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Die Kirche hat die Tiere vergessen

Christ*innen müssen das Leiden der Nutztiere sichtbar machen, fordert der Theologe Thomas Ruster.

Tiere Christemtum Vegetarismus
Foto: Christophe/pixabay.com/Uwe Baumann

Der moderne Tierschutz hat auch christliche Wurzeln. Dafür steht zum Beispiel der im 12. Jahrhundert geborene heilige Franziskus, der Tiere als eigenständige Wesen wahrnahm. Franziskus Gedenktag, der 4. Oktober, ist weltweit auch Welttierschutztag. Später rief der Urwaldarzt und evangelische Theologe Albert Schweitzer zur „Ehrfurcht für das Leben“ auf. Und der erste deutsche Tierschutzverein wurde 1837 in Stuttgart von einem Pfarrer ins Leben gerufen, von Albert Knapp. Die Gründung geht auf Ideen des württembergischen Pfarrers Christian Adam Dann (1758-1837) zurück. Doch bei den Themen Tierschutz, Tierwohl und Tierleid verhalten sich beide großen Kirchen heute eher still. Öffentliche Erklärungen dazu sind selten. Der katholische Theologe Thomas Ruster attestiert den Kirchen sogar eine „Tiervergessenheit“. Ruster lehrt Dogmatik und Systematische Theologie an der Technischen Universität Dortmund und ist Mitautor des Buches „Alles, was atmet. Eine Theologie der Tiere“. Im Gespräch mit Stephan Cezanne (epd) spricht er über den Missbrauch von Lebewesen für eigene Zwecke, den verlorenen Blick für Tiere und was Kirche konkret tun kann.

Herr Professor Ruster, hat die ­Kirche die Tiere vergessen?

Ja, das kann man so sagen, genauso wie die Kirche in früheren Jahrhunderten die Sklaven vergessen hat. In der Art, wie mit Sklaven umgegangen worden ist, und in der Art, wie wir heute mit Tieren umgehen, gibt es ganz klare Parallelen. Man benutzt den Körper eines anderen Lebewesens für eigene Zwecke und entzieht dem anderen Lebe­wesen das Recht über die Nutzung des eigenen Körpers. Das war bei Sklaven so, und das ist bei Tieren immer noch so. Die menschliche Sklaverei wurde abgeschafft, aber die tierische geht weiter. Die Kirchen haben sich allenfalls in begrenztem Ausmaß für die Humanisierung der damaligen Sklavenhaltung eingesetzt. Sie haben zum Teil sogar noch Argumente zu ihrer Aufrechter­haltung beigesteuert. Heute stehen sie da und verstehen nicht, dass sie das Unrecht damals nicht gesehen haben.

Was können wir daraus lernen?

Heute sind wir in einer vergleichbaren Lage in Bezug auf die Tiere. Man wird uns später auch genauso fragen: Warum habt ihr euch damit abgefunden, dass dieses Unter­drückungsverhältnis zu den Tieren weiterhin besteht? Gegen dieses von Gewalt geprägte Verhältnis zwischen Mensch und Tier müssten die Kirchen ihre Stimme erheben.

Tierrechtler fordern eine Charta der Tierrechte, ähnlich wie die der Menschenrechte. Wäre das hilfreich?

Diese Idee könnte ein Weg sein, stößt in ihrer Umsetzung aber an ihre Grenzen. Die Quäker, die ja als eine der wenigen christlichen Gruppierungen im 18. Jahrhundert massiv gegen die Sklaverei aufgetreten sind, begründeten ihre Ablehnung der Sklaverei nicht mit den Menschenrechten. Sie waren früher selbst Sklavenhalter und haben das Leid der Sklaven wahrgenommen. Sie erkannten, dass man als Christ mit Menschen so nicht umgehen kann. Das war gar nicht so theoretisch, das ging aus der unmittelbaren Wahrnehmung des fremden Leids hervor. Das Tierrechtsargument selbst ist reichlich abstrakt. Eigentlich geht es vor allem darum, dass man anderen Wesen keine unnützen Leiden zufügen darf. Das wäre für mich ein Ansatzpunkt für die Frage, wie wir mit den Tieren umgehen.

Warum geben die Kirchen dem Tierschutz nachweislich so wenig Raum?

Diese Frage stelle ich mir schon sehr lange. Es gibt viele andere gesellschaftliche Gruppen, die sich hier viel stärker engagieren als Christen. In den normalen Gemeinden, ob evangelisch oder katholisch, findet man zu dem Thema so gut wie keine Resonanz. Das liegt sicherlich an einem tief eingewurzelten christ­lichen Weltbild, in dem man einen klaren Unterschied macht zwischen Mensch und Tier. Danach ist der Mensch etwas Höheres, das Ebenbild Gottes. Durch diese Haltung haben wir die Tiere völlig aus dem Blick verloren. Selbst wenn es so einen grundlegenden Unterschied zwischen Mensch und Tier geben sollte: Rechtfertigt er es, die Tiere so zu ­behandeln, wie wir sie behandeln? Das leuchtet mir nicht ein. Darf man Tiere quälen, töten und essen? Das ergibt sich sicher nicht ohne ­Weiteres aus dem Unterschied der verschiedenen Spezies heraus.

