Von Michael Meyer-Blanck
Alle Jahre wieder…
... kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind. Das ist nicht nur ein volkstümlicher Text, sondern auch alles, was von Weihnachten zu sagen und was zu unserem menschlichen Glück zu glauben ist. Nicht nur ein Kind wird geboren – was per se schon immer Freude und Hoffnung bedeutet –, sondern Gott wählt die Lebens- und Familiengeschichte von Josef und Maria, um selbst bei den Menschen zu sein.
Das ist für den aufgeklärten Verstand noch unglaublicher als Karfreitag und Ostern. Dieser Glaube eint die Christ*innen verschiedenster kultureller und historischer Milieus – und er ist zugleich ein Anstoß für Nichtchrist*innen. Das Christuskind: Gott bleibt nicht im Himmel. Der Höchste kommt nieder.
Das Unfassliche dieses Festes hat man in der Christenheit durch zahlreiche Gewohnheiten und Rituale fasslich zu machen gesucht. „Alle Jahre wieder“ steht für den berechtigten Wunsch, das Schöne, das Menschliche und das religiöse Gefühl zu ermöglichen oder gar zu gewährleisten. Viele Familien verhalten sich ganz bewusst einmal im Jahr so, wie es sonst Kinder gerne tun: Nur nichts verändern! Die Bräuche und die Reihenfolge genauso wie letztes Jahr! Nichts weglassen!
… aber dieses Jahr (endlich mal) etwas anders!
Doch dieses Jahr ist tatsächlich alles anders – zumindest mit dem Kirchgang. Die normalen vollen Christvespern, für die man schon eine halbe Stunde vorher in einer dichtgedrängten Menge an seinem Platz sitzt, wird es nicht geben. Wenn Gottesdienst, dann im Freien auf einem Schulhof, mit Anmeldung in einer „physical distance“ ermöglichenden Kirche – oder gleich ein Fernseh-, Digital- oder Rundfunkgottesdienst zu Hause oder auch Lieder und Weihnachtsgeschichte im Familienkreis, also irgendeine Art von Hausgottesdienst.
Wer regelmäßig an Gottesdiensten teilnimmt und mit den Glaubensinhalten vertraut ist, wird mit der veränderten Situation gelassen umgehen oder sich sogar freuen, Weihnachten jenseits der bisherigen Gewohnheiten neu auszuprobieren. Das gilt etwa für Pfarrämter und Mitarbeiterteams, die Open-air-Gottesdienste, offene Kirchen oder offenes Singen vom Lastwagen aus einmal herausfordernder und interessanter finden als alle Jahre wieder das ihnen abverlangte Ideenfeuerwerk für das 15 – 17 – 23-Uhr-Programm.
Mut machen, Ungewohntes zu probieren
Für viele derjenigen, die fast ausschließlich Familienfest- und Weihnachtskirchgänger sind, bedeutet das veränderte Heiligabend-Programm dagegen eine Verunsicherung. Eine Form von Hausgottesdienst fällt schon wegen des Singens und Vorlesens nicht allen leicht.
Von den Gemeinden und kirchlichen Arbeitsstellen ist darum vor allem eine gute Öffentlichkeitsarbeit gefordert. Viele Alternativen und gute Ideen in den Landeskirchen und Diözesen verdienen es nachgemacht zu werden. Dabei kann man fünf Typen unterscheiden: 1. Gottesdienste im Freien, 2. Offene Kirche für jeweils nur wenige Besucher,
3. Mobile Gottesdienstformen „unterwegs“, 4. Digitale (oder „hybride“) Gottesdienstformen, 5. Hausgottesdienste. Alle diese Angebote müssen durch die örtlichen Medien gut bekannt gemacht werden – vielleicht trotz aller digitalen Innovationen am besten durch Handzettel (hier lässt sich die Logistik der Gemeindebriefverteilung nutzen).
Gottesdienste im Freien
Das ist die nächstliegende Form: Draußen sind größere Abstände zwischen den Teilnehmenden möglich und das Ansteckungsrisiko ist wesentlich geringer als in geschlossenen Räumen. Von den Verantwortlichen ist dabei die Fähigkeit zur Elementarisierung (vulgo: zur Kürze) gefordert, da nur die Wenigsten in der Kälte und Dunkelheit lange stehen können oder mögen. Das ermöglicht es aber auch, mehrere Gottesdienste hintereinander zu feiern – also zum Beispiel fünf „Gottesdienste im S-Bahn-Takt“ alle dreißig Minuten von 16 bis 18 Uhr, Dauer jeweils 20 Minuten, danach Wechselmöglichkeit, am besten mit geregelten Zu- und Abwegen.
