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„Das können wir nicht akzeptieren“

An diesem Sonntag Reminiszere ruft die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zum Gebet für die Menschen in Syrien und außerhalb ihres Landes auf, „um Frieden, um Heilung, um Zukunft“, wie EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber schreibt. Aktueller könnte diese schon lange vorbereitete Aktion zum jährlichen Gedenktag an verfolgte und bedrängte Christen nicht sein. Denn durch die Grenzöffnung der Türkei verschärft sich die Lage der Geflüchteten. Wie reagieren Politik und Kirche? Welche Forderungen werden von christlicher Seite laut? Ein Überblick.

Lesbos Flüchtlinge
„Humanitäre Katastrophe“: Eine Delegation der EKD besuchte am vergangenen Wochenende das Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos. Hier leben knapp 20000 Menschen in provisorischen Unterkünften. Foto: Jörn Neumann/Seebrücke

Von Friederike Höhn (mit epd)

Am vergangenen Samstag öffnete die türkische Regierung ihre Grenzen zu Griechenland. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan begründete dies mit der mangelnden Unterstützung seitens der EU angesichts der Kämpfe um die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens. „Wir haben die Tore geöffnet“, sagte Erdogan am Samstag in Istanbul. Sein Land könne „eine neue Flüchtlingswelle nicht bewältigen“. Die EU müsse jetzt ihre „Versprechen halten“ und ihren „Teil der Last“ übernehmen. Nach UN-Angaben haben sich daraufhin mindestens 13000 Menschen an der türkisch-griechischen Grenze versammelt. 

Doch die griechischen Behörden lassen die Flüchtlinge nicht ins Land. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein und gab Warnschüsse ab. Das RBB-Inforadio zitierte einen jungen Afghanen vor Ort mit den Worten: „Man behandelt uns hier wie Tiere.“ Auf der Insel Lesbos hinderten wütende Bewohner die aus der Türkei kommenden Flüchtlingsboote daran, in ihren Häfen anzulegen. Am Montag wurde der Tod eines Kindes bekannt, das mit einem vollbeladenen Schlauchboot vor der Küste der Insel unterging. Wie die griechische Küstenwache bestätigte, starb es in einem Krankenhaus auf Lesbos.

Mehr als 40 000 Menschen in provisorischen Lagern

Während die Türkei die Grenze öffnete, besuchte eine Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Stadt Potsdam und anderer Kommunen des Bündnisses „Seebrücke“ Griechenland, um sich vor Ort einen Eindruck von der Lage auf dem Festland und der Insel Lesbos zu machen. Dort und auf anderen Inseln der Ägäis befinden sich knapp 42000 Menschen in provisorischen Lagern. Diese sind aber nur für rund 8000 Personen ausgelegt.

Die meisten Geflüchteten in der Türkei und in den griechischen Lagern stammen aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sind seit 2011 12,9 Millionen Syrerinnen und Syrer auf der Flucht, im eigenen Land oder über Grenzen hinweg. Etwa die Hälfte der Flüchtlinge und Vertriebenen sind Kinder.

Als die EKD-Delegation die griechische Insel Lesbos erreichte, waren dort bereits erste Geflüchtete aus der Türkei eingetroffen. Doch dieser Zustrom soll nach Einschätzung der EU-Grenzschutzagentur Frontex erst der Anfang sein. Die Behörde erwartet eine weitere Zuspitzung der Lage. Die Tageszeitung „Die Welt“ zitierte dazu aus einem vertraulichen Bericht für die politischen Entscheidungsträger in der EU, in dem von „Massenmigrationsströmen nach Griechenland“ die Rede sei. 

Die Bundesregierung bezeichnete die Lage an der Grenze als „beunruhigend“. Ebenso wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drängt Berlin auf die Einhaltung des Flüchtlingsabkommens zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Dieses sieht vor, dass alle irregulären Migrant*innen, die von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangen, zurückgeführt werden können. Das setzt voraus, dass die Menschen kein Asyl beantragen oder der Antrag als unbegründet oder unzulässig gilt. Im Gegenzug verpflichtete sich die EU zu Finanzhilfen zugunsten der Flüchtlinge in der Türkei. Außerdem sollte für jeden zurückgeführten syrischen Flüchtling ein anderer aus der Türkei legal in die EU kommen dürfen.

Nicht auf den Pakt mit der Türkei verlassen

Folge des 2016 geschlossenen Abkommens war der starke Rückgang der Flüchtlingszahlen in der EU. Syrische, iranische und afghanische Flüchtlinge saßen seither in der Türkei fest. Mit der Öffnung der Grenze hat der türkische Präsident Erdogan dieses Abkommen nun in Frage gestellt. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin: „Wir erleben Flüchtlinge und Migranten, denen von türkischer Seite gesagt wird, der Weg in die EU sei nun offen - und das ist er natürlich nicht.“ Damit würden sie in eine extrem schwierige Lage gebracht.

