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Gott braucht keine Kranken, um uns zu unterrichten

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Ein Virus legt das öffentliche und damit auch das kirchliche Leben lahm. Nach den ersten Tagen der Umorganisation im Alltag, der deutlichen Reduzierung der sozialen Kontakte, dem Versuch, die eigenen Ängste und die der Anvertrauten so gut es geht zu bannen, wird die Sinnfrage brisanter. In einem samstäglichen Mailwechsel tauschen sich Pröpstin Christina Bammel und Bischof Christian Stäblein ­darüber aus, ob und was Gott mit der Corona-Krise zu tun hat.

Gott Corona Bischof Pröpstin

Liebe Christina, 

Sonnabend, 18 Uhr, jetzt beginnt der Sonntag, so habe ich es mal gelernt. In Wahrheit jüdische Tradition. Aus was für einer Woche kommen wir! Umstellung des gesamten öffentlichen Lebens infolge der Corona-Krise. Umstellung der Kirche und ihrer Angebote weitgehend auf mediale Zusammenhänge. Weil Abstand jetzt die beste Fürsorge ist, sind Nähe und Gemeinschaft, Gebet und Gottesdienst nun Netzwerk im modernen Sinn. Eine Woche voller Aktivitäten. Jeder und jede will was tun, vielleicht ja auch eine Art, mit der Krise umzugehen: nicht untätig sein. Mit Blick auf den Sonntag sei trotzdem die Frage erlaubt: Gibt es einen Sinn? Will Gott etwas damit zeigen? Mit der Krise? Du weißt um meine große Skepsis gegenüber solchen Gedankenfiguren, wie sie jetzt hier und da hervorspringen: Gott will dies damit zeigen – ihr seid zu gierig mit eurem Leben, werdet wieder demütig. Oder jenes – ihr seid super aufgestellt, ihr werdet die Probe meistern. Ich kann und will Gott so nicht denken, als ­altbackenen pädagogischen Lehrmeister in direkter Ableitung, quasi dinglich gegenübergestellt und doch nur Träger unserer wechselnden Ideen. Wäre doch eigentlich ein zynischer Gott, der Kranke braucht und Tote frisst, um uns zu unterrichten. Nein! 

Lieber Christian,

Diese Ruhe zum Sonntag hin ist vielleicht ein guter Moment: Das war wohl alles erst der Startblock für das, was viele jetzt schon ein anderes Leben und Arbeiten nennen, wenn nicht sogar ein „anderes Land“. Ruhe ist augenblicklich so gar nicht mein Modus. Im Radio wird über Ernten (und wer sie einbringen wird), über gigantische Ausfälle, gefährdete Freiberufler, wegbrechende Kultur, erste soziale und wirtschaftliche Hilfspakte berichtet. Ein ruhiger Sonntag passt für mich nicht wirklich dazu. Zusammen auf Abstand. Distanz als beste Form der Fürsorge, schön und gut. Im Detail schwierig. Viele gehetzte und verunsicherte Nachrichten sprechen eine andere Sprache: Werden die Medikamente, die auf ganz anderen Teilen der Welt produziert werden, weiter erhältlich sein? Noch mehr Ausgangsbeschränkungen? Ruhemodus: Die Einen werden wohl in ihren ersten Tagen zu Hause Zeit gefunden haben, „ins Nachdenken zu gehen“. Hingehen kann man ja sonst kaum irgendwo. Also muss man die Gedanken ins Gehen schicken. Vom Modus des Machens in den Modus der Besinnung. Mir fällt es schwer, Gott auf diese Weise, die sich zwischen deinen Zeilen andeutet, zusammenzubringen mit dem, was uns gerade widerfährt. Ich glaube, ich bin da sehr unwillig, Gott für irgendetwas in Gebrauch zu nehmen. Gott spricht nicht durch das Virus, nicht durch Pandemien und nicht durch Hunderte Tote pro Tag. Ich würde aber auch nicht sagen, dass Gott nicht spricht. Gott schweigt nicht. Gott kommt zu Wort. Fragt sich nur, wie wir das wirken lassen, wie wir uns daran „bedienen“, wie uns das dient. Deine Frage, welchen Sinn das Ganze haben könnte, wohin es also mit allem gehen wird; und was es uns über uns selbst lehrt und zeigt, das will ich nicht vorschnell zukleistern mit Gottesbildern, die längst schon untergegangen ­geglaubt, nun von manchen aufgewärmt werden wie der alte Kaffee von gestern. Von beidem ist abzuraten und beides ist ­irgendwie schlecht. 

Aber wir können uns die Frage nach dem Sinn nicht von denen aus der Hand nehmen lassen, die den alten Kaffee nochmal aufwärmen wollen.

