Von Patricia Averesch (epd)
Menschen mit Lernschwierigkeiten können im Internet nicht schnell nachlesen, was sie gerade interessiert. Denn die meisten Internetseiten sind in Standardsprache verfasst, die für sie oft nur schwer verständlich ist. Sie sind auf Informationen in der sogenannten Leichten Sprache angewiesen. Doch die ist im deutschsprachigen Internet kaum verbreitet.
Leichte Sprache soll Menschen mit kognitiver Behinderung den Zugang zu Informationen eröffnen. Sie ist der Versuch, schriftliche Informationen auf einem möglichst einfachen Niveau zu transportieren. Viele Zusammenhänge, Sachverhalte und Begriffe, die bei Lesern von Alltagssprache als bekannt vorausgesetzt werden, müssen für die Zielgruppe kognitiv behinderter Menschen erst erklärt werden.
Studien darüber, wie hoch der Anteil von Seiten in Leichter Sprache im Vergleich zum Internet in Standardsprache ist, gibt es nicht. Thorsten Lotze, Vorstandsmitglied vom Netzwerk Leichte Sprache, schätzt aber, dass der Anteil sehr gering ist. „Leichte Sprache kostet Zeit und Geld“, sagte er. Unternehmen sähen es oft nicht als erforderlich an, ihre Internetseiten in Leichte Sprache zu übersetzen.
Die gesetzlichen Vorgaben reichen nicht aus
Besser sehen die Webseiten von Behörden und Ministerien aus, sagt Lotze. Sie seien durch Gesetze oder auch selbst auferlegte Aktionspläne dazu verpflichtet, bestimmte Informationen im Internet in Leichter Sprache anzubieten. So gibt etwa die „Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung 2.0“ vor, dass alle Bundesbehörden zum Beispiel grobe Informationen zu ihren Inhalten sowie Hinweise zur Navigation in Leichter Sprache bereitstellen müssen. Diese Vorgabe halten die Bundesbehörden weitgehend ein, bestätigt Katrin Lang, die ihre Doktorarbeit zu barrierefreier Onlinekommunikation von Behörden an der Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim geschrieben hat.
Fraglich sei allerdings, ob die Vorgaben sinnvoll sind, gibt Lang zu bedenken. Sie zweifelt daran: Bislang sei nur vorgeschrieben, sogenannte Meta-Texte in Leichter Sprache zu veröffentlichen. Doch die hätten kaum einen Mehrwert, weil darin nur nachzulesen sei, wie die Webseite aufgebaut ist und welche Informationen in Leichter Sprache zu finden sind. Ab und zu gebe es noch Hinweise zu dem eigentlich interessanten Arbeitsfeld. „Sie bekommen, überspitzt formuliert, einen kleinen Eindruck von dem, was man lesen kann – wenn man lesen könnte“, sagt Lang.
Auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ist das Symbol für Leichte Sprache – eine lesende Person mit Buch – zwar problemlos zu finden. Doch die gebotenen Informationen in Leichter Sprache sind begrenzt: So wird zum Beispiel erklärt, was die Aufgabe des Ministeriums ist, wie die Navigationsleiste zu bedienen ist und in welcher Rubrik sich alles zum Thema Arbeitslosengeld nachlesen lässt. Öffnet man die entsprechende Rubrik – in diesem Fall „Arbeit“ –, gibt es allerdings nur Informationen in Standardsprache. Leserinnen und Leser mit Leseschwäche können sich also faktisch nicht selbst auf der Internetseite des Ministeriums informieren.
Wie ein Rollstuhlfahrer vor einer Treppe
Christian Glade vom Büro für Leichte Sprache der Lebenshilfe Bremen vergleicht daher das Surfen von Menschen mit Lernschwierigkeiten auf diesen Seiten mit dem Besuch eines Rollstuhlfahrers in einem Haus, das keinen Aufzug hat. Der Rollstuhlfahrer gelange zwar barrierefrei über eine Rampe ins Haus, „drinnen steckt er dann aber vor dem Treppenhaus fest und kann nicht in die oberen Stockwerke fahren“, sagt Glade.
Wie dringend leicht verständliche Informationen gebraucht werden, haben die Corona-Pandemie und die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal im Juli gezeigt. Zu beiden Notlagen habe es im Internet zunächst keine aktuellen Hinweise gegeben, sagte Katrin Herdejürgen von der Bundesfachstelle Barrierefreiheit. Die Folge: „Menschen mit kognitiven Einschränkungen konnten sich nicht zeitnah über die Lage und das Virus informieren.“
Zwischen dem ernüchternden Bild finden sich im Internet aber auch Vorbilder für Leichte Sprache. Eines sei die Webseite der Stadt Köln, sagt Expertin Katrin Lang. Die Stadt erkläre dort in verständlicher Sprache, wie sich der Wohnsitz ummelden oder ein Pkw anmelden lässt. Damit gehe sie weit über das hinaus, was andere Städte und Gemeinden in Leichter Sprache anbieten.
Regeln für Leichte Sprache
Leichte Sprache soll Texte für Menschen mit Lernschwierigkeiten verständlicher machen. Seit 2006 arbeiten Büros für Leichte Sprache aus Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz, Luxemburg und den Niederlanden in einem Netzwerk zusammen. Sie diskutieren Standards für Texte der Leichten Sprache. Das Netzwerk Leichte Sprache hat dazu Regeln aufgestellt. Danach sind zu verwenden:
- Einfache Wörter, die etwas genau beschreiben, also zum Beispiel nicht
„öffentlicher Nahverkehr“, sondern „Bus und Bahn“
- Keine Fremdwörter
- Zusammengesetzte Hauptwörter koppeln: also nicht Arbeitsgruppe, sondern Arbeits-Gruppe
- Viele Verben, keine Abkürzungen und außerdem Genitiv, Passiv und Konjunktiv vermeiden
- Bildliche Sprache vermeiden, weil viele Menschen die Texte wörtlich nehmen. Also zum Beispiel nicht „Rabeneltern“ schreiben, denn mit Rabeneltern sind meistens nicht die Eltern von Rabenküken gemeint
- Hohe Zahlen und Prozentangaben vermeiden: Statt „14795 Menschen“ lieber „viele Menschen“
- Sonderzeichen erklären, zum Beispiel: „Ein Paragraf ist ein Teil in einem
Gesetz. Das Zeichen für Paragraf ist: §. Jeder Paragraf hat eine Nummer.“
- Kurze Sätze, einfacher Satzbau, eine Aussage pro Satz. Nicht: „Wenn Sie mir sagen, was Sie wünschen, kann ich Ihnen helfen“. Sondern: „Ich kann Ihnen helfen. Bitte sagen Sie mir: Was wünschen Sie?“
- Texte mit passenden und leicht verständlichen Bildern verbinden.
Das Netzwerk Leichte Sprache fordert, alle Texte und Bilder von Menschen mit Lernschwierigkeiten prüfen zu lassen. Nur sie könnten wirklich feststellen, ob Betroffene den Text auch verstünden. Text: epd