Der Migrationsforscher Jochen Oltmer warnte Deutschland und die Europäische Union, sich in der Flüchtlingsfrage weiter allein auf den Pakt mit der Türkei zu verlassen. Die EU müsse angesichts der sich verschärfenden Lage auf den griechischen Inseln und an der türkisch-griechischen Grenze endlich Mechanismen für eine Verteilung der Flüchtlinge entwickeln, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Die Hoffnungen, dass Griechenland und die Türkei es schon irgendwie richten werden, sollten sich nun endgültig zerschlagen haben.“

„Humanitäre Katastrophe“ auf der Insel Lesbos

Auf Lesbos, so berichtet die EKD-Delegation, seien die Zustände unhaltbar. „Menschen müssen in bitterer Kälte schlafen. Hygiene gibt es nicht. Es fehlt an medizinischer Versorgung, an Nahrungsmitteln, dem Allernötigsten zum Überleben“, schreiben die Teilnehmenden in einer Erklärung. Die humanitäre Katastrophe sei eine direkte Folge des Abkommens mit der Türkei. Sie fordern daher eine Neuausrichtung des europäischen Asylsystems, das sich keinesfalls am EU-Türkei-Abkommen orientieren solle.

Der Vorsitzende der Kammer für Migration und Integration der EKD, Manfred Rekowski, ergänzt dazu, dass es dabei nicht primär um bündnispolitische Überlegungen oder um die Frage der Sicherung der EU-Außengrenzen gehen dürfe. „Dringend notwendig sind viel mehr humanitäre Lösungen und die Bewahrung des Flüchtlingsschutzes“, betonte er.

Berlin und Brüssel mahnen die türkische Regierung zur Umkehr. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte, sie könne Erdogans Situation verstehen. Jedoch sei es „völlig inakzeptabel, dass man das auf dem Rücken von Flüchtlingen austrägt“, sagte sie am Montag bei einer Pressekonferenz in Berlin.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie kritisierte die Gewalt der griechischen Grenzpolizei und Frontex gegenüber den Geflüchteten. Diese habe „ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Wir fordern Griechenland und die EU auf, den Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern gegenüber Menschen, die Schutz suchen, sofort zu beenden“.

Kommunen und Kirchen­gemeinden stehen bereit

Der Migrationsexperte Oltmer plädiert dafür, wie in der Seenotrettung eine „Koalition der Willigen“ zu bilden, die zunächst Tausende besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge untereinander aufteilt. Dazu könnten sich neben Deutschland und Frankreich auch Luxemburg, Finnland und Spanien bereitfinden. Es gehe akut darum, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. 

In Deutschland stünden dafür viele Städte, Kommunen und Landkreise, Kirchengemeinden und zivilgesellschaftliche Gruppen bereit, wie es in der gemeinsamen Erklärung der EKD und der Organisation „Seebrücke“ heißt. Nur: Sie dürfen nicht helfen, weil ein europaweiter Mechanismus, wie ankommende 

geflüchtete Menschen in der EU verteilt werden, nicht bestehe. „Unsere Kommunen, unsere Städte, unsere Landkreise und Kirchengemeinden, müssen Zufluchtsorte für alle Menschen bleiben, die Anspruch auf Hilfe und Schutz haben“, schreiben sie. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), der Teil der Delegation auf Lesbos war, forderte insbesondere, den zahlreichen unbegleiteten Minderjährigen schnellstmöglich zu helfen und diese zu evakuieren. 

Auch das UN-Flüchtlingswerk UNHCR drängt auf eine Lösung und verweist auf international geltende Bestimmungen: Es gebe keine Rechtsgrundlage für die Aussetzung der Annahme von Asylanträgen, wie dies derzeit in Griechenland geschehe. Dort werden alle Grenzübertritte als illegale Einwanderung betrachtet und die Flüchtlinge verhaftet. Auch dürfen Personen, die unregelmäßig in das Hoheitsgebiet eines Staates einreisen, nicht bestraft werden, wenn sie bei den Behörden unverzüglich Asyl beantragen, so UNHCR.

Stäblein: Mitmenschlichkeit nicht vergessen

Bischof Christian Stäblein betont, dass es in der komplizierten und schrecklichen Situation keine einfachen Lösungen geben wird. Jedoch dürfe das Wichtigste nicht vergessen werden: Mitmenschlichkeit. „Es sind Menschen in Not, Menschen, die alles verloren haben und ein besseres Leben suchen“, so Stäblein in einem Statement. „Wir dürfen vor ihrem Leid nicht die Augen verschließen. Und müssen Wege finden, ihnen zu helfen. Der humanitären Katastrophe einfach zuschauen oder die Menschen immer mehr da hinein zu treiben, das können wir nicht akzeptieren, gar nicht.“

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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