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Freiheit und Widerspruch

Schon frühzeitig nahm er Antisemitismus, Rassismus, Kirchenreform und jüdisch-christlichen Dialog als Lebensthemen in den Blick: Er selbst sah sich als Katholik, Protestant und Jude. Am 6. Juni wäre Franz von Hammerstein, Mitbegründer von „Aktion Sühnezeichen“, 100 Jahre alt geworden

Franz von Hammerstein
Freiherr Franz von Hammerstein (6. Juni 1921 bis 15. August 2011). Foto vom 8. Juli 2004. Foto: Stephan Pramme/epd

Von Christian Staffa

„Ich bin katholisch getauft, evangelisch konfirmiert und gehe auch in die Synagoge.“ Mit diesen Worten stellte sich Franz von Hammerstein den Freiwilligen von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste vor. So war er: neugierig und tolerant im ­Glauben, netzwerkend über viele Grenzen hinweg, als das Wort Netzwerk noch kaum erfunden war. 

Geboren wurde er am 6. Juni 1921 in Kassel als vorletztes Kind von Maria Freiin von Lüttwitz und Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord. Erst Hans Magnus Enzensberger setzte  in dem Buch „Hammerstein oder der Eigensinn“ zur Beschämung der Historikerzunft dem so erstaunlichen Vater Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord (1878–1943), zuletzt von 1930 bis 1934 Chef der Heeresleitung, und auch der Mutter Maria Freiin von Lüttwitz (1886-1970) und den Geschwistern ein Denkmal.  

Familie in Sippenhaft

Für unsere Vorstellungen von einem Generalshaushalt der 1920er und 1930er Jahre ging es dort äußerst ­liberal zu. Die älteren Töchter Marie-Luise (1908–1999), Maria Therese (1909–2000) und Helga (1913–2005), hatten bis in die NS-Zeit viele jüdische Freunde und standen dem kommunistischen Widerstand nahe. Die beiden älteren Söhne Kunrat (1918–2007) und Ludwig (1919–1996) waren Teil des späten militärischen Widerstandes gegen Hitler und überlebten nach dem 20. Juli 1944 im ­Untergrund. Die Eltern von Hammerstein waren der Überzeugung, dass die Kinder Freiheit und Widerspruchsgeist brauchen, um in dieser Welt bestehen zu können.

Die Familie wohnte seit 1935 in Berlin-Dahlem. Seine katholische Mutter schickte Franz von Hammerstein 1936 im Alter von 15 Jahren zum Konfirmandenunterricht zu Martin Niemöller (1892–1984), der ihn konfirmierte. Franz von Hammerstein blieb dem Pfarrhaus in der Pacelliallee Zeit seines Lebens verbunden. Als 1980 dort ein Friedenszentrum entstand, wurde er Mitglied des Vereins „Friedenszentrum ­Martin Niemöller Haus“ und blieb es bis zu seinem Tod.

Nach dem Attentat am 20. Juli 1944 und der folgenden Flucht seiner Brüder wurde er mit seiner Mutter und der jüngeren Schwester Hildur in Gestapo-­Sippenhaft genommen. Nach der ­Befreiung studierte er evangelische Theologie. Er wollte Rassismus und Antisemitismus verstehen, also das Böse, das so verheerende Folgen für Europa gehabt hatte.  

Zwischen 1948 und 1950 studierte er am Theological Seminary Chicago und an der „schwarzen“ ­Howard University Washington D. C. Nach Examen und Vikariat in Deutschland heiratete von Hammerstein die Schweizer Theologin Verena Rordorf. Von 1954 bis 1957 gingen sie zusammen als „Fraternal Workers“ (Missionare) und Austauschpfarrer in den Dienst der Presbyterianischen Kirche wiederum in die Vereinigten Staaten nach Perth Amboy und Evanston  in New Jersey und Illinois. Über diese Zeit verfassten sie gemeinsam das Buch „Verantwortliche Gemeinde in Amerika“.­

1957 wurde er mit der Studie „Das Messiasproblem bei Martin Buber“ in Münster promoviert. Franz von Hammerstein nahm also schon in diesen frühen Jahren Antisemitismus, Rassismus, Kirchen­reform und jüdisch-christlichen Dialog als Lebensthemen in den Blick und entfaltet sie in den folgenden Jahren in allen beruflichen Feldern.

1957 wurde er in enger Zusammenarbeit mit Harald Poelchau (1903–1972) erster Leiter der Berliner Industriejugend im Evangelischen Sozialpfarramt für die Seelsorge und Sozialarbeit für junge Industriearbeiter. Mit der Gründung der Aktion Sühnezeichen 1958 – gemeinsam mit Lothar Kreyssig – nahm Franz von Hammerstein die erste und wohl wichtigste Entfaltung der beschriebenen Lebensthemen vor. Denn die ­evangelische Industrie­jugend war ein wichtiger Partner für Sühnezeichen, konnten doch dort Menschen gewonnen werden, die einen Dienst in den vom Nationalsozialismus ­verheerten Ländern tun wollten und auch konnten.  Im Gründungsaufruf heißt es: „Des zum Zeichen bitten wir die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren ­Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun; ein Dorf, eine Siedlung, eine Kirche, ein ­Krankenhaus, oder was sie sonst ­Gemeinnütziges wollen, als Versöhnungszeichen zu errichten.“

So entstand etwas von der Gemeinde, die Franz von Hammerstein durch seine Erfahrungen vor Augen hatte. „Die lebendige Gemeinde muss sich um diese Fragen kümmern, sie muss aus dem Gemeinde­ghetto heraustreten und hier Hand anlegen; denn sie ist eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, die von dem Herrn der Kirche für den Dienst an der Welt eingesetzt wird. (...)“ Von der Industriejugend wechselte er 1968 dann hauptamtlich als Generalsekretär zu Aktion Sühne­zeichen. 

