Von Roger Töpelmann
„Wir träumten von nichts als Aufklärung“ – mit diesem Motto weckt das Berliner Jüdische Museum mit 350 Exponaten die Erinnerung an Moses Mendelssohn, einem der wohl wichtigsten jüdischen Philosophen des 18. Jahrhunderts in Europa: Zuwanderer, Autodidakt, Intellektueller und Aufklärer. Ausgehend von Berlin vollzog sich seit der Mitte des Jahrhunderts ein Prozess, der das jüdische Leben in Deutschland grundlegend veränderte: Jüdinnen und Juden überwanden die gesellschaftliche Isolation, in der sie bis dahin gelebt hatten. Sie stellten althergebrachte Traditionen und Denkweisen in Frage und begannen, sich Sprache, Kultur und Konventionen ihrer Umgebung anzueignen. Der in Dessau geborene Moses Mendelssohn (1729–1786) hat diese Entwicklung entscheidend vorangetrieben.
Selbsterkenntnis als Maß der Dinge
Die Aufklärung verstand sich selbst als Zeitalter des Lichtes und der Erleuchtung. Deshalb heißt Aufklärung im Englischen „Enlightenment“, im Französischen „les Lumières“. Die Aufklärung ist dabei aber keine religiöse Bewegung wie die Reformation oder der Pietismus. Ihr Postulat ist Streben nach selbstständiger Erkenntnis und Wahrheit. Eigenes Forschen und Denken rücken an die Stelle der tradierten Autoritätsmeinung. In der eigenen Vernunft findet sich der Anspruch auf eine bessere Gestaltung der Welt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte am 13. Mai in seiner Rede zur Ausstellungseröffnung, er schätze den „Weltweisen“ Mendelssohn so sehr, dass er bei einer Umgestaltung einer Bildergalerie in seinem Amtssitz Schloss Bellevue ein Porträt Mendelssohns von dem Maler Anton Graff habe aufhängen lassen. Er habe das Bild jetzt gerne für die Schau ausgeliehen.
Judentum als Religion der Vernunft
Mendelssohns Brotberuf war Schreiber, Hauslehrer in der jüdischen Familie des Berliner Seidenfabrikanten Bernhard Isaak. Doch er stieg schnell in der Firma auf, wurde Buchhalter und später Teilhaber. Ein Lebenslauf der Emanzipation. Der begann, als er im Jahr 1743 als 14-Jähriger in die Stadt an der Spree kam. Als armer, schutzloser Talmudschüler war er seinem Dessauer Rabbiner gefolgt, der nach Berlin berufen worden war. Er lernte und lernte: klassische und moderne Sprachen, Mathematik, Physik und Astronomie. Auch Deutsch brachte er sich bei, das damals zu sprechen Jüdinnen und Juden noch verboten war. Er studierte die Thora und übersetzte 1780 den Pentateuch, die fünf Bücher Mose, in ein „gepflegtes Deutsch“. Er erklärte das Judentum zu einer Religion der Vernunft.
Schon Mendelssohns Heirat mit der 24-jährigen Fromet Gugenheim, einer Kaufmannstochter aus Hamburg (1737–1812), wird als ein Ereignis der Emanzipation überliefert: Wie aus Bildern ersichtlich hatte Mendelssohn einen Buckel.
Dennoch verliebte sich Fromet und beide wurden glücklich miteinander. Sie sind laut Heinz Knobloch – er schrieb die romanhafte Biografie „Herr Moses in Berlin“ (Buchverlag Der Morgen 1979) – „das erste moderne jüdische Brautpaar. Sie verbanden sich freiwillig und aus Zuneigung. Sie wurden nicht verheiratet wie durch uralte Bräuche vorgeschrieben, sondern heirateten einander“. Zehn Kinder gingen aus der Ehe hervor, doch nur sechs erlebten das Erwachsenenalter.
Friedrich Nicolai, der Berliner Drucker und Buchhändler, wurde sein Freund. Ebenso der gleichaltrige Gotthold Ephraim Lessing. Mendelssohns Adresse in der Spandauer Straße 68 (Berlin-Mitte) wurde ein Treffpunkt für Intellektuelle. Der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy schließlich ist ein Enkel des Philosophen.
Umstritten bei den Orthodoxen
Beschäftigt haben die philosophischen Denker damals Fragen der Unsterblichkeit der Seele. Mendelssohn macht mit dem „Phädon“ 1767 eine eigene Abhandlung daraus. Große Resonanz erfuhr auch „Jerusalem“, sein Aufsatz über das Judentum. Selbst Immanuel Kant fand lobende Worte dafür.
Im orthodoxen Judentum bleibt Mendelssohns Position bis heute umstritten, weil er Juden zur gesellschaftlichen Assimilation gedrängt habe. Etwa 2000 Juden lebten damals in Berlin, das etwa 100000 Einwohner zählte. Tatsächlich gab es in jener Zeit immer wieder Juden, die ihr Jude-Sein aufgaben. Oft, weil ihnen nicht die vollen Bürgerrechte zugestanden wurden. Anders als den eingewanderten Hugenotten, die als Christen in der Stadt bereitwillig Aufnahme gefunden hatten. Der Philosoph forderte die Juden dazu auf, sich anzupassen. Für orthodoxe Juden war das unannehmbar. Ein Aufgehen in der Mehrheitsgesellschaft war für sie ausgeschlossen. Mendelssohn forderte, die deutsche Sprache auch im Alltag zu sprechen, und nicht im Jiddischen oder dem Hebräischen als einer „heiligen Sprache“ zu verharren. So sollten sie ihrerseits Toleranz gegenüber ihren christlichen Mitbürgern zeigen. Sich taufen zu lassen, hat Mendelssohn aber immer abgelehnt.
Berliner Dreigestirn
Die Ausstellung zeigt sehr überzeugend, welch‘ einen Einfluss das „Dreigestirn der Berliner Aufklärung“ – Mendelssohn, Nicolai und Lessing – auf die Kultur der Stadt und in Preußen ausüben konnten: Mendelssohn sah eine ethisch-kulturelle Bildungsvermittlung als seinen Auftrag an. 1777 schreibt er in einem einfachen Satz, wie sie zu erlangen sei: „Die höchste Stufe der Weisheit ist unstreitig Gutes tun.“
Als er am 4. Januar 1786 mit 56 Jahren stirbt, titelt die Vossische Zeitung, es sei „eine tiefe Wunde, welche die jüdische Nation durch den Tod ‚Moses des Weisen‘ empfangen hat. Er war ihr Lehrer und Führer, ihr Ratgeber, ihr Vertreter, ihr Erzieher, ihr Alles. Er war der Stolz und die Zierde unserer Stadt.“ Der Gründer der später renommierten Zeitung „Berlinische Monatsschrift“, Johann Erich Biester, verbeugte sich vor dem Dahingegangenen: „Endlich steht auch hier das Verdienst: daß er durch seinen untadelhaften Wandel, durch seine hohe Rechtschaffenheit und durch sein eifriges Lehren wichtiger Wahrheiten es dahin brachte: Auch ein Jude, auch ein Unchrist könne ein guter Mensch sein, könne Religion haben, könne unter uns Christen Religion und Tugend befördern … ihm verdankt ganz Deutschland und die gesamte Menschheit einen großen Teil ihrer moralischen und intellektuellen Bildung.“
Die Ausstellung läuft noch bis zum 11. September im Jüdischen Museum Berlin, Lindenstraße 9–14, Berlin-Kreuzberg. www.jmberlin.de