Von Tilman Asmus Fischer
Fastentuch oder Grabtuch? – Diese Frage mag sich stellen, wer Christa Jeitners Werk „Die Wand ist leer“ in der historischen Kraut-Kapelle in der Nikolaikirche in Berlin-Mitte besichtigt. Wie bereits mehrere Künstler vor ihr war sie eingeladen, sich kreativ mit dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Wandgemälde der Auferstehung auseinanderzusetzen. Die zuvor gezeigten Werke boten vor allem eigene künstlerische Interpretationen der Auferstehungsthematik. Sie überwanden damit zugleich den Verlust, der durch die weiße Wand an der Stelle des historischen Gemäldes in der restaurierten Kapelle signalisiert wird. Jeitner geht einen anderen Weg.
Die Wand ist nicht nur leer – sie bleibt es auch: Die Künstlerin versucht sich nicht an einer Überwindung der Leere und des Verlustes – sie macht vielmehr beide selbst zum Thema und lädt damit auch den Betrachter ein, sich damit auseinanderzusetzen. Dominiert wird ihre Installation von einem leinenen Vorhang, der die Wand in Teilen verhüllt und bei dem sich die Frage stellt: Ist er als Anspielung auf Fastentücher zu verstehen, wie sie zwischen Aschermittwoch und Ostern traditionell Hochaltäre verhüllen? Oder legt der historische Ort der zerstörten Auferstehungsdarstellung doch nahe, ihn als Repräsentation des Grabtuches zu deuten, das in der Grabhöhle vom Auferstandenen zeugt?
Es mag die Spannung zwischen diesen beiden Deutungsalternativen sein, die Jeitners Arbeit in besonderer Weise auszeichnet. Vielleicht ist die Installation gerade in den Wochen nach Ostern eine Mahnung, trotz des Sieges über den Tod die Bedeutung und den theologischen Gehalt des Karfreitags nicht zu vernachlässigen. Schmerz, Verlust und Tod mögen nicht das letzte Wort haben, aber sie hallen nach.
Dazu mahnt auch der kleine bronzene Korpus des Gekreuzigten, der, als wäre er von einem Kruzifix gefallen, vor den Füßen des Betrachters in Staub und Asche liegt. Leid und Schmerz klingen aber nicht nur im individuellen und kulturellen Gedächtnis nach; sie dringen selbst immer wieder ins Blickfeld und werden Wirklichkeit. Als Jeitner zehn Jahre alt war, endete der Zweite Weltkrieg. Als sie an der Installation arbeitete, brach wieder ein Krieg in Europa aus. Vielleicht steht auch diese Erfahrung hinter: „Die Wand ist leer“.
Christa Jeitner, „Die Wand ist leer“, ist bis zum 5. Juli zu sehen im Museum Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz, Berlin-Mitte, täglich 10–18 Uhr