Offene Kirchen für jeweils nur wenige Besucher
Ein geistliches Angebot „im Vorübergehen“ kann die offene Kirche sein, in der fortlaufend die Weihnachtsgeschichte gelesen, Weihnachtslieder gesungen oder auch Szenen aus einem Krippenspiel in ganz kurzem Takt angeboten werden; die einzelnen Elemente können an verschiedenen Stellen im Kirchenraum ihren Platz haben. Dabei wird jeweils nur eine bestimmte Zahl von Besucher*innen eingelassen. Der große Vorteil besteht darin, dass man so den üblichen „Kirch-Gang“ ermöglichen kann. Am besten konzentriert man das Angebot auf einen Zeitraum (etwa 16–19 Uhr am Heiligabend). Das hat zusätzlich den Vorteil, dass man die offene Kirche auch mit dem Gottesdienst im Freien kombinieren kann.
Mobile Gottesdienstformate für unterwegs
Bei diesem Modell wartet die Kirchengemeinde nicht auf Besucher, sondern die Kirche kommt zu den Menschen. Ein kleines Team zieht mit Weihnachtsliedern und der Weihnachtsgeschichte (am besten mit Mikro und Verstärker) durch den Ort und macht an bestimmten Plätzen Station für einen 10-Minuten-Gottesdienst. Von einer Gemeinde las ich, dass sich diese einen Laster mit großer offener Ladefläche organisieren und darauf einen Christbaum und Weihnachtsdekoration anbringen will. So kann man an verschiedenen Stellen eine Kurzandacht feiern, ohne vorher den Ort markieren zu müssen. Zudem kann man in relativ kurzer Zeit viele Plätze im Ort ansteuern.
Digitale (oder „hybride“) Gottesdienstformen
Diese Gottesdienstformen sind seit dem Frühjahr 2020 vertraut und in vielen Gemeinden gut eingespielt, so dass viele Gemeindeglieder schon davon wissen. Doch es bleibt der beschwerliche Rest an medialer Gebrochenheit. Eine Fernsehstunde oder ein Blick auf das Tablet am Christbaum behält eben doch den Charme von Home-Office und Video-Call. Das Angebot hat den großen Vorteil, dass die meisten daran unkompliziert teilnehmen können, hat es aber schwer, die spezifische festliche Stimmung zu schaffen, zumal die Seh- und Hörgewohnheiten durch die akustische und schnitttechnische Perfektion vorgeprägt sind.
Hausgottesdienst
Lied „Vom Himmel hoch“ – Lesung Jesaja 9,1–6 – Lied „O du fröhliche“ – Lesung Lukas 2,1–14 – Lied „Stille Nacht“ – Vaterunser – Weihnachtswünsche: So einfach (oder noch schlichter ohne das erste Lied und den ersten Text) kann ein Haugottesdienst sein. Wer das laute Lesen, Singen und Beten nicht gewohnt ist, für den mag das schon zu schwierig sein. Aber diese Form entspricht doch eigentlich dem häuslichen Weihnachten am ehesten, wie es sich in der bürgerlichen Epoche seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet hat – vom reformatorischen „allgemeinen Priestertum“ gar nicht zu reden.
Sicher ist der Kirchgang schöner und feierlicher. Aber so ein kleines Stück Weihnachten für zu Hause ist kaum zu überschätzen. Die Evangelische Kirche im Rheinland ist dabei, einen entsprechenden Flyer allen Tageszeitungen beilegen zu lassen.
… kommt das Christuskind
Man soll den Mangel an weihnachtlicher Liturgie nicht schönreden. Aber die Menschen sollen es sich dennoch schön machen können. Der Zauber des „schönsten aller Feste“ (Theodor Fontane) ist in den Gefühlen der Menschen und bleibt nicht auf kirchliche Mitarbeiter*- innen beschränkt. Lassen wir etwas von Weihnachten in die Häuser und Herzen kommen, alle Jahre wieder – und sei es im Corona-Jahr.