„Fürchte dich nicht“ – das ist hinten auf meinem Tablet eingraviert. Auf dem Arbeitsgerät, mit dem ich Gottesdienst halte, das ich in Seniorenkreisen und Kinderstunden nutze, mit dem ich predige. Ob Taufe, Hochzeit, Sonntagsgottesdienst oder Bestattung – jede Predigt zieh ich aufs Tablet und hinten drauf steht „Fürchte dich nicht“.
Gott sagt diesen Satz in unsere Leben hinein. Gott weiß, dass wir immer mal wieder Aufmunterung und Versicherung brauchen. Angst, Sorge, Krankheit, Tod, Trauer, Alltagsgrau und Feiertagsgrauen haben uns schnell im Griff. All das viele Gute, wie Vorfreude, Liebe, Hoffnung und Dankbarkeit drohen dann zu ersticken. Da geht es uns nicht anders als den Menschen der Bibel – darum gilt der Satz immer noch. Wenn Gott sich an einen Menschen wendet – damals wie heute – stellt sich allerdings nicht automatisch Freude und Wohlbefinden ein. Gottes Andersartigkeit macht es seinem Menschen nicht leicht, auf seine Botschaft zu hören.
Also versucht Gott es anders. Indirekter. Vorsichtiger. Er nutzt die Engel. Engel sind Boten. Sie treten auf den Plan, wenn Gott seinen Menschen Wichtiges zu sagen hat und eine menschliche Gestalt braucht, die es verkündet. Nicht jeder kommt so gut mit einem brennenden, sprechenden Dornbusch klar wie Mose. Aber auch die Engel haben mit den Menschen ihre liebe Not. Oft erschrecken die sich nämlich trotzdem, wenn die Engel auftauchen und Gottes Willen weitersagen wollen. Andersartigkeit kann man nicht verstecken, lieber Gott.
Darum ist auch der erste Satz eines Engels in der Bibel meistens: „Fürchtet dich nicht“ oder „Fürchtet euch nicht.“ Super Idee, gleich mal den Angst-Wind aus den Segeln zu nehmen. Klappt aber nie! Egal ob Ostern oder Weihnachten. „Fürchte dich nicht“ ist ein Garant dafür, dass Menschen sich erschrecken: Ob Frauen am Grab oder Hirten auf dem Feld – immer erschrecken sich die Menschen. Aber die Engel bleiben dran und irgendwie gelingt es ihnen dann auch jedes Mal, den Menschen die wichtigen Botschaften mitzugeben. Gott setzt sich durch.
In der Bibel sind Engel immer himmlische Wesen. Heute sagen wir uns gegenseitig manchmal, dass jemand „wie ein Engel“ für uns ist. Jemand, der da ist, der Zeit hat, zuhört oder einen Ratschlag gibt. Wir Menschen sind einander Engel, wenn wir füreinander da sind. Im Gebet, in der Fürbitte sprechen wir mit Gott und Gott lässt sich in unserem Leben hören. Gott nutzt auch uns als Sprachrohre für seine Botschaft.
Gott ist bei euch
Augenzwinkernd denke ich: Vielleicht sollte ich mir auch ein Schild mit der Aufschrift „Fürchte dich nicht“ umhängen, wenn ich durch das Krankenhaus laufe oder im Altenpflegeheim unterwegs bin. Oft erschrecken sich die Menschen, wenn ich plötzlich auftauche. Eine ältere Dame fragte letztens ganz verunsichert: „Frau Pastorin, ist es so schlimm mit mir, dass Sie kommen?“ Nein! Es war gar nicht schlimm, ich kam einfach für ein Gespräch über Gott und die Welt. Aber mein Auftauchen verursachte gleich Unsicherheit, ob es nicht um Sterben und Tod ginge. Klar, auch so etwas kann und muss mal besprochen werden, aber für mich dreht es sich in der Seelsorge, in der Begegnung mit anderen Menschen um etwas anderes: dass die Angst in den Hintergrund rückt und Gottes Nähe, seine Zusage bei uns zu sein, in den Vordergrund tritt.
Was kommt, wie es kommt, das wissen wir Menschen immer erst hinterher. Das war auch bei Maria so, als ihr die Geburt des Heilandes, ihres Sohnes, angekündigt wurde. Aber für sie und für uns gilt, was die Engel und damit Gott uns zurufen: „Gott ist bei euch, Christ ist geboren, fürchtet euch nicht.“ Frohe und gesegnete Weihnachten!
Friederike Trapp ist Seelsorgerin im Klinikum Pritzwalk in der Prignitz und in zwei Seniorenheimen.