Predigttext am 2. Weihnachtstag: Jesaja 7,10–14
Und der Herr redete abermals zu Ahas und sprach: Fordere dir ein Zeichen vom Herrn, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe! Aber Ahas sprach: Ich will’s nicht fordern, damit ich den Herrn nicht versuche. Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist’s euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen? Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.
Von Werner Krätschell
Höchst ungewöhnlich: Gott drängt einen Menschen, dass er dringend ein Zeichen von ihm – von Gott selbst! – erbitten soll. Dieser Mensch ist Ahas, der König von Juda, der mit seinem Volk zittert „wie Bäume vor dem Wind“, heißt es zuvor. Diese berechtigte Angst bezieht sich auf gleich zwei starke, bewaffnete Gegner, die heranrücken und den König und sein Volk leicht vernichten könnten.
Gott gibt ein Zeichen
Aber Gott spricht dem Ahas Mut zu: Du wirst wegen meiner Hilfe niemals untergehen. Zum Beweis erbitte ein Zeichen. Ahas redet sich heraus und will angeblich Gott nicht versuchen. Wie so oft auch bei uns: In wirklicher Notlage ist die Angst größer als der Glaube. Darum entschließt sich Gott, sozusagen kopfschüttelnd, von sich aus ein Zeichen zu geben: „Seht, eine junge Frau ist schwanger, und sie gebiert einen Sohn. Und sie wird ihm den Namen Immanu-El geben“ (Übersetzung nach der Zürcher Bibel). Für die damalige Situation ist an diesem verheißenen Zeichen Gottes am wichtigsten der Name Immanu-El, übersetzt aus dem Hebräischen: Gott ist bei uns. Also: Gott ist bei dir, Ahas, Gott ist bei dir, angstbesetztes Volk, niemals werdet ihr vernichtet werden.
Aber was für die damalige Angst so wichtig war, das ist in einer wunderbaren Schwingung durch die folgenden Jahrhunderte des Gottesglaubens weitergeklungen bis hin zu der jungen Frau, die Maria hieß, bis hin zu dem Sohn, den sie geboren hat und der neben seinen vielen Namensbezeichnungen eben auch diesen Namen trägt: Immanu-El: Gott ist bei uns.
Und noch einmal das höchst Ungewöhnliche auf Gottes Seite: Er ist nicht nur, wie damals, ein Gott, der rettend bei seinem Volk ist, sondern – unglaublich! –, der plötzlich real bei uns erscheint, in Fleisch und Blut und mit allen Merkmalen, die uns Menschen ausmachen. Zwar noch ein Kind, aber ein Mensch wie wir.
Lasst euch keine Angst machen!
Und als solcher „Gott bei uns“ ist er nicht mehr nur schützend für sein Volk da, sondern seit der Geburt des Jesus-Kindes, dieses großartigen, ganz neuen „Gott bei uns“: für alle Menschen, für die ganze Menschheit. Diese sieht sich ja noch viel größeren Gefahren gegenüber, als sie damals dem König Ahas und seinem Volk begegnet sind. Aber wie damals gilt nun auch für diese hoch gefährdete Menschheit: Immanu-El: Gott ist bei euch! Habt keine Angst und lasst euch keine Angst machen!
Werner Krätschell war von 1979 bis 1996 Superintendent in Berlin-Pankow.