Sie verwenden den Begriff „Tiervergessenheit“ der Kirchen. Was meinen Sie damit?

Aus meiner Sicht hat sich die Mehrheit der Christen weithin den gesellschaftlichen Standards angepasst. Sie denken und handeln so wie die meisten, wie unsere bürgerliche Welt, wo das Thema Tiere ja auch in aller Regel von Randgruppen besetzt wird. Der Auftrag zur Hilfe für die Armen, Geschundenen und Leidenden wird von den Kirchen grundsätzlich ja gut wahrgenommen. Aber seltsamerweise werden die Tiere da nie richtig einbezogen. Wenn die Kirche für den Schutz des Lebens universal eintreten würde, dann würden auch die Tiere als von Gott geschaffene lebendige Wesen genauso im Blickpunkt stehen wie es jetzt zum Beispiel das ungeborene Leben tut.

Die Theologie betrachtete Tiere früher oft als Wesen ohne ­Vernunft. Wie ist das heute?

Heute wissen wir, dass Tiere ihre eigene Art von Vernunft haben, aber eben in ihrer Weltsicht, die sich nicht mit der menschlichen Vernunft vergleichen lässt. Es gibt ­graduelle Unterschiede zwischen Mensch und Tier, keine grundlegenden. Wir wissen zum Beispiel ­inzwischen, welche differenzierten Formen von Sprache zwischen ­Tieren gesprochen werden, dass Krähen etwa sich wiedererkennen können und sich mit Namen rufen.

Papst Franziskus hatte 2015 mit seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ den Eigenwert der Tiere ausdrücklich hervorgehoben. Sehen Sie da ein Umdenken in der ­Haltung der katholischen Kirche in ihrem Verhältnis zu Tieren?

Ich habe das zwar mit Freuden gelesen, es bleibt aber insgesamt sehr abstrakt. Papst Franziskus geht ja gar nicht direkt auf die Tiere ein, in der ganzen Enzyklika nicht, die werden niemals direkt angesprochen. Zwar zeigt der Text in die ­richtige Richtung, aber daraus ­erwächst relativ wenig für den ­konkreten Umgang mit den Tieren.

Ist der heutige Umgang mit Tieren mit Blick auf Massentierhaltung und Tierversuche Sünde?

Überall da, wo Glaube, Hoffnung und Liebe beschädigt werden, liegt Sünde vor. Zum Beispiel, dass man den Tieren nicht gestattet, sich mit ihren Artgenossen so zu verhalten, wie sie sich verhalten wollen. Die Haltung in Vereinzelung ist etwas, worunter Tiere zutiefst leiden. Dass wir ein solches Gewaltverhältnis ­zulassen, ist für mich ein klarer Fall von Sünde.

Was könnten die Kirchen mehr für den Tierschutz tun?

Es geht vor allem darum, dass Christen vorangehen, etwas tun, was öffentlich sichtbar wird. Christen müssten das Leiden der Tiere sichtbar machen. Dieses Leid ist oft nicht sichtbar, findet etwa in geschlossenen Schlachthöfen statt, man sieht es nicht an der Fleischtheke. Das ist analog zur historischen Sklaverei. Auch die amerikanischen Farmer, die viele Sklaven hatten, haben das nie sichtbar gemacht, die Sklaven waren immer im Hintergrund.

Was könnten die Kirchen konkret tun?

So wie der US-amerikanische Theologe und Sozial-Aktivist ­William Stringfellow (1928–1985) Gottesdienste vor Rüstungsdepots veranstaltet hat, könnte man heute Gottesdienste vor Schlacht­höfen abhalten. Oder ein anderes Beispiel: Eine mir bekannte brasilianische ­Ordensschwester gründete jetzt ein Heim sowohl für bedürftige Kinder als auch für ­bedürftige Tiere. Warum könnten Diakonie und Caritas keine Abteilungen für notleidende Tiere einrichten? Man könnte bei Pfarrfesten oder in kirchlichen Tagungshäusern den Schwerpunkt auf vegetarisches Essen legen.

Dürfen Christ*innen kein Fleisch essen?

Ich will nicht apodiktisch sagen, dass Fleischkonsum für Christen ausgeschlossen ist. Das kann man so nicht sagen. Aber man kann sagen, dass es ein starkes prophetisches Zeichen ist, wenn Menschen nicht wegen der Gesundheit, sondern eben wegen der Tiere auf Fleischkonsum verzichten. Da könnte die Kirche wirklich vorangehen. Im Grunde müsste man in diesem Punkt die Beweispflicht umkehren: Nicht der Vegetarier oder Veganer, sondern der Fleischesser müsste sein Verhalten begründen.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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