Von Bischof Christian Stäblein
Meine Mutter, die nach einem Sturz und einem Aufenthalt in der Reha ihre Weihnachtstage in der Übergangspflege verbringen muss, zeichnet sich dadurch aus, dass sie – auch als Pfarrerin – stets klare Überzeugungen hat. In den vergangenen Wochen, erzählt sie, in denen sie manches durchstehen musste, habe sie in ihrer Verzweiflung gedacht: Was soll’s, dann singe ich dagegen an. Mal sehen, was passiert. Sie habe laut gesungen – dazu muss man wissen: Sie hört nicht mehr so gut, sie wird sehr allein sehr laut gesungen haben – und es habe tatsächlich geholfen. Nichts ist so gut wie diese klaren, knappen, verdichteten, einprägsamen Botschaften aus dem Gesangbuch, sagt sie.
Warum ich das erzähle? Erstens ist das eine sehr wichtige Botschaft in der Pandemie. Das Singen, das uns so fehlt, funktioniert auch zu Hause und da laut und gut. Zweitens hilft es mir, in dieser letzten Kolumne des Jahres meine Botschaft mit einem Weihnachtslied zu verknüpfen. Ich denke in diesen Tagen oft an jene Verse, die an keinem Weihnachtsfest fehlen dürfen: O du fröhliche, o du selige. Die drei kurzen Strophen des von Johannes Falk und Heinrich Holzschuher im 19. Jahrhundert gedichteten Liedes drücken das aus, was heute wichtig ist.
Welt ging verloren, Christ ist geboren. Was das bedeutet, erfahren wir an diesem zweiten Weihnachtsfest in Corona-Zeiten nah und real. Mit der Pandemie gehen Welten verloren, die uns vertraut und wichtig waren. Wir mussten und müssen Abschied nehmen von Menschen, die uns sehr fehlen. Wir müssen auch Abschied nehmen von der Täuschung, dass wir alles im Griff haben, gar unser Leben. Welt ging verloren. Christ ist geboren. Gott lässt es nicht enden in Tod und Täuschung. Gott fängt neu an mit uns. Das feiern wir Weihnachten.
Christ ist erschienen, uns zu versühnen. Dass wir uns nach so einem Jahr viel zu verzeihen haben, spüren wir fast alle. Die Pandemie hat uns mürbe gemacht, die Empörung in und um uns schlägt schnell hohe Wellen. Vielleicht auch, weil wir merken, was wir übersehen haben, weil oft ein Thema alles zu beherrschen scheint. Der Riss geht durch Freundschaften und Familien. Wie sollen wir miteinander umgehen? Wie kommen wir Weihnachten zusammen? Genau so, genau deshalb: Christ ist erschienen, uns zu versühnen.
Himmlische Heere, jauchzen dir Ehre. Das ist das Wundersame an diesem Fest. Wir sind nicht allein, auch da, wo wir uns allein wähnen. Himmlische Heere sind immer schon da. Es beginnt im Dunkel auf den Feldern. Und es setzt sich in unseren verängstigten Herzen fort. Gottes Engel sind immer schon da. In einer Zeit, in der das Alleinsein so viele Menschen verschlingt, bedeutet das Trost und Hoffnung. Himmlische Heere, egal wo du bist.
Drei kurze Strophen. Das Singen in den Kirchen wird vielerorts fehlen. Umso mehr gilt: Man kann sehr laut allein oder mit Familie und Freunden singen. Ob es immer hilft gegen den Festtagsblues? Das kann ich nicht versprechen. Aber wir werden es nicht erfahren, wenn wir es nicht ausprobieren. O du fröhliche.