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Eberhard Jüngel Nachruf (1935-2021)

Nachruf Eberhard Jüngel

Eberhard Jüngel 1999

Gottes Kommen ist reiner Überschuss an Liebe

Der Theologe Eberhard Jüngel starb am 28. September im Alter von 86 Jahren. Der Tübinger Universitätsprofessor gilt als einer der bedeutendsten evangelischen Theologen der Gegenwart. Jüngel lehrte in Berlin, Zürich und ab 1969 in Tübingen. Sein Schüler Wolf Krötke studierte bei ihm ab 1961 am Sprachenkonvikt in Ostberlin. Als er 1967 kurz vor seiner Promotion bei Jüngel stand, reiste dieser, der inzwischen in Zürich lehrte, eigens zur mündlichen Prüfung im Promotionsverfahren nach Berlin an. Beide Theologieprofessoren verband eine ­lebenslange Freundschaft

Von Wolf Krötke

„Gott ist nicht notwendig. Er ist mehr als notwendig.“ – „Er ist um seiner selbst willen interessant.“ Sein Kommen zu uns ist „reiner Überschuss seiner Liebe. Wo die sich ereignet, tritt keine weitere Erfahrung neben andere, sondern es kommt zu einer Erfahrung mit allen Erfahrungen. Alles rückt damit in ein neues Licht“.

Alle, die sich in der Theologie auskennen, wissen, wenn sie diese Sätze hören: Hier spricht Eberhard Jüngel. Hier redet einer auf un­verwechselbare Art vom Kommen Gottes in unsere Welt. Hier begegnet uns eine Stimme, welche die Wahrheit des christlichen Glaubens so zu sagen vermochte, dass sie denen, die an Gott glauben, neu einleuchtet, aber auch Nichtglaubende aufmerken lässt. Jetzt ist diese Stimme verstummt. Eberhard Jüngel ist am 28. September im Alter von 86 Jahren gestorben.

In einigen Nachrufen, die alsbald erschienen sind, heißt es häufig, Jüngel sei ein „großer Theologe“ ­gewesen. Ich weiß nicht, ob ihm das gefallen hätte. Karl Barth, den er ­seinen „großen Lehrer“ nannte, hat gemeint, es könne zwar große Mediziner geben oder große Musikerinnen wie Clara Haskil, aber ein „großer Theologe“ sei ein „hölzernes Eisen“.

 „Wesentliche Worte gewähren mehr Zeit, als sie verbrauchen“

Das entspricht dem, wie Jüngel sein theologisches Schaffen summiert hat. In seinem letzten Predigtband mit dem Titel „Allerneuernde Klarheit“ (2009) hat er gesagt: „Was man seit einiger Zeit ‚Jüngels Theologie‘ zu nennen pflegt“, kann man „am ehesten in seinen Predigten kennenlernen“. Beim Predigen aber geht es nicht darum, dass Menschen sich auf der Kanzel profilieren, ­sondern dass sie zur Freude an Gott in seiner Klarheit einladen.

Jüngel vermochte diese Klarheit exzellent zur Sprache zu bringen. Das geschah vor allem im Gottesdienst, den er als „heilsame und ­elementare Unterbrechung“ des tätigen, alltäg­lichen Lebens verstand. Von seinen Predigten machen Pfarrerinnen und Pfarrer bis heute Gebrauch. Denn sie sind voll von „wesentlichen Worten“, die man nach einem Diktum Jüngels „daran erkennt, dass sie mehr Zeit gewähren, als sie verbrauchen“. Im Umgang mit dem Reichtum der Sprache war Jüngel also tatsächlich ein „Großer“.

Vergleichbares kann man von seinem wissenschaftlichen Werk sagen. Für dieses Werk, aus dem „Gott als Geheimnis der Welt“ ­herausragt, hat er viele Ehrungen ­erfahren, die hier gar nicht alle aufgezählt werden können. Er ist aufgrund seines öffentlichen Eintretens für eine demokratische, menschenfreundliche Gesellschaft als einziger Theologe in den Orden „Pour le Mérite“ für Wissenschaften und Künste ­berufen worden und war dessen Kanzler.

 Jüngel duldete kein Mogeln beim Auslegen der Texte

Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck hat 2015 als Schirmherr ­dieses Ordens bei einem Ehrenessen für ihn gesagt: „In Ihnen hat die deutsche Universität einen wirklich großen akademischen Lehrer gefunden. Akademische Freiheit, hoher wissenschaftlicher Anspruch – an andere, aber auch an sich selbst – Liebe zur Wahrheit und eine Leidenschaft, sich als akademischer Bürger für alle ­Belange der Universität, aber auch des Gemeinwesens einzusetzen, das alles hat ihr Wirken, nein ihr ganzes Leben bestimmt.“

Jüngel hat sich solche Ehrungen ohne viel Eitelkeit gefallen lassen, darüber aber nie seinen eigentlichen Beruf vernachlässigt. Das war die Ausbildung von Studierenden. Da duldete er kein Mogeln beim Aus­legen der Texte und kein Gerede, wenn es galt, der Wahrheit Gottes nachzudenken. „Bloß keine frommen Sprüche“, konnte er sagen. „Gott hasst sie.“ „Sie sollten hier nicht die Predigten von Pastor xy zitieren“, hat er mir in diesem Sinne an den Rand meiner neutestamentlichen Seminararbeit geschrieben.

Er forderte von den Studierenden, dass sie den Glauben an Gott klar und differenziert bis in die kompliziertesten Fragen hinein bedenken. Er selbst konnte, wenn er einen Gedankengang entfaltete, provozierend schmunzelnd sagen: „Ich füge noch ein paar Abstraktionen hinzu, damit die Sache konkreter wird.“ Aber das waren natürlich keine weltfernen Abstraktionen, sondern Perspektiven, die es ermöglichten, auf die Probleme des christlichen Glaubens verständiger zurückzukommen. Wir sollten befähigt werden, den Glauben gegenüber dem Atheismus auch argumentierend zu ver­treten.

 Konzentration auf den ­Reichtum der Liebe Gottes 

Das war im Osten gegenüber der mit staatlicher Macht beförderten atheistischen Religionskritik ebenso ­geboten wie in der weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft des ­Westens. Beidemal hat Jüngel die Konzentration auf den Reichtum der Liebe Gottes als die wahrhaft zeit­gemäße Antwort auf die Infrage­stellungen des christlichen Glaubens verstanden. Dekonzentrierte Theologie, die gesellschaftlichen Strömungen nur ein paar religiöse Aspekte hinzufügt, macht sich dagegen selbst überflüssig. Schlimmer noch: Jüngel war der Ansicht: „Was dem Glauben an theologischem Ver­stehen vorenthalten wird, wird zwangsläufig durch Aberglauben ­ersetzt.“

Das ist der Aberglaube an irgendwelche Ideologien, die in der Gesellschaft im Schwange sind. Um die Freiheit der Kirche von dergleichen ging es Jüngel, als er 1961 am „Sprachenkonvikt“ zunächst Dozent für Neues Testament und dann für ­Systematische Theologie wurde. Für diese Freiheit ist er unter den Bedingungen der westlichen Gesellschaft von 1966 an in Zürich und Tübingen eingetreten. Er hat darum in Synoden mitgearbeitet und war lange Zeit Vorsitzender des Theologischen Ausschusses der Evangelischen ­Kirche der Union und der Kammer für Theologie der Evangelischen ­Kirche in Deutschland.

 Was nicht wahr ist, macht auch nicht frei

Wie ein roter Faden zieht sich dabei durch sein Wirken das Bestehen auf der Zusammengehörigkeit der Freiheit der Kirche mit der Wahrheit, die sie zu vertreten hat. „Was nicht wahr ist, macht auch nicht frei – was nicht frei macht, ist auch nicht wahr“, heißt ein charakteristischer Vortrag, den er 1977 zum 500-jährigen Jubiläum der Tübinger Universität gehalten hat.

Hier und auch sonst hat sich Jüngel dagegen gewendet, dass die Wahrheit des christlichen Glaubens als ein „Wert“ auf einer Skala von Werten verstanden wird, die Menschen festlegen. Das zerstört die Glaubensgewissheit, weil Menschen zu den unterschiedlichsten Wertungen der „christlichen Religion“ kommen. Der christliche Glaube bringt demgegenüber eine „wertlose Wahrheit“ zur Sprache. Sie prägt ein, wie die Welt in der Liebe Gottes Bestand hat und dass jedem Menschen von Gott her eine Person-Würde vor allem seinem Tun und Lassen zukommt.

 Theologie der Ankunft Gottes leistet Aufklärung der Welt

Gegen ein Gottesverständnis, dass diese Wahrheit verdunkelt, indem es Gott in ein unaussprechliches, dunkles Jenseits verweist, hat Jüngel ­kategorisch gesagt: „Gott hat sich im Leben und Sterben Jesu Christi selbst definiert.“ Davon habe alle christ­liche Verkündigung und alle christliche Theologie auszu­gehen. Sie ist „Theologie des Kommens, des ­Adventes Gottes“, die „Aufklärung der Welt im Lichte des Evangeliums“ zu leisten hat.

Dass Eberhard Jüngel für diese Aufklärung sehr viel getan hat, duldet keinen Zweifel. Ihm selbst leuchtet nun das ewige Licht, von dessen Vorschein in dieser Welt seine Theologie geprägt war. Einer kommenden Generation aber möge sein hinterlassenes Werk Ermutigung und Herausforderung sein, mit solchem Aufklären in einer sich rasant verändernden Welt immer wieder aufs Neue zu beginnen.

Wolf Krötke ist Professor für Systematische Theologie in Berlin und Mitherausgeber von „die Kirche“. Wir gratulieren ihm zu seinem 83. Geburtstag in dieser Woche. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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