„Aber ja: Nicht alles ist gut, was wir erinnern, nie ist das so.“
Von Christian Stäblein
Danke. In dieser ersten Woche in der neuen Aufgabe und in dieser ersten Kolumne als Bischof will ich nur eines sagen: Danke. Was für ein berührender Gottesdienst zur Einführung, wie viele, die dazu beigetragen haben: von den Bläserinnen über die Sänger, von den Vorbereitenden bis zu der großen Zahl an Menschen, die zum Feiern gekommen sind: Danke!
Vor einiger Zeit noch habe ich manchmal gedacht: Ach, ein solches Kirchenfest wäre auch als Sommerfest schön, warum muss es im November sein, wo es doch wettertechnisch schnell ein wenig ungemütlich ist. Jetzt im Nachhinein denke ich: passt doch. In diesen Tagen sind wir voll dankbarer Rückschau. 30 Jahre Friedliche Revolution, immer wieder ziehen die beeindruckenden Bilder von 1989 vorbei ob auf Monitoren, in Fotoalben oder vor dem inneren Auge. Der Mut der Menschen, gewaltlos und entschlossen, das löst im Rückblick einen Strom von Dankbarkeit aus. Vieles, was von heute aus selbstverständlich anmutet – mancher behauptet ja, die Mauer wäre so oder so wenig später „gefallen“, ach nein, es war alles andere als selbstverständlich. Danke!
Rückschau. Das gehört zum November. Am kommenden Sonntag begehen wir den Ewigkeitssonntag. Die Namen der Verstorbenen des vergangenen Jahres werden in den Kirchen verlesen. In Trauer mischt sich dabei Dank, je weiter das Sterben zurück liegt, oft umso leichter. Gut, dass Mutter oder Vater, Schwester oder Bruder, Freund oder Freundin, gelebt haben. Was wäre ich ohne dich, ohne sie, ohne ihn. Danke.
Aber ja: Nicht alles ist gut, was wir erinnern, nie ist das so. Da fällt einem nicht zuerst Danke ein.
Womöglich gab es harte Konkurrenz zur Schwester ein Leben lang. Oder der Vater hat viel Schrecken und Wut zurück gelassen. Danke heißt dann eher: Danke, dass ich das jetzt loslassen kann, auch das Quälende, auch das Unverständliche in Gottes Hand legen. Und so vielleicht zumindest ein Stück versöhnt mit dem werden, was war. Den Menschen, der gegangen, gehen lassen, wieder frei werden. Danken als Loslassen.
Die moderne Dankesforschung – ja, das gibt es in der Psychologie – fördert in all ihren Untersuchungen immer wieder zu Tage, dass dankbare Menschen oft sehr zufriedene sind, ja häufig zufriedener als andere. Und dabei ist nicht gesagt, dass ihnen mehr Gutes widerfährt. Eher ist es so, dass Dank Schweres verwandeln kann. Man achte drauf.
Naja, mir gelingt das ganz und gar nicht immer so, wie ich es hier beschreibe. Oft genug vergesse ich zu danken. Fällt mir nicht oder viel zu spät ein. Dabei ist es doch, heißt es, die „Grundhaltung des Glaubens“, ja das „Herz des Evangeliums“. Wie schön das klingt. Der November ist in vielem – nicht in allem! – wohl ein guter Trainingsmonat dafür. In einem der vermutlich bekanntesten Kirchenschlager der letzten 60 Jahre lautet denn auch die letzte Strophe: Danke, ach Herr, ich will dir danken, dass ich danken kann. Grund genug ist, wenn ich genau hingucke.