Von wegen auf dem Land ist nichts los: Seine Gottesdienste schreiben sich auch Atheisten in den Kalender. Doch gut gewürzt wird bei Daniel Geißler nicht nur die Verkündigung. In seinem Garten wachsen außerdem die schärfsten Chilischoten der Welt. Susanne Atzenroth sprach mit Pfarrer Geißler in Niemegk (Kirchenkreis Mittelmark-Brandenburg).
Herr Geißler, wenn man Ihren Namen googelt, findet man spektakuläre Schlagzeilen wie „Pfarrer Geißler experimentiert mit Glycerin“ oder „Pfarrer Geißler hält Narrenpredigt zum 7. Mal“. Sie sind bekannt für ungewöhnliche Gottesdienstformen – wie kam es dazu?
Ich war schon immer kreativ und humorvoll. Seit meiner Schulzeit und im Studium in Leipzig und Wien habe ich in Theater- und Kabarettgruppen mitgewirkt. Als ich nach Niemegk zog, brachte ich mich natürlich auch im hiesigen Theater- und im Karnevalsverein ein. Allerdings haben wir nur zweimal im Jahr eine Aufführung in unserem „Volkstheater“ und auch die Karnevalszeit ist kurz. Da kam öfter die Frage auf: „Herr Geißler, wann kann man Sie denn wieder erleben?“ – „Jeden Sonntag in der Kirche“, lautete meine Antwort.
Doch so einfach sind Menschen nicht in einen Sonntagsgottesdienst zu locken, die sonst keine Kirche besuchen würden, richtig?
Richtig. Aber auch so haben wir wie überall in den ländlichen Regionen eine abnehmende Zahl von Gottesdienstbesucher*innen. Drei bis vier Menschen kommen gewöhnlich auf den Dörfern, in der Stadt sind es in der Regel zehn, meist treue, ältere Kirchgänger*innen. In den ersten Jahren hatte ich nur sieben Gemeinden, da schaffte ich es noch, überall einmal im Monat Gottesdienst zu halten. Inzwischen betreue ich 13 Predigtstätten – da würde ich das auch nicht mehr hinbekommen, wenn ich zwei bis drei hintereinander halte. Also habe ich die Gemeindekirchenräte gefragt: „Wie oft braucht ihr einen Gottesdienst in eurer Gemeinde und in welcher Form?“ Denn ich möchte nicht, dass der Gottesdienst zur Pflichtveranstaltung wird und die Menschen ihn nur besuchen, weil sie im Gemeindekirchenrat sind oder denken, sie müssten „dem Pfarrer zuliebe“ kommen.
Sondern?
Der klassische Gottesdienst sonntags um 9 Uhr hat eine äußerst eingeschränkte Zielgruppe. Ich habe mich gefragt: wie kriege ich die, die sonst nur am Heiligabend, zu Hochzeiten und Beerdigungen in die Kirche gehen? Wie muss ein Gottesdienst aussehen, dass er für jeden Menschen auch unter 70 attraktiv ist? Ich überlegte also: Wo schlagen die Herzen der Menschen in den einzelnen Orten? Wobei kommen sie zusammen? So gibt es in Groß Marzehns mehr Trecker als Menschen und alle zwei Jahre findet ein großer Treckertreff statt. Für meinem Vorschlag, das Fest mit einem Gottesdienst zu eröffnen, fand ich sofort offene Ohren. Dann folgten die Gottesdienste zum Löschbootrennen in Groß Marzehns, zum Latschen-Frühschoppen im „Fläming-Eck“ von Klein Marzehns oder der Mühlengottesdienst zum Mühlentag, um nur einige zu nennen. Inzwischen habe ich die Anzahl der regulären Gottesdienste reduziert und die der besonderen erhöht. Davon gibt es rund 25 im Jahr. An Ihnen nehmen jeweils 50 bis zu 350 Besucher*innen teil.
Wie passen Sie die Gottesdienste inhaltlich an das entsprechende Event an?
Natürlich stimme ich den Inhalt der Predigt auf das entsprechende Event ab – so gibt die Bibel ja besonders zu den Themen Landwirtschaft oder Wasser viel her – und passe die Liturgie etwas an. Ich gehe dorthin, wo die Menschen sich sowieso treffen und stelle mich dann auf sie ein. Frei nach Paulus bin ich „den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche“. Viele dieser Gottesdienste finden nicht in der Kirche, sondern als Open-Air-Veranstaltung, im Zelt oder in der Gaststätte direkt am Ort des Geschehens statt.
Wie hat sich dieses gute Zusammenspiel entwickelt?
Vieles ergibt sich durch mein Engagement im Ort und die daraus resultierenden persönlichen Bezüge. Als ich am 1. März 2011 meinen Dienst hier begonnen habe, besuchte ich alle Bürgermeister, Ortsvorsteher und Pfarrkollegen in der Region. Inzwischen spiele ich mit dem Amtsdirektor in einer Band und mit vielen Niemegker*innen im Theaterverein und im Karnevalsverein. So kennen mich die Menschen hier nicht nur als Pfarrer, sondern als Schauspieler, Büttenredner und Musiker.
Die Coronazeit führte auch zu Einschränkungen bei den Gottesdiensten. Wie haben Sie darauf reagiert?
Natürlich konnten wir in unseren Gemeinden einige Monate keine Gottesdienste zusammen feiern. Doch nun entstehen neue Formate. So kommen wir am 23. August zu einem Familien-Picknickdecken-Blues-Gottesdienst – coronagerecht – im Freien zusammen, samt Bluesband und mobilem Altar. Picknickdecke und Picknick bringt jede*r dazu mit.
Die Liste der Presseartikel zu ihren Veranstaltungen ist lang – was ist Ihr Rezept für so viel Öffentlichkeit?
Ich liefere praktisch druckreife Artikel mit Zitaten und knackiger Überschrift, dazu ein passendes Foto. Die Tageszeitungen und besonders unser Wochenblatt – das hier in der Region das meistgelesene Druckerzeugnis ist – nimmt die Beiträge dankbar an und veröffentlicht sie meist eins zu eins. Ein wichtiger Aspekt ist für mich dabei, dass so die Gemeindeglieder, die nicht bei den Veranstaltungen dabei sein können, in der Zeitung darüber lesen und damit indirekt daran teilhaben können. Auch das schafft Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Die Menschen merken, sie leben in einer lebendigen Kirchengemeinde.
Sie würzen aber nicht nur ihre Gottesdienste mit besonderen Zutaten, sondern auch Ihre Speisen mit ultrascharfen Chilis, die Sie in ihrem Garten anbauen und gerne verschenken. Wie kam es dazu?
Das entstand aus einem gemeinsamen Kochprojekt mit Konfirmand *innen. Sie fragten nach den schärfsten Chilis der Welt – ich kaufte die Samen dafür. Seither führt jeder Konfirmandenjahrgang den nächsten in die Welt der Schärfe ein – beim Tomatensauce-Kochen mit den Chilis aus Pfarrers Garten.
Haben Sie auch ein Gottesdienstformat gefunden, das besonders die Jugendlichen der Gemeinde anspricht?
Der Krimigottesdienst ist dafür ein echtes Erfolgsformat. Der Wunsch kam aus der Gemeinde selber. Allerdings ohne konkretes Konzept. Ich schrieb dann nach einer Vorlage meines Kollegen Michael Dürschlag ein Ein-Mann-Stück, in dem ich gleichzeitig Kommissar, Zeuge und Opfer spielte. So voll wie an diesem Freitag zur Tatortzeit war die Kirche in Haseloff noch nie. Es gab natürlich auch Skeptiker, die Mord und Totschlag nicht passend für eine Kirche fanden. Aber auch die gingen am Ende begeistert aus dem Gottesdienst. Das Beste: Zum Krimigottesdienst kamen nicht nur die Konfirmand*innen, sondern auch ihre Eltern!
Schlägt sich der gute Gottesdienstbesuch am Ende auch in den Gemeindegliederzahlen nieder?
In den Statistiken hat sich die Zahl der Gemeindeglieder oder die der Taufen nicht erhöht. Sie entspricht denen vergleichbarer Gemeinden in den ländlichen Regionen unserer Landeskirche. In den Jahren von 1974 bis zum Anfang der 1990er Jahre ist in den Kirchenbüchern einiger Gemeinden nicht eine einzige Taufe verzeichnet. Die Auswirkungen davon sind immer noch spürbar.
Allerdings verstehe ich mich nicht als Manager in einer Aktiengesellschaft, der Erfolgszahlen vorzuweisen hat. Ich bin angetreten, das Wort Gottes zu verkündigen. Das nehme ich ernst.
Zur Person:
Daniel Geißler stammt aus dem sächsischen Wurzen. Der heute 43-Jährige kam am 1.März.2011 als Pfarrer im Entsendungsdienst nach Niemegk und blieb als Gemeindepfarrer. Er ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren.
Die nächsten Themen-Gottesdienste mit Daniel Geißler:
Sonntag, 23.August. 15 Uhr, Schöpfungsweg Hohenwerbig, Familien-