Mit Aktion Sühnezeichen entdeckte er als weiteres Thema die ausstehende Versöhnung mit den Völkern östlich von Deutschland: Polen, Tschechoslowakei und ­Sowjetunion.

1975 ging von Hammerstein zum Ökumenischen Rat der Kirchen, wo er sich vor allem erneut mit dem christlich-jüdischen Dialog befasste. Prophetisch, bis heute gültig und leider uneingelöst formuliert er schon im Vorfeld dieser Arbeit: „Juden können nicht Mitglieder des Welt­rates der Kirchen werden, es sei denn, die Basis würde hierfür noch einmal geändert, erweitert. Aber sicher wird und kann der Weltrat nicht existieren, ohne das Judentum als wesentlichsten Gründer damals und heute ernst zu nehmen. Wenn das nicht stärker geschieht als bisher, wird der Weltrat keine geistliche Kraft ausstrahlen, sondern über­wiegend Organisation bleiben.“ 

1978 wurde Franz von Hammerstein Direktor der Evangelischen Akademie in Berlin (West). Jüdisch-Christlicher Dialog, Dialog zwischen den Gesellschaften diesseits und jenseits des Eisernen Vorhanges ohne Vorbedingungen, der Widerstand gegen den Nationalsozialismus ­namentlich die Rote Kapelle, also der im Westen Deutschlands eher nicht rezipierte Widerstand, wurden zu Markenzeichen der Akademie. Franz von Hammerstein gab hier Raum für gesellschaftliche Initiativen, etwa für die Gründung der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz, lange bevor sie 1992 Wirklichkeit wurde. 

Dieses reiche Leben ist nicht leicht zu resümieren, und vermutlich ist es auch unangemessen, mit Leben resümierend umzugehen. Sehr beeindruckend ist, wie früh er, sicher geleitet und begleitet von ­seiner Frau Verena, Entwicklungen vorausnahm und Themenkomplexe adressierte, die damals noch nicht einmal die Ränder der Kirche erreichten. 

Ergriffen von der Liebe zu Gottes Geschöpfen, zur ganzen bewohnten Welt, zur Ökumene, sah er sich als Katholik, Protestant und Jude. So warf er sich dem Leben in die Arme und liegt nun im Talar von Coventry, einer Kippa aus seiner Synagogen­gemeinde Hüttenweg, einer Medaille „Reconciliation“ auf der Brust und auf einem von einer Muslima (...) ­erstellten Kissen aus Schweizer ­Stickereien im Sarg. Immer mehr zum Tun, zur Nachfolge neigend, als zur hohen Christologie, ist er nun Gast im Himmel.  

Veranstaltungstipp. Am So, 6. Juni, um 17 Uhr wird in der St.-Annen-Kirche Berlin-Dahlem in einer Online-Andacht des 100. Geburtstags von Franz von Hammerstein gedacht. Unter anderem mit: Pfarrerin Tanja Pilger-Janßen, Ulrike Eichler (Haus Kreisau), Marion Gardei, Rabbiner ­Andreas Nachama, Christian Staffa., Thomas Lutz (Topografie des Terrors). Der Link zur Teilnahme wird nach vorheriger Anmeldung über info@mnh-dahlem.de zugesandt 

Christian Staffa ist Studienleiter der Evangelischen Akademie zu Berlin und Antisemitismusbeauftragter der EKD. 

Zur Person

Franz von Hammerstein war Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender von „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“. Krieg und Versöhnung prägten sein Leben. Als 23-Jähriger saß er im Konzentrationslager Buchenwald, Regensburg und Dachau, weil zwei seiner Brüder am Stauffenberg-Attentat auf Hitler beteiligt war. Aus dieser Erfahrung heraus gründete er 1958 mit dem Magdeburger Präses Lothar Kreyssig die „Aktion Sühnezeichen“. Von Hammerstein, der vor seinem Theologiestudium den Beruf des Industriekaufmannes gelernt hatte, baute zusammen mit dem „Kreisauer“ Pfarrer Harald Poelchau 1958–1965 die Evangelische Industriejugend in Berlin auf. Einem Ort dieser Arbeit gab er den Namen „Haus Kreisau“ zur Erinnerung an „die Freunde“ und zur Verwirklichung der Kreisauer Ideen von mehr Beteiligung, Mitbestimmung und Verantwortung in einer demokratischen Gesellschaft. Hammerstein stand von 1968 bis 1975 als ­Generalsekretär an der Spitze von Aktion Sühnezeichen, später als ihr Ehrenvorsitzender. Danach ging er zum Weltkirchenrat nach Genf und kehrte 1978 als Direktor der Evangelischen Akademie nach Berlin zurück. Neben der „Aktion Sühnezeichen“ ­engagierte er sich unter anderem in der Stiftung „Topographie des Terrors“. Er starb 2011 in Berlin.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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