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"Die Axt an die Wurzel des Nationalsozialismus legen"

Vor 75 Jahren wurde der NS-Widerstandskämpfer Helmuth James Graf von Moltke hingerichtet

Helmuth James Graf von Moltke am 10.01.1945 vor dem Volksgerichsthof in Berlin. Ein Vierteljahr vor Kriegsende, am 23. Januar 1945, wurde er als einer der führenden Köpfe des deutschen Widerstands gegen Hitler in Berlin-Plötzensee gehenkt. Der 37-jährige Schlesier hatte als Mitarbeiter der Abwehr Kontakt zu deutschen und ausländischen Oppositionsgruppen gehalten und Denkschriften über eine politische Neuordnung nach dem erwarteten Kriegsende verfasst. Seit 1943 beteiligte er sich auch an den Planungen für einen Staatsstreich. Der Volksgerichtshof stützte sein Todesurteil jedoch lediglich auf Moltkes christliche Überzeugung.

Von Michael Grau (epd)

Hannover (epd). Am Morgen des 9. Januar 1945 führen Polizisten dem nationalsozialistischen "Volksgerichtshof" in Berlin acht Männer vor. Einer der Angeklagten ragt schon rein körperlich heraus: Helmuth James Graf von Moltke (1907-1945), Jurist und Gutsbesitzer aus Schlesien, ist zwei Meter groß, so dass er sich zu Gesprächspartnern manchmal hinunterbeugt. Gemeinsam mit den sieben anderen muss sich der 37-Jährige vor dem NS-Gericht wegen des Vorwurfs des Hochverrats verantworten. Allen droht die Todesstrafe.

Moltke, Urgroßneffe des preußischen Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke, gehörte zu den wichtigsten Köpfen des bürgerlichen Widerstandes gegen Hitler. Vor 75 Jahren, am 23. Januar 1945, wurde er hingerichtet. Ab etwa 1940 baut Moltke mit Freunden ein geheimes Netz von Gleichgesinnten auf, die den NS-Staat ablehnen. "Sie beugten sich nicht dem nationalsozialistischen Totalitätsanspruch", sagt der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, Johannes Tuchel.

Zentrum der Gruppe ist Moltkes schlesisches Gut Kreisau, weshalb bald vom "Kreisauer Kreis" die Rede ist. Heute ist in der Anlage im polnischen 200-Einwohner-Dorf Krzyzowa eine Internationale Jugendbegegnungsstätte mit Gästehäusern um eine zentrale Wiese entstanden. Im historischen Schloss wird eine Dauerausstellung zum Widerstand gegen Hitler gezeigt.

Im Januar 1945 sieht sich Moltke im Volksgerichtshof dem gefürchteten Gerichtspräsidenten Roland Freisler gegenüber. Er thront hinter einem riesigen Tisch, gesäumt von vier Beisitzern. Freisler ist für seine Wutanfälle bekannt, bei denen er Beschuldigte regelrecht niederbrüllt.

Das bekommt auch Moltke zu spüren, als er die Gespräche der Kreisauer gegen die Anklage verteidigt. "Ein Orkan brach los", schreibt der Graf in einem geheim übermittelten Brief aus der Gefängniszelle an seine Frau Freya (1911-2010). "Er hieb auf einen Tisch, lief so rot an wie seine Robe und tobte: So etwas verbitte ich mir, so etwas höre ich mir gar nicht an."

Zum Kreisauer Kreis zählen rund 20 Personen: Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Konservative und Theologen. Gemeinsam mit ihnen entwickelt Moltke Konzepte für ein Deutschland nach dem Ende der Nazi-Herrschaft. Bis 1943 kommt die Gruppe zu drei Tagungen im Kreisauer "Berghaus" zusammen, das auf einer grünen Anhöhe außerhalb des Gutshofes liegt und heute, teils efeuberankt, Besuchern offensteht. Die Grundideen der Kreisauer: ein Ende nationaler Machtpolitik, ein geeintes Europa und Grundrechte für jeden Einzelnen.

Weil sie die moralischen Werte durch den NS-Staat zerstört sehen, messen sie dem Christentum und dem christlichen Menschenbild eine wichtige Rolle zu. In Kreisau habe "die Axt an die Wurzel des N.S. gelegt" werden sollen, schreibt Moltke kurz vor seinem Tod. Doch ab 1944 fliegt die Gruppe nach und nach auf.

Im Prozess sitzt Moltke dem NS-Richter mit Anzug und Krawatte an einem kleinen Tisch auf Augenhöhe gegenüber, bewacht von zwei Polizisten. "Ich sah ihm eisig in die Augen, was er offenbar nicht schätzte. Und plötzlich konnte ich nicht umhin zu lächeln."

