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Ein Verlag im Wandel der Zeiten

Der Berliner Wichern-Verlag feiert sein 100-jähriges Bestehen. Von den Nachkriegswirren in den 1920er Jahren über die Zeit des Nationalsozialismus, der Teilung von Land, Berlin und Kirche in Ost und West bis zur Wiedervereinigung und der digitalen Revolution hat der christliche Verlag in unserer Landeskirche viel erlebt und publizistisch begleitet – nicht zuletzt auch mit „die Kirche“, die im Wichern-Verlag erscheint.

Von Sabine Hoffmann

Mit der Bildung von Groß-Berlin am 1. Oktober 1920 fällt auch die Gründung des Wichern-Verlages zusammen. Im ruhigen Dahlem befand sich der Verlagssitz, der nun auch zu Groß-Berlin gehörte. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wuchs Berlins Bevölkerung deutlich. Berlin war plötzlich die drittgrößte Stadt der Welt – geprägt von Arbeitslosigkeit, Wohnungsknappheit und sozialer Not in Folge von Industrialisierung, Weltkrieg und Wirtschaftskrise.  Die Kirchen waren gefragt als Seelsorger und Nothelfer. Da mussten Schriften her, die den Geist und die Seele stärkten. Pastoren brauchten Handreichungen, die darüber informierten, dass den Proletarier*innen der Glaube und nicht der Alkohol Stärkung und Zuversicht gibt. 

Erste Veröffentlichungen und Umzug

So behandelte die erste im Verlag veröffentlichte Publikation, das Heft „Der Evangelische Wohlfahrtsdienst“, die „Neuregelung der öffentlichen Wohlfahrtspflege und die Evangelische Kirche“. Die Broschüre mit 110 Seiten kostete eine Mark. Der „Centralausschuss für Innere Mission“ gab in den Folgejahren eine Vielzahl von Heften heraus, die sich praxisnah der Fürsorge widmeten. Nicht umsonst wurde der Verlag nach dem Vater der Diakonie Johann Hinrich Wichern (1808–1881) benannt, dem Theologen und Sozial­reformer. 

1929 zog der Verlag nach Berlin-Spandau auf das Gelände des Evangelischen Johannesstifts, dessen Gründervater Johann Hinrich Wichern war. Verlagsleiter war Friedrich Wittig, der bis 1937 die Geschicke des Verlages lenkte – gemeinsam mit der „Apologetischen Centrale“. Diese gab unter anderem eine Schriftenreihe des Centralausschusses der Inneren Mission heraus und agierte gegen die nationalsozialistische Ideologie. 1935 schaffte es Verleger Wittig, über 10000 Exemplare des Titels „Antwort auf den Mythus“ zu verbreiten, bevor die Nazis es bemerkten. Ein klarer Denker in dunkler Zeit. Am 10. Dezember 1937 wurde die „Centrale“ von der Gestapo geschlossen. In ihrer Nachfolge steht seit 1960 die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.

Kriegsjahre und Lizenz zum Neustart

Ab 1938 übernahm Herbert Renner den Verlag. 1939 wurde der Verlag nach nationalsozialistischen Gesetzen in eine Kommandit-Gesellschaft (KG) überführt, wodurch das Haftungsrecht verändert wurde. Während der Kriegsjahre entstanden wenige Publikationen. Die religions­soziologische Zeitschrift „Orient und Occident“ von Eugen Gerstenmeier, Mitglied des Kreisauer Kreises und von 1954 bis 1969 Präsident des Deutschen Bundestages, startete 1942. Es blieb aber bei der ersten Ausgabe. 

Am 23. Februar 1946 erhielt der Verlag eine Lizenz zum Neustart von der britischen Militärregierung, denn Spandau lag im britischen Sektor. In den Nachkriegsjahren wurden viele Publikationen im Wichern-Verlag veröffentlicht, die als evangelische Handreichungen für die sowjetische Besatzungszone bestimmt waren. Aber auch die Landeskirche musste für ihre Verwaltung von der einfachen Drucksache bis zur Broschüre neu drucken. 

Herbert Renner verließ 1954 den Wichern-Verlag. Der Christliche Zeitschriftenverein (CZV), der aus dem Centralausschuss der Inneren Mission hervorging, wandelte den Verlag wieder von einer KG in eine GmbH um. Viele Periodika und Kalender erschienen nun unter dem Label CZV, wie das Evangelische Gesangbuch oder auch die evangelische Wochenzeitung „Das Berliner Sonntagsblatt“.  

