Von Bischof Christian Stäblein
Die zweite Welle: Niemand weiß so genau, ob und wann sie kommt (oder womöglich schon da ist?) und wie sie ausfällt. Die derzeit nach oben schnellenden Corona-Infektionszahlen machen Sorge, mir auch. Den folgenden Sätzen vorweg gestellt sei deshalb: Lieber keine zweite Welle, keine Viruserkrankungen, keine neuen schweren Verläufe, keine am Virus Sterbenden ist in jedem Fall besser als alles andere.
Das vorangestellt gilt allerdings auch: Fürchtet euch nicht! Wir sind doch jetzt ganz anders eingestellt. Zunächst einmal praktisch, etwa in Sachen Masken. Vor einem halben Jahr Mangelware, jetzt in jeder Jackentasche bei mir vorrätig. Tatsächlich vergesse ich manchmal schon, die Maske beim Rausgehen aus einer Veranstaltung wieder abzunehmen. Daneben wissen wir inzwischen viel genauer, wie sich das Virus ausbreitet: Gut gelüftete Räume werden uns durch den Winter begleiten, das ist kein Schaden, auch nicht für manchmal muffige Kirchen, Gemeindehäuser oder Büros.
Überhaupt, wir als Kirche werden erleben, wie gut entwickelt die im Frühjahr erprobten Formate inzwischen sind. Gottesdienst im Livestream, Bibelstunde per Zoomkonferenz, Singen mit Maske, Beten und Feiern vor Ort mit Abstand und Gottes Nähe – dazu draußen präsent auf den Plätzen und Straßen, all das ist eingeübt. Hörbarer als bei der ersten Welle werden wir die Gesellschaft noch mehr auf die aufmerksam machen, die dann womöglich wieder allzu schnell übersehen werden: die allein oder gemeinsam Erziehenden. Die Kinder, dass sie nicht hinter der zweidimensionalen Welt der digitalen Apparate versinken. Schließlich: Dasein für die Kranken und Sterbenden, gerade auch in den Heimen, gerade auch für die, die nicht Corona „haben“.
Wir wissen, wie sehr Kirchengebäude als Räume für Einkehr und Gebet gebraucht werden. Wie gut. Sie bleiben offen. Und wir haben erfahren, wie sehr die Menschen zum Glück Fragen jenseits der Gesundheitssorge stellen. Fragen nach dem Warum. Nach dem Sinn. Fragen ums Sterben. Und nach der Hoffnung auf Gottes Mitsein im Tod – und in Ewigkeit. Die zweite Welle wird diese Fragen wieder nach oben tragen. Würde ich sagen „gut so“, klänge es geradezu zynisch. Das wäre grober Unfug. Inständig hoffe ich, dass uns die zweite Welle erspart bleibt. Aber wenn, dann: Fürchtet euch nicht. Klar, es wird anders werden, es wird neue Fragen, neue Herausforderungen geben. Nicht zuletzt die, dass Energie, Nervenkostüm und Kraftreserven vielerorts aufgebraucht sind. Es wird nicht alles gelingen, selbstverständlich, auch uns nicht. Und umso mehr gilt: Wir sind da. Guckt hin. Fürchtet euch nicht.