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Die Strömung ist stärker als der Gegenwind

Gegen Widerstände rettet die zehnköpfige Crew des Seenotrettungsschiffs „Iuventa“ Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmehr. Dafür erhält die sogenannte „Iuventa10“ den Amnesty-Menschenrechtspreis 2020. Die Preisverleihung sollte am 22. April im Berliner Gorki-Theater stattfinden. Zeitgleich laufen gegen die zehn Aktivist*innen aus Deutschland, England, Portugal und Spanien strafrechtliche ­Ermittlungen in ­Italien. Der Seemann Jonas Buja gehört zwar nicht zur Gruppe der ­Iuventa10, ist aber bei der Seenotrettungsorganisation Sea Watch und auf der Iuventa im Einsatz. Gegenwind erlebt er auf See ganz oft. Kein Grund den Kurs zu ändern.

Seenoretter Iuventa Jonas Buja
Seit 2015 rettet Jonas Buja mit seinem Team als Erster Offizier erst auf der „Sea Watch“ und dann auf der „Iuventa“ Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer. Foto: Michael Miklas

Von Jonas Buja

Ich bin Seemann. Dass der Wind von vorne kommt, kenne ich. Dass Tide und Gezeiten, der Strom einen in die falsche Richtung versetzen auch. Was ich aber auch weiß, das ist, dass die Wellen besonders steil und ­gemein werden, wenn die Strömung gegen den Wind setzt, also der Strom in die eine Richtung geht, der Wind in die entgegengesetzte Richtung weht.

So wie ich Seemann bin, bin ich auch Seenotretter. Da sind es nicht Wind und Strom, die zwar am selben Seil, aber leider nicht in dieselbe Richtung ziehen. Afrika und Europa. Arm und Reich. Christ und Moslem. Schwarz und weiß. Gut und Böse. Links und rechts. Viele Antithesen zwischen denen die Wellen ebenso steil werden wie zwischen Wind und Strom.

Vieles – und leider auch viele – gibt es, die uns Seenotrettern das Leben, unsere Mission Menschen­leben zu retten, schwer machen. Dazu gehört auch ein sizilianischer Staatsanwalt, der bereits 2016 Ermittlungen gegen uns aufgenommen hat. Gegen zehn von uns, die ­Iuventa10, laufen bis heute Unter­suchungen wegen Beihilfe zur illegalen Einreise. Ein Vorwurf, der, wäre er nicht so haltlos, in fast vier Jahren sicherlich schon zu Verurteilungen geführt hätte. Das ist der Gegenwind, dessen Tosen und Brausen jeder im Ohr hat und im Gesicht spürt. 

Die Strömung – kaum zu spüren für jene, die nicht selber mit auf dem Wasser sind –, die Strömung aber ist stärker. Und setzt in unsere Richtung. Exemplarisch für die Strömung ist ein Mann, der ebenfalls aus Sizilien kommt. Es ist Leoluca Orlando, der Bürgermeister von Palermo, der auch als Gast mit Heinrich Bedford-Strohm, dem Ratsvorsitzenden der EKD, beim Kirchentag im letzten Jahr in Dortmund war. So manchem Seenotretter hat er schon freundschaftlich die Hand gereicht.

Diese beiden Beispiele, diese zwei Männer, die eine Insel gewissermaßen in zwei Hälften spalten, zeigen wie nah hell und dunkel, Tag und Nacht beieinander liegen. In mir sieht es oft nicht anders aus. Wie gerne möchte ich manchmal den Kopf in den Sand stecken. Wie gerne möchte ich mal wieder einen Artikel über Seenotrettung im Mittelmeer lesen, ohne mich persönlich angegriffen zu fühlen. Wie gerne möchte ich einfach in den sicheren Hafen, der mir Schutz und Schirm gegen jeden Sturm ist, einlaufen.

Aber das tue ich nicht. Das tun wir nicht. Laura, Dari, Miguel, Zoe, Uli, Kathrin, Sascha, Miguel, Pia und Hendrik, die Iuventa10, wissen viele auf unserer Seite. Die einen retten weiter aktiv Leben, die anderen kämpfen vor Gericht, gehen mit uns auf die Straße oder backen Kuchen, um damit Spenden zu sammeln. Wir kämpfen weiter!

