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Der weibliche Blick

Zum internationalen Frauentag am 8. März schreiben vier Frauen über einen Film und aktuelle Bücher, die eine besondere Perspektive auf das Frausein werfen

Mit Liebe überleben

Von Sabine Hoffmann 

Anja Caspary gelingt es, zwei Krebstragödien und gleichzeitig einen Liebesroman zu schreiben. Die „Radio Eins“-Moderatorin erkrankt an Brustkrebs und lässt sich beide Brüste amputieren. So steigen die Heilungschancen. Mit weniger Chemie und Strahlen. Sie stellt radikal ihre Ernährung um. Sie will dem Krebs keine Chance zur Wiederkehr geben. Die Verantwortung für ihren Körper gibt sie nicht in die Hände der Ärzte. Eine Hormontherapie lehnt sie ab. Ihr Körper gehört ihr. Was für eine starke Frau! Es ist ihr Weg, den ihr geliebter Mann, ehemaliger Bassist der Band „Die Ärzte“ vorbehaltlos mitgeht. Dann erkrankt er an einem unheilbaren Hirntumor. Das alles passiert innerhalb eines Jahres. Anja Caspary erzählt schonungslos ehrlich. Wie viel kann man ertragen und aushalten? Das Kapitel, wie sie ihre große Liebe kennenlernt und keinen anderen will, macht fassungslos angesichts so viel Schicksal. 

Anja Caspary hat sich sechs Jahre nach diesem Horror-Jahr nicht die Seele vom Leib geschrieben. Die Radiojournalistin hat ihre Erfahrungen nüchtern verarbeitet. Sie macht Mut, mit dem eigenen Köper verantwortlich umzugehen. Aber vor allem lässt Sie uns teilhaben an einer großen Liebe. Und gibt damit Hoffnung. Man kann dem Schicksal kein Schnippchen schlagen. Aber mit der Liebe im Herzen überleben. 

Anja Caspary, In meinem Herzen steckt ein Speer, Ullstein Verlag, Berlin 2021, 288 Seiten, 10,99 Euro Foto 1: Ullstein Verlag

 

Frausein in schwierigen Zeiten

Von Katharina Körting 

Was ist Frausein? Das Thema der sogenannten geschlechtlichen Identität begleitet mich seit meiner Kindheit und begleitet mich bis heute. Als ich zum ersten Mal für einen Jungen gehalten wurde, war ich tief verunsichert. „Mind the gap“, warnt es seitdem in mir: Meine Selbstwahrnehmung steht unter Vorbehalt. Als ich zum ersten Mal Mutter wurde, dachte ich, nun sei alles klar – und irrte. Jeder Film, jedes Buch, ja jede Begegnung ist voll mit Zuschreibungen. Immerfort wird mir erklärt, was eine Frau sei – und was nicht. Sharon Dodua Otoo versucht es anders.

In „Adas Raum“ gibt sie der Vielfalt eine Stimme, sei es in Ghana, England oder Berlin, zur Zeit der Kolonialisierung, der Konzentrationslager oder der Gentrifizierung. Ada ist in vielen Verkörperungen unterwegs, als schwarze Sklavin, britische Mathematikerin oder schwangere Wohnungssuchende. In jedem ihrer Leben kämpft Ada um ihr Leben – und darum, ohne männliche Erlaubnis der weibliche Mensch zu sein, der sie sein will. Frau zu sein, lese ich, bedeutet vor allem, im Widerstand zu sein: gegen Gewalt, gegen Fremdbestimmung und gegen die Zweifel an der eigenen Kraft. Dabei geht es immer auch um den Körper und seine Zurichtungen. Und um Solidarität – darum, einander beim Selbstermächtigen beizustehen. So gesehen ist Frausein ein Menschsein in verschärfter Form: ein nie endender Kampf um Freiheit.

Nebenbei liefert Otoo einen in eleganter Weise gendergerecht geschriebenen Text, auch wenn ich manches sprachlich etwas holprig finde, anderes arg gefühlig. Einige Dialoge wirken klischeehaft, und hier und da ist es schwierig, den Zeit- und Ortssprüngen zu folgen. Insgesamt jedoch öffnet sich mit „Adas Raum“ und all seinen erzählerischen Schleifen das Frausein. „Denn endlich hatte ich verstanden, wer ich bin“, heißt es auf der letzten Seite. Ich bin dankbar, dass meine Tochter mir das Buch zum Lesen gab. 

Sharon Dodua Otoo, Adas Raum, S. Fischer Verlage, Frankfurt 2021, 320 Seiten, 22 Euro Foto 2: S. Fischer Verlage

 

Wir sind viele

Von Kathrin Kliss

Was bedeutet es, eine Frau zu sein? Dieser Frage ist das weltweite Projekt „Woman“ nachgegangen und befragte 2000 Frauen aus 50 Ländern. Entstanden ist ein beeindruckender Dokumentarfilm, der diesen Frauen eine Stimme gibt. Viele von ihnen erleben Ungerechtigkeit und Bedrohung aufgrund ihres Geschlechts. 

In kurzen Statements erzählen Frauen aus ihrem Leben: von Benachteiligung, Gewalt (sexuell, physisch, psychisch), Ausbeutung, Menschenhandel – aber auch von Unabhängigkeit durch Bildung, von Arbeit, Liebe, Mutterschaft, Schönheit. Jeweils vor der gleichen dunklen Fotoleinwand gefilmt sprechen sie in ihrer jeweiligen Sprache direkt in die Kamera, direkt zu den Zuschauer*innen. So entsteht eine eindringliche Präsenz und Nähe. Ergänzt werden die kurzen, oft erschütternden Porträts von Momentaufnahmen aus dem Alltag der jeweiligen Frauen. Ansonsten verzichtet der Film auf Fragen oder zusätzliche Informationen und setzt ganz auf die Erzählungen, was die Universalität der Schicksale noch unterstreicht. 

Die Themenwechsel sind abrupt, so schnell und vielseitig wie das Leben. Manchmal ist es schwer auszuhalten, was die Interviewten erlitten haben und mutig in die Kamera sagen; eine junge Frau wurde Opfer eines Säureangriffs, eine andere geriet in die Gefangenschaft einer Terrororganisation. Wieder eine andere beschreibt lachend, wie sie stolz ihr ganzes erstes Gehalt von ihrem Konto abhob, nur um es gleich wieder ein­zuzahlen – sie musste es einfach in den Händen halten. Ihr Lachen steckt an. So unterschiedlich die Protagonistinnen und ihre Geschichten sind, alle beeindrucken durch ihren Mut und ihre Stärke, auch Traumatisches auszusprechen und für sich selbst einzustehen. Das ist befreiend und macht Mut.

„Woman“ (Frankreich 2019/Veröffentlichung 2021). Regie: Yann Arthus-Bertrand und Anastasia Mikova. Auf Bluray, DVD oder über Amazon Prime. Informationen zum Film und Projekt unter: www.woman-themovie.org Foto 3: promo

Feministische Fiktion

Von Friederike Höhn

Jung, ehrgeizig, sendungsbewusst: Hillary Rodham und Bill Clinton sind Anfang 20, als sich ihre Wege 1971 an der Yale University kreuzen. Beide haben Großes vor. Bill will als Politiker reüssieren, Hillary hat sich bereits einen Namen als unerschrockene Feministin gemacht. Eine intellektuell wie körperlich leidenschaftliche Beziehung mit Höhen und Tiefen beginnt.

Gemeinsam erobern sie für Bill zunächst das Gouverneursamt in dessen Heimatstaat Arkansas, 1992 wird er Präsident der USA. Danach startet Hillarys politische Karriere: als Senatorin für den Staat New York, als US-Außenministerin und als letztlich gescheiterte Präsidentschaftskandidatin 2016. Trotz öffentlich diskutierter Seitensprünge von Bill sind die Clintons bis heute ein einflussreiches Powercouple.

So weit, so historisch verbürgt. Doch was wäre, wenn die beiden nie geheiratet hätten? Die Schriftstellerin Elizabeth Curtis Sittenfeld dreht in ihrem Roman „Hillary“ das Rad zurück in das Jahr 1974: Hillary Rodham lehnt den Heirats­antrag von Bill ab und beginnt ein selbstbestimmtes Leben ohne Mann an ihrer Seite.

Der große Reiz an Alternativweltgeschichten wie dieser fiktionalen Biografie liegt in den Details: Wie hat die Entscheidung einer Person, die zu einem kontrafaktischen Erzählstrang führt, auch die Leben anderer Personen verändert? Wie weitreichend ist der Einfluss dieser Person auf ihr persönliches Umfeld, gar auf die Geschichte einer ganzen Nation? Welchen Weg genau Curtis Sittenfeld sich für Hillary erdacht hat, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel: Herausgekommen ist ein großartig amüsanter, feministischer Roman, der gekonnt Fiktion und historische Tatsachen verknüpft. Wäre Hillary ohne Bill glücklicher geworden oder erfolgreicher? In jedem Fall eine ganz andere. Dieses Leben zu lesen macht unglaubliche Freude.

Elizabeth Curtis Sittenfeld, Hillary. Ein Roman, Penguin Random House, München 2021, 512 Seiten, 24 Euro Foto 4: Penguin Random House

Ein Geschichtskurs

Von Sabine Hoffmann

Unerschrockene Frauen, die entgegen allen Konventionen in ihrem Leben ganz Besonderes vollbracht haben, gab es schon immer. Aber meist hört und liest man nicht von ihnen. Armin Strohmeyr hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese ganz besonderen Personen zu porträtierten. Allein reisende Frauen oder Spioninnen, Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen – und alle haben eines gemeinsam: Sie sind unerschrocken und freiheitsliebend. Sie lassen sich nicht beirren und werden oft Wegbereiterinnen für später geborene Frauen und Männer. 

Armin Strohmeyr gelingt in seinen Porträtbänden, Zeit­geschichte aus fünf Jahrhunderten mit den Lebenslinien dieser Frauen zu verbinden. Ein feministischer Geschichtskurs für alle. Frauen wie Alexandra David-Néel, die als erste Europäerin im verbotenen Lhasa in Tibet war, oder Lynne Cox, die gegen den Kalten Krieg schwamm, sind nur zwei von über 30 Frauen, deren Geschichten es wert sind, gelesen zu werden. Auch bekannte Namen wie Agatha Christie als Orient-Versessene oder Katharine Hepburn als Afrika-Liebhaberin sind dabei. Anti-Heldinnen wie die Nonne und Konquistadorin Catalina des Erauso oder die grausame Christina von Schweden haben auch ihre eigenen Kapitel.

Verschiedene Bände von Armin Strohmeyr sind bei Piper im Malik Verlag als Taschenbuch erhältlich, u.a. „Abenteuer reisender Frauen“ (304 Seiten, 11 Euro), „Weltensammlerinnen“ (352 Seiten, 16 Euro) oder „Geheimnisvolle Frauen“ (320 Seiten, 11 Euro). Foto 5: Piper

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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