Die Buchproduktion ruhte bis 1982. Durch einen Beschluss der Landeskirche Berlin-West sollte nun im Wichern-Verlag alles Verlegerische der Kirche gebündelt werden, inklusive des angeschlagenen CZV-Verlages.  Als Verlagsleiter hatte man sich ein „Wichern-Gewächs“ ausgesucht: Wolfgang Fietkau. Er hatte von 1952 bis 1954 im Wichern-Verlag eine Verlagsbuchhändlerlehre abgeschlossen. Auch seine Arbeit als Diakon, als Redakteur im Evangelischen Rundfunkdienst und sein eigener Verlag, der Sölle-Gedichte herausgab, rundeten die Entscheidung ab, ihn zum Verlagsleiter zu berufen. Er kannte Kirche, Diakonie und Verlag. Wolfgang Fietkau blieb dem Verlag bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2001 treu. Er erlebte in seiner Amtszeit den Mauerfall und die Zusammenführung der Landeskirche Ost und West, die Stasi-Aufarbeitung in der Kirche, die Einführung des Internets, des Desktop-Publishing, den Digitaldruck und den Verlagsumzug von Berlin-Tiergarten in das Evangelische Zentrum in Berlin-Friedrichshain. 

Komplexe Umwälzungen

Die Auseinandersetzung mit der Kirche im Sozialismus und die Aufarbeitung der Kirche im Nationalsozialismus sind Inhalte der bis heute gefragten Titel. Wolfgang Fietkau prägte die markante traverse Cover-Grafik. Er brachte den Verlag durch viele stürmische Zeiten innerhalb der Landeskirche und auch der Gesellschaft. Um seine Nachfolge bewarb sich die promovierte Geisteswissenschaftlerin und Theologin Elke Rutzenhöfer. Sie arbeitete bereits als Lektorin im Verlag und veränderte diesen zu einem familienfreundlichen Unternehmen, der es den Mitarbeitenden ermöglicht, Beruf und Familie zu vereinbaren. Das schließt die Pflege von Angehörigen wie auch Elternzeit ein. 

Im ersten Jahr ihrer Geschäftsführung musste Elke Rutzenhöfer die Druckerei des Verlages auflösen und betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Die komplexen Umwälzungen innerhalb der Drucktechnik ließen keinen anderen Schritt zu. Statt der Heidelberg-Druck­maschinen wurde in eine Hochleistungsvervielfältigungsmaschine investiert, die bis heute für die Kirchenverwaltung Drucksachen produziert. Die Buchtitel rückten wieder in die Waagerechte.  

Durch viele Aufträge im Agenturgeschäft konnte der Verlag seiner Hauptgesellschafterin, der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, fast immer ein positives Jahresergebnis vorlegen. Die Inhalte des Buchprogramms wurden um eine Biografie-Reihe (von Wichern bis Sölle) erweitert. 

Protestantisch und sozial-diakonisch

Die Auseinandersetzung mit anderen Religionen sowie Glaubenskurse sind ein fester Bestandteil des Buchprogramms. Seit 2001 erlebte Elke Rutzenhöfer mit den vor allem weiblichen Mitarbeiterinnen die Einführung des Euro, Facebook, Twitter und Instagram, die Digitalisierung  mit Amazon und Google, Klimakrise, globalen Terror und jetzt Corona. Die stürmischen Zeiten sind nicht vorbei. Die in der Corona-Krise beschlossene Absenkung der Mehrwertsteuer für Abonnementsgebühren und die Buchpreise wurde durch den Verlag nicht an die Endkunden weitergegeben. Der Aufwand wäre nicht zu vertreten. Ganz im Sinne des Namenspatron Wichern spendet der Verlag diese Differenz an sozial-diakonische Werke. So runden sich 100 Jahre Wichern-Verlag in diesem Jahr ab. Wir halten die Richtung und schaukeln durch die Wellen der Geschichte. Protestantisch zurückhaltend und coronabedingt fällt ein rauschendes Fest aus.

Sabine Hoffmann ist Vertriebsleiterin im Wichern-Verlag.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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