Moltke ist der Nationalsozialismus von Anfang an zuwider. Sein Großvater hat britische Wurzeln und stammt aus Südafrika, von ihm hat Moltke seien zweiten Vornamen James. Zeitlebens bleibt der liberal und demokratisch denkende Gutsbesitzer der englischsprachigen Welt eng verbunden. In London lässt er sich Mitte der 30er Jahre zum Anwalt für britisches Recht weiterbilden.

Als Protestant ist Moltke tief durchdrungen vom christlichen Glauben. "Moltke war Christ und Jurist", erläutert Johannes Tuchel. "Er schöpfte seine Kraft aus dem Glauben, aus einer tiefen Humanität und der Vorstellung, dass in Deutschland wieder rechtsstaatliche Zustände hergestellt werden müssten." Ein Attentat auf Hitler lehnt Moltke im Unterschied zu anderen Widerstandskämpfern allerdings ab. Das neue Deutschland soll nicht mit einem Mord beginnen.

Weil er nicht in den Dienst des NS-Staates treten will, wird Moltke 1935 Rechtsanwalt in Berlin und vertritt Juden, die auswandern wollen. Ab 1939 verfasst er Gutachten zum Kriegsvölkerrecht für die Abwehr, den geheimen Nachrichtendienst der Wehrmacht. Dort sind im Stillen bereits andere Hitler-Gegner tätig, gedeckt von Admiral Wilhelm Canaris.

Im Volksgerichtshof spitzt Freisler die Verhandlung ganz auf die christliche Grundhaltung Moltkes zu, die mit dem Nationalsozialismus unvereinbar sei. Er legt ihm die Debatten der Kreisauer als Hochverrat aus. "Hochverrat begeht, wer dem Herrn Freisler nicht passt", notiert Moltke später sarkastisch. Er wird zum Tode verurteilt. "Wir haben nur gedacht", schreibt er. "Und vor den bloßen Gedanken hat der NS eine solche Angst, dass er alles, was damit infiziert ist, ausrotten will."

Die evangelische Theologin Margot Käßmann sieht Moltke heute als Vorbild für die jüngere Generation in Europa. "Moltke war ein Mann, der mit einer ganz klaren Überzeugung vor den Mächtigen stand", sagt die frühere hannoversche Landesbischöfin, die zum Kuratorium der "Freya von Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau" gehört. "Das war mehr als Widerstand, das geht darüber hinaus."

Am 23. Januar 1945 wird Moltke in der Hinrichtungsstätte Plötzensee ermordet. Die Entwürfe der Kreisauer jedoch überdauern das Kriegsende unter den Dachsparren des Kreisauer Schlosses, das nach einer Renovierung heute in neuem Glanz erstrahlt. Den Briefwechsel mit ihrem Mann versteckt Freya von Moltke bis zum Herbst 1945 in den Bienenstöcken. Und Ideen der Kreisauer sind lebendig: Auf dem früheren Gutshof der Moltkes sind seit 1998 Jugendliche aus vielen Ländern zu Gast.

Zur Person: Helmuth James von Moltke

Hannover/Kreisau (epd). * geboren am 11. März 1907 auf Gut Kreisau bei Waldenburg in Niederschlesien als ältester Sohn der Gutsbesitzer. Sein Großvater mütterlicherseits wird später oberster Richter in Südafrika

* 1925-1929 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Breslau, Berlin und Wien

* 1931 Heirat mit Freya Deichmann aus Köln

* 1935-1939 Anwalt in Berlin, Weiterbildung zum "Barrister" für britisches Recht in London

* 1938 Erste Kontaktaufnahme zu Mitgliedern des späteren "Kreisauer Kreises". Die Gruppe entwickelt Konzepte für ein Deutschland nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus.

* 1939 Dienstverpflichtung ins Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht als Sachverständiger für Völkerrecht, internationales Recht und Kriegsrecht

* 1940-1943 zahlreiche Gespräche und drei zentrale Tagungen des "Kreisauer Kreises"

* 19. Januar 1944 Verhaftung durch die Gestapo wegen einer Warnung an einen Freund vor polizeilicher Beobachtung

* 1944/45 Haft im Konzentrationslager Ravensbrück, später im Gefängnis Berlin-Tegel. Intensive Lektüre der Bibel sowie der Werke Luthers und Kants.

* 9./10. Januar 1945 Prozess vor dem NS-Volksgerichtshof in Berlin, Todesurteil wegen Hochverrats

* 23. Januar 1945 Tod durch Erhängen in der Hinrichtungsstätte Plötzensee in Berlin

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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