Liebe Christina, 

ja, verstehe ich gut. Ruhe ist nicht. Stündlich nicht. Minütlich nicht. Ein breiter Strom von Nachrichten, verwirrend, sich selbst überholend, voller Ambivalenzen und neuer Schreckensmeldungen. 800 Tote in Italien allein heute. Wie werden Medikamente verteilt? Wer bekommt intensive Pflege? Und nicht zuletzt: Wer bestattet die Toten? Nein, falsche Ruhe wäre falsche Friedhofsruhe. Andererseits: Was ist das für eine Zeit, die nicht mehr durchatmen lässt? Ist das nicht ein Teil dieser Krankheit? Nicht mehr durchatmen können? Aber ich will auch nicht falsch überhöhen, wo nichts als Empathie und Mitgefühl gefragt sind. Also ja: Gott spricht nicht durch ein Virus. Aber Gott schweigt auch nicht. Gott ist ja nicht anders zu denken als eben der: der mit ist, mit sein will, da sein will. Der „Ich-bin-da“, genauer: Der „Ich-bin-doch-da“ – diese lebendigste aller lebendigen Gottesvorstellungen. Es ist die erste und einzige Weise von Gott zu denken: aus seiner lebendigen Selbstvorstellung heraus, nicht aus einem lehrhaften Satz, in den wir ihn ­kleiden. 

Und ja, wir wollen uns die Frage nach dem Sinn nicht aus der Hand nehmen lassen: Zum Glück reden noch nicht so viele von einer Strafe Gottes, einem Gericht, das sich in der Corona-Krise zeige. Gott ist gewissermaßen modernisiert wie die Lehrformen, hat im Bild keinen Rohrstock mehr in der Hand, sondern sitzt mit im Stuhlkreis oder lässt uns selbstständig den Unterricht gestalten – im Bilde gesprochen mehr so „Stationenlernen“. Station Corona ist dann auch Station Digitalisierung. Und Station Demut. Und Station „Verzicht wird es gut werden lassen“. So ist es jetzt mit Matthias Horx’ Vision „Die Welt nach Corona“, eine Vision, wie viel besser die Welt sein könnte nach Corona. Ja, könnte sie, hoffentlich. Aber bitte aus Erfahrung, nicht als Lehrstück, als göttliche Aufgabe in der Welt nach dem Ende der Götter. So schön die ­Vision ist, sie hat auch etwas Autoritäres fast: Bessert euch durch die Krise. „Autoritär“ scheint mir ohnehin die Anfechtung dieser Tage: Unter dem Gewand der Krise wird angewiesen und behauptet. 

Da denke ich doch noch einmal an die von dir so zurecht nach vorne gerückten Betroffenen: Wer ist mit ihnen? Ich kann und will nicht anders von Gott reden als so: Gott ist mit ihnen. Das ist sein Wesen, oder? Aber ach, das Wesen … Davon zu reden, wird vermutlich eher deinen Unwillen steigern, oder? 

Lieber Christian,

unwillig bin ich zumindest nicht im Blick auf das Stationenlernen mit Gott. Eine Art Unterricht des Lebens. Ja, in diese Richtung gehen wir gerade. Die jetzt tatsächlich auf der „echten“ Station, und nicht nur auf der Intensiven, sind, die sich fragen, welcher Patient zuerst, die hätten so gern auf diese Lektion verzichtet und haben doch ein ganzes berufliches Leben lang genau das immer wieder eingeübt. Angesichts dessen, was sie leisten, kann man nur den Atem anhalten. Ich staune, wie das alles geht. Und der andere Gedanke, dass wir uns darauf vorbereiten und schon mitten drin sind im Bestatten der Corona-Toten, der lässt mir den Atem stocken. 

Aber mir stockt auch der Atem, wenn ich höre, dass einige meinen, jetzt sei die richtige Zeit für den Ruf zur Umkehr, jetzt sei so etwas wie eine Generalabrechnung dran für falschen Lebenswandel, für eine außer Rand und Band geratene Globalisierung. Zeit zur Umkehr und neuen Orientierung ist immer, keine Frage. Aber niemand kann sich jetzt aufschwingen zum Moralisieren und dafür auch noch Gott in Anspruch nehmen. Wir müssen das besser machen, Christian, und du hast auch ein Bild vor Augen.

Klar halte ich viel davon, das Mitsein Gottes kräftig auszubuchstabieren. Mit da auf den Balkonen, an den Fenstern, wo die zu Hause Bleibenden stehen, dort, wo Menschen auch wirklich die Nerven verlieren, weil der Schrecken ja da ist. Mir geht noch immer nach, wie ein Freund mir vor wenigen Stunden erzählte, dass er so gern helfen wollte in seiner Nachbarschaft. Und dann ist er noch vor seinem eigenen Dienstbeginn mit der betagten Nachbarin rasch einkaufen gegangen. Als sie dann im Laden standen, waren Reis- und Nudel-Regale leer. Der mit einem Mal hilflos gewordenen Frau stand der böse Mangel 1945 vor Augen. Der Freund hat mit ihr die ganze Hilflosigkeit ausgehalten, sie nach Hause gebracht und musste doch dann selbst noch Krise und Kollegen managen. 

Was wird uns diese Zeit sein, wenn sie uns kein „Lehrstück“ wird? Dieses Mitsein Gottes muss uns doch gerade auch Raum geben zu fragen, ob wir zu lange zu sorglos, zu wohlstandsverstockt träge waren? Wie bringen wir das in Worte zur richtigen Zeit?

Womit wir, liebe Christina, 

wieder am Ausgang wären. Jetzt soll es Sonntag werden. Ohne Ruhe da, wo die Menschen auf uns warten. Und mit Ruhe da, wo wir einen Moment durchatmen. Gott ist ja mit im Atem, oder ist er der? Der durchströmende, ersterbende, lebendig machende, in die Ewigkeit führende Atem. 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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