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Der Wind drehte sich schnell

In Cottbus gab die ökumenische „Umweltgruppe Cottbus“ in der ­Wendezeit wichtige Impulse für den Wandel – sie besteht bis heute. Martin Kühne war 1987 Gründungsmitglied und gestaltet seit vielen Jahren die Belange der Stadt als Abgeordneter der Stadtverordnetenversammlung (Bündnis 90/Die Grünen) mit. Mit Stefanie Krautz sprach er über die Wendezeit und was von ihr bis heute ­geblieben ist.

Martin Kühne steht vor einer Kirche
"Wir werden sowohl als engagierte Christen als auch als Umweltschützer auch unter demokratischen Verhältnissen einige Probleme kriegen und von Konservativen in die linke Ecke gestellt werden." Martin Kühne, Tagebucheintrag vom 27. Februar 1990. Foto: Stefanie Krautz

 

Herr Kühne, Sie haben 1987 die Umweltgruppe Cottbus mitbegründet. Wie lief das?

Wir haben uns zusammengefunden nach einem von Peter Model organisierten Vortrag zur Auswirkung von Atomwaffen. Am Anfang waren wir sieben bis zwölf Leute, so viele, wie in die Wohnung von Models passten. Unsere Plena haben wir in den ­Türmen der Kirche Sankt Maria Friedenskönigin abgehalten, das war ein Entgegenkommen der katholischen Kirche. Unsere Veranstaltungen­ ­fanden in der Schlosskirche statt, die heute Synagoge ist. Model war ­katholisch, hat das aber nie den Vordergrund gestellt. Wir waren immer ökumenisch.

Gegen Ende der 1980er Jahre schlossen sich uns viele Ausreisewillige an, da waren wir 60 Leute. Einige davon waren sehr engagiert, andere nur Trittbrettfahrer. Wir hatten zahlreiche Projektgruppen. Mit dem Madlower Pfarrer Krüger und Pfarrer Polster sind wir 1990 zu einer Sondersynode nach Drebkau gefahren und kamen mit Bergbaubetroffenen zusammen. Da ist mir manches noch klarer geworden, obwohl ich bereits in den 1980er Jahren jedes Jahr in der Urania drei, vier Vorträge gehalten habe über den Klimawandel. Mitte der 1990er waren wir nur noch ein winzig ­kleiner Stammtisch. Wir haben auch ökumenische Umweltgottesdienste gefeiert, auch 1990 noch. Aber die Teilnahme bei den Vorbereitungen sank zum Schluss gewaltig.

Waren die Leute bei der Umweltgruppe Cottbus (UGC) die „jungen Wilden“ des Jahres 1987?

Wild konnten wir nicht sein, auch wenn wir Leute hatten, die aus meiner Sicht manchmal über die Stränge geschlagen haben. Prinzipiell haben wir versucht, konstruktiv mit den Leuten umzugehen, haben Vorschläge an den Rat der Stadt eingebracht. Wir haben Aktionen gemacht, Baumpflanzungen, die Renaturierung der Spreeaue bei Frauendorf.  Wir haben keinen Krawall gemacht, sondern uns mit vielen Themen beschäftigt, und haben  die Fälschung der Kommunalwahl am 7. Mai 1989 aufgedeckt.

Im Jahr 1990 musste der Verein sich „richtig“ anmelden. Kam mit der Wende die Bürokratie? 

Ja, durchaus, aber ich habe das als vernünftigen Rahmen empfunden. Da kam nach den Anfangsjahren mit der widerständischen und halb geheimen Arbeit der Übergang zur offiziellen Arbeit. Was mich und andere damals bewegt hat: Dass man Abschied nehmen musste von seinen Illusionen, einen Dritten Weg zwischen gescheitertem Sozialismus und reinem Kapitalismus realisieren zu können.   

Auch beruflich: Ich bin Meteorologe und war von 1973 bis 1990 mit Projekten der Luftreinhaltung  im Institut für Kraftwerke in Vetschau befasst. 1990 habe ich die Chance genutzt, beim Aufbau des Landesumweltamtes mitzuwirken und war dort bis zu meinem Ruhestand 2015 Referatsleiter im Immissionsschutz. Da kriegten wir vom „Westen“ einen Haufen Gesetze auf den Schreibtisch gepackt, aber es war für mich, wenn es denn so lief, wie es vorgesehen war, ein ordnungsgemäßer Rahmen. Wir hatten keine Parteiwillkür mehr, und es lief auch nicht wie in einer Bananenrepublik. 

Wie ist die politische Arbeit für Sie weitergegangen?

Wir hatten den Eine-Welt-Laden begründet, wo sich außer uns noch die Unabhängige Frauen-Initiative, das Neue Forum, die Grüne Partei und Greenpeace trafen. Das war die Zentrale, ein Haus der Demokratie. Aus der UGC sind mit Peter Model und Christoph Polster zwei Leute bei den ersten freien Kommunalwahlen im Bündnis für Cottbus in die Stadtverordnetenversammlung gewählt worden. Es ging also weiter, der Kern der UGC hat nicht resigniert, wir haben uns unter den neugeschaffenen Möglichkeiten auch in die Kommunalpolitik eingemischt, waren zuvor auch bei runden ­Tischen vertreten. 

