liste ein: Johannes, Kapitel 9 und 15. Ihr Nachbar ist Pastor und hat einen Plan: Bis Ostern möchte er eine Bibel mit allen 80 Kapiteln der Evangelien aus dem Neuen Testament entstehen lassen – in Handschrift, mit den Anmerkungen und Zeichnungen der jeweiligen Schreiber*innen versehen. „Hoffnung buchstabieren – die Corona-Bibel“ hat Jens Rohlfing das Projekt genannt – gegen Vereinzelung und Corona-Koller.
Verbindung in einer beklemmenden Zeit
„Die Idee ist, dass viele Menschen gemeinsam an etwas arbeiten“, sagt Rohlfing, Pastor der evangelischen St. Johanniskirche im niedersächsischen Städtchen Hitzacker an der Elbe (Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers). „Wie früher in den klösterlichen Skriptorien arbeitet jeder für sich und gleichzeitig an etwas Gemeinsamem. Das schafft Verbindung in dieser beklemmenden Gegenwart.“ Überdies wirke das Schreiben mit der Hand auf besondere Weise auf den Geist: „Beim Schreiben fließt das Geschriebene durch die Augen über das Gehirn und den Arm in die Hand, es wirkt körperlich und geistig.“
Schreiben aus dem Innersten
Diese Erfahrung haben auch die ersten Schreiberinnen gemacht. „Am Anfang war das Wort“ – den Beginn des Johannes-Evangeliums hat sich Helga-Lena Reimer ausgesucht. „Ich habe beim Schreiben Musik gehört und mir einen Tee gemacht. Das wurde zu einer richtig meditativen Übung.“ Maren Meisel hat schon häufig die Johannes-Passion gesungen und daher das sechste Kapitel aus dem Johannes-Evangelium für sich ausgesucht. „Ich schreibe ansonsten fast nur noch am Computer und musste das Schreiben mit der Hand fast wieder lernen“, sagt sie. „Dabei merkte ich: Es macht einen großen Unterschied, ob ich am Rechner eine Schönschrift wähle oder wirklich per Hand schreibe. Nur so kommt es wirklich aus dem Innersten.“
Heidrun Kühnel hat die Weihnachtsgeschichte gewählt. „Eigentlich kenne ich sie auswendig, dachte ich“, erzählt sie. Doch als sie neulich nachts dann das Kapitel per Hand niederschrieb, merkte sie: „Einige Stellen habe ich bislang immer überhört. Das war nicht nur ein körperliches Erlebnis mit schwerem Arm und tauber Hand, sondern auch ein geistliches.“
Und Angelika Fröhlich freut sich, ihr Hobby Kalligrafie nicht mehr nur für die eigene Schublade ausüben zu können, sondern für ein gemeinsames und später öffentliches Werk. „Durch das Schreiben habe ich manche Stelle erst so richtig verstanden. Bei anderen merke ich, dass sie mir weiterhin schleierhaft sind.“
Manche Teilnehmer*innen illustrieren ihre Kapitel, andere schreiben eigene Anmerkungen dazu. „Die Freiheit ist groß. Die Enkelin einer Schreiberin malte ein ganzseitiges Bild“, erzählt Pastor Rohlfing. „Es ist toll zu sehen, dass die Idee nicht nur die ältere Generation anspricht.“
40 Kapitel sind bereits vergeben, ebenso viele fehlen noch. Die Seiten werden später gebunden und als fertige Bibel in der Kirche ausgelegt.