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Die Lieblingskinder Gottes und ihr Präsident

Die Unterstützung, die US-Präsident Donald Trump aus den Reihen der Evangelikalen erhält, wirft Fragen auf. Über das Verhältnis des nordamerikanischen Protestantismus zur Demokratie. Darüber spricht Philip Gorski, Professor für Soziologie an der Yale University, im Interview mit Tilman A. Fischer.

Trump Evangelikale Christen
Foto: Daniela Araya/unsplash

Herr Gorski, 1939 schaffte es Kate Smiths Einspielung von „God Bless America“, eine der inoffiziellen Nationalhymnen der Vereinigten Staaten, in die Top 10 der US-Hitparade. Was hat es traditionell mit dem besonderen Verhältnis Gottes zu den USA auf sich?

Die Amerikanerinnen und Amerikaner haben sich schon immer als Lieblingskinder Gottes verstanden. Das fing schon mit den Puritanern in Neuengland an, die sich als die wahrhaftigen Nachfolger*innen der Alt-Israeliten begriffen haben. Die heutigen Evangelikalen sind nicht mehr ganz so anmaßend, glauben aber, dass Amerikas Macht und Wohlstand mit ihrer Frömmigkeit und Gottesfürchtigkeit zusammenhängt.

An welche biblischen und theologischen Traditionen konnten die ersten christlichen Siedlerinnen und Siedler in Amerika anknüpfen?

An zwei inzwischen fast vergessene Strömungen protestantischer Theologie: die sogenannte Bündnistheologie und die typologische Hermeneutik. Die Puritaner*innen glaubten, ein heiliges Bündnis mit Gott abgeschlossen zu haben: Sie sollten die biblische „Stadt auf dem Hügel“ aufbauen; Gott würde sie im Gegenzug beschützen und ihnen gnädig sein. Daher also „God Bless America“. Die Puritaner*innen verstanden die Figuren und Bilder vor allen des Alten Testaments nicht als einmalige geschichtliche Ereignisse, sondern vielmehr als sich wiederholende Dramen, in denen auch sie selbst ihre Rollen spielten.

Welches Verhältnis konnte sich vor diesem Hintergrund seit der europäischen Besiedlung Amerikas zwischen den christlichen Denominationen und der Demokratie entwickeln?

Das Verhältnis war lange eher komplementär. Intern waren die Kirchengemeinden selbst demokratisch organisiert. Die Kirchen- und Predigerämter wurden zumeist lokal gewählt. So dienten sie als „Schulen der Demokratie“, wie der große französische Soziologe Alexis de Tocqueville sie bezeichnete. 

Gilt das auch noch heute?

Nicht mehr. Immer mehr Kirchengemeinden sind unter ökonomischen Gesichtspunkten organisiert. Sie werden von oben geführt von unternehmenslustigen Pastor*innen und wohlhabenden Geschäftsleuten aus der Gemeinde. Der Kirchendienst wird zur Dienstleistung, der Kirchenbesuch zum Spektakel und das Kirchenvolk zum bloßen Publikum.

Hat das auch die politischen Mentalitäten amerikanischer Christ*innen verändert?

Ja, und zwar entscheidend. Die kleinen, eher demokratisch strukturierten Kirchengemeinden – in den Worten Tocquevilles noch „Schulen der Demokratie“ – weichen zunehmend großen, eher geschäftlich ausgerichteten Kirchen-Unternehmen, in denen sich der Pastor als Vorstandsvorsitzender versteht. Kein Wunder also, dass so viele Mitglieder sogenannter Megakirchen sich zu Hause fühlen bei Trump.

Bei allen Unterschieden waren die Präsidenten der USA immer auch als Christen erkennbar. Was verbindet und was unterscheidet zum Beispiel den Baptisten und Demokraten Jimmy Carter vom Methodisten und Republikaner George W. Bush?

Rückblickend trennt sie weniger, als man gemeinhin zu denken pflegt, zumindest, was die Sozialpolitik betrifft. George W. Bush wollte die Republikanische Partei im Sinne eines „barmherzigen Konservativismus“ umgestalten. Wie Jimmy Carter wollte er eine Politik im Sinne christlicher Nächstenliebe verfolgen. Wäre 9/11 nicht gewesen und Dick Cheney nicht im Amt, wäre es ihm vielleicht auch gelungen. Nur glaubte Bush – wie allzu viele konservative Christinnen und Christen in den USA –, dass man das Böse mit Gewalt aus der Welt jagen könne und die USA speziell dazu berufen seien.

Donald Trump – unter anderem mehrfach verheirateter Betreiber von Spielcasinos – scheint auf den ersten Blick für einen Erfolg im christlich-konservativen Milieu nicht prädestiniert zu sein. Was verschafft ihm dennoch gerade unter Evangelikalen einen so großen Zuspruch?

Nicht wenige glauben im Ernst, dass Trump ein „guter Christ“ sei. Manchen geht es darum, möglichst viele konservative Richter ins Amt zu setzen und dadurch eines Tages die Abtreibung völlig zu verbieten. Viele amerikanische Christ*innen halten sich für „die meist verfolgte Gruppe“ in den USA und sehen in Trump einen starken, von Gott gesandten „Beschützer.“

Worauf beruht dieses Empfinden?

Konkret wird auf bekannte Fälle hingewiesen, wie zum Beispiel die von strengen Evangelikalen in Colorado geführte Bäckerei, die vor Gericht kam, weil die Betreiber keinen Hochzeitskuchen für ein schwules Paar backen wollten. Generell berufen sich viele weiße Evangelikale auf ihre „religiöse Freiheit.“ Was sie mit deren angeblicher Beschneidung in Wirklichkeit meinen, ist der Verlust ihrer Privilegien als die tonangebende Mehrheit. Dabei versteht sich diese Gruppe als eine Mehrheit unter den Weißen, die sich insgesamt inzwischen einer nicht-weißen Mehrheit gegenübersehen. Also sind in diesem Fall Religion und Hautfarbe völlig miteinander verquickt.

Aus deutscher Perspektive wird gern über „die“ amerikanischen Evangelikalen und Trump gesprochen. Wie legitim ist es jedoch, die Evangelikalen über einen Kamm zu scheren? 

Wenn man von „den“ Evangelikalen spricht, hat man meistens ältere, weiße Evangelikale im Sinne. So viele theologische Gemeinsamkeiten sie auch mit jüngeren und nicht-weißen Evangelikalen haben, vertreten letztere oft eher fortschrittliche politische Ansichten, beispielsweise was Einwanderung oder Klimaschutz betrifft. 

Wie wiederum stellen sich die theologisch moderateren evangelischen „Mainline Churches“ der USA zur gegenwärtigen Regierungspolitik?

Die sind auch politisch moderater. Aber auch in ihren Reihen finden sich viele weiße christliche Nationalist*innen, die mit den Evangelikalen das Gefühl teilen, „ihr“ Land zu „verlieren.“

Lassen Sie uns zum Schluss auf die anstehende Präsidentschaftswahl blicken. Ich möchte Sie um zwei Szenarien bitten. Zunächst: Wie könnte ein Wahlsieg Trumps das Staat-Kirche-Verhältnis weiter verändern?

Ein Wahlsieg Trumps würde meiner Meinung nach nur wenige Folgen für das Staat-Kirche-Verhältnis haben, dafür ganz verheerende Folgen für die Demokratie. Es würde vielleicht leichte Verschiebungen der „Trennungsmauer“ geben, etwa was die Rechte christlicher Firmen oder Unternehmen betrifft. Aber vor allem wäre es mit freien und offenen Wahlen erst mal vorbei in den USA.

Inwiefern sollten spätere Wahlen unfreier sein? Und an welchem Punkt könnten sich amerikanische Christ*innen und Kirchen zu öffentlicher Kritik und Intervention berufen fühlen – im Sinne Bonhoeffers Formulierung „dem Rad in die Speichen zu fallen“?

Sollten Trump und die Republikanische Partei die Wahl gewinnen und im Amt bleiben, werden sie ihre bisherige Strategie fortsetzen: das heißt, Wahlrecht und Wahlbeteiligung so zu beschränken und die Wahlkreisen so einzuteilen, dass eine Bevölkerungsminderheit dennoch die politische Mehrheit stellen kann. Darüber hinaus werden sie sich nicht scheuen, offenkundigen Wahlbetrug zu begehen. Man schaue nur, wie sie gegenwärtig gegen die Briefwahl agitieren. Sollte Donald Trump 2020 gewinnen, heißt der Präsident 2024 wahrscheinlich immer noch Donald Trump – es fragt sich nur, ob senior oder junior. 

Widerstand dürfte wohl in erster Linie aus den Reihen der Schwarzen Kirchen kommen, die seit der ersten Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre zu den Hauptträgern demokratischer Werte geworden sind.

Zuletzt: Wie könnte sich demgegenüber ein Wahlsieg der Demokraten auswirken?

Das ist zurzeit die letzte Hoffnung für die amerikanische Demokratie.

Buchtipp:
Philip Gorski,
Am Scheideweg. Amerikas
Christen und die Demokratie vor und nach Trump,
Herder Verlag, Freiburg 2020, 224 Seiten, 24 Euro

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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