Wie war das in der Wendezeit mit Umweltthemen?

Umweltthemen waren wichtig, von den großen Skandalen wurde wöchentlich im Fernsehen berichtet. Bitterfeld und Wolfen sind ja heute noch geläufig, das fanden alle schrecklich. Auch über die Braunkohlewirtschaft wurde gesprochen, die damals ja noch viel massiver in Natur, Lebensalltag und Gesundheit der Menschen eingriff. Anfang der 1990er Jahre war noch ein allgemeines Interesse da.  Aber nach einer Weile waren das keine Aufreger mehr, es hieß: Jetzt muss es aber endlich mal wirtschaftlich vorangehen, die grünen Miesepeter sollten langsam schweigen.

So sah es ja auch bei den Wahlen aus, die Leute wollten CDU, D-Mark und Wirtschaftswunder.

Es wurde so manches besser, die großen umweltverschmutzenden Industrien wurden stillgelegt oder sauberer, das Gröbste an Sanierungen ging los. Und viele Menschen hatten andere Sorgen, Arbeitslosigkeit, sie mussten sich in die neuen Gegebenheiten einfinden. Dazu kam diese wahnsinnige Helmuth-Kohl-Gläubigkeit. Wir Idealisten und ­grünen „Visionäre“ haben bei den Wahlen genauso unsere Quittung ­bekommen wie die Parteien, die ­kritischer und sachorientierter waren. 

Der Wind drehte sich, das haben wir auch bei unseren Veranstaltungen gesehen. Wir hatten ja bis ­Februar 1990 mit dem Neuen Forum Andachten in der Oberkirche und anschließend eine Demonstration. Ende Januar schrieb ich in mein ­Tagebuch: „Ich gehe da nicht mehr hin.“ Die ganzen „Deutschland“- Schreier, die Republikaner, das ging nicht mehr, sodass wir Ende Februar beschlossen: Wir machen damit nicht weiter.

Wie war die Stimmung damals?

Der Wandel bei den Demonstrationen vollzog sich schnell. Anfangs zog ein Demonstrationszug noch zum Gebäude der „Lausitzer Rundschau“, daran konnten die Ordner nichts ändern. Da wurde skandiert „Lügen-Rudi!“, man zog zu den Gebäuden der Stasi und schmiss die Scheiben ein. Das war am Anfang stark geprägt vom Anti-SED-Geist, da hieß es „nieder mit dem Lügen-Staat“. Das ging dann schnell über in „Deutschland, einig Vaterland“.

Und wie war es in der UGC?

In unseren Gesprächen war eine deutliche Kapitalismus-Überdrüssigkeit, gar Ablehnung zu spüren, ebenso wie Kritik an der bei allen individuellen Ängsten um den Arbeitsplatz so undifferenzierten Zustimmung zum westlichen Modell. Dazu spürten wir das Ausblenden un­gelöster globaler Probleme. Wie alle engagierten Christen kommen wir an diesen Einsichten nicht vorbei. Ebenso war zu befürchten, dass Geld die entscheidende Basis zukünftiger Macht und Selbstverwirklichung sein wird – fernab von den Idealen des Evangeliums.

Aber ich habe gemerkt, dass wir einer gesellschaftlichen Katastrophe durch den stalinistischen Sozialismus entgangen sind. Es gibt auf jetzt absehbare Zeit keine realistische ­Alternative. Jedoch: Wir wollen uns Gedanken um evolutionäre Verbesserungsprozesse machen, die bei allem Zweifel an der Zukunft der Menschheit nicht ausgeblendet werden dürfen.

Also das Beste daraus machen und unbequem bleiben?

Anfangs haben wir gedacht, wir können als Bündnis für Cottbus überparteilich agieren. Das war auch erst erfolgreich. Aber wir haben gemerkt: Wenn du was bewirken willst, brauchst du das Rückgrat einer organisierten Partei. Das waren für mich die Bündnisgrünen, denen ich 1993 beigetreten bin. Seit 2008 sitze ich für diese Partei in der Stadtverordnetenversammlung. 

Was ist geblieben von der Umweltgruppe?

Nun, die UGC gibt es bis heute. In der Wendezeit nahmen etwa ein Dutzend Projekte aus der UGC ­heraus ihren Anfang, die Waldorfschule hat hier ihre Wurzeln. Heute ist die Beschäftigung mit der Braunkohlewirtschaft ein zentrales Thema der UGC, in faktenorientierter, konstruktiver Arbeit. In der Stadt gibt es auch Greenpeace, BUND und NABU, Fridays for Future. Diese jungen Leute werden durch die Darstellung in den Medien mitunter krimina­lisiert und haben einen schweren Stand, werden angegiftet. Ich schätze die Arbeit von Greta Thunberg auch, aber ich warne davor, Personen allzu sehr als Symbol für eine Sache anzusehen.

Klar ist jedenfalls, dass für die heutige Jugendgeneration nicht mehr „Null Bock“ das zentrale Thema ist.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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