Jede und jeder, alle die mit uns kämpfen, die Seenotretterin wie der Kuchenbäcker, sie alle sind Hoffnungsschimmer. Leute, die uns ein Licht in der Dunkelheit sind. Und jedes Licht macht es ein bisschen heller. Und heller. Wir, die Guten, wir können unser Licht in die Unendlichkeit größer werden lassen. Die anderen, die Bösen, können das nicht. Wenn es erst einmal dunkel ist, dann geht es nicht noch dunkler. 

Weil wir das wissen, weil wir uns – das sind auch Sie, die uns unterstützen – haben, weil wir die Hoffnung haben, weil wir die Hoffnung sind für diejenigen, die ohne uns im Mittelmeer ertrinken würden, geben wir nicht auf. Die Hoffnung allein reicht aus! Es wird hell! Neben der Strategie, die ich einfach mal als universal und für jeden von uns für gültig erkläre, jedes Lichtlein als hellen Schein wahrzunehmen, hat natürlich auch jeder seine persönliche Taktik, sich nicht unterkriegen zu lassen. Bei mir ist es der Glaube, der mich durch Höhen und Tiefen trägt.

Tatsächlich stehe ich unter Seenotretter*innen als gläubiger Christ relativ alleine da, auch wenn ich meine, an Bord der „Iuventa“ Menschen und Freunde getroffen zu haben, die in ihrem Handeln weitaus christlicher sind als viele, die sich zu unseren großen Kirchen in Deutschland bekennen. 

Mein Glaube ist ein wichtiges Fundament. Wenn ich doch gerade nicht weiß, welche Mauer trägt und ob das Dach über meinem Kopf nicht ein Leck hat, dann weiß ich immer noch um den festen Grund unter meinen Füßen. Wenn ich mich frage, warum denn ausgerechnet ich der Podiumsgast sein muss, der gerade bei einer Veranstaltung beleidigt wird oder warum ich nicht wie normale Leute meinen Urlaub am Strand verbringen und das Leben einfach nur genießen kann oder warum es denn jetzt ausgerechnet meine Freunde sein müssen, die vor Gericht gestellt werden sollen, dann erinnere ich mich daran, dass Gott schon wissen wird, warum das jetzt so sein muss. Mit Sicherheit ein schwacher Trost für die, die weniger fest im Glauben stehen, aber eben ein fester Halt für mich, wenn alles andere wankt. Jesus Christus, das Licht der Welt.

Aus einer ganz anderen Verzweiflung heraus als dem Empfinden gegen Windmühlen kämpfen zu müssen, hat vor einiger Zeit Dietrich Bonhoeffers Gedicht „Von Guten Mächten“ nochmal eine neue Bedeutung für mich erhalten. Eigentlich ist es ja ein Adventsgedicht, das aus der düsteren Gefängniszelle den Blick auf den Erlöser, den Retter, das Licht der Welt lenkt. 

Traurig und verzweifelt habe ich den Text gelesen, während meine Augen immer feuchter wurden, der Blick aber auch wieder klarer. Am Ende angekommen konnte ich ­wieder fröhlich lächeln, voller Mut und geborgen. 

Solange der Strom uns die Treue und auf Kurs hält, bleiben wir stark. Bis zum Morgen, wenn es Licht wird und der Wind mit der aufgehenden Sonne dreht. Dann geht es weiter, unser Engagement und viele Menschenleben sind gerettet auf die Hoffnung hin.

Jonas Buja ist seit 2015 in der Seenot­rettung aktiv (2015: Erster Offizier auf der „Sea Watch“; 2016/2017: Erster ­Offizier auf  der „Iuventa“. Seit fünf Jahren ist er beruflich als ­Nautischer Wachoffizier auf Gast­ankern tätig. In der evangelisch-­lutherischen ­Marienkirchengemeinde Holtland in der Hannoverschen Landeskirche ist er seit 2012 Kirchenvorsteher. 

Spendenkonto zur Unterstützung der Seenotretter Iuventa10

Borderline Europe e.V.

DE97 4306 0967 4005 7941 04

GENODEM1GLS

Stichwort: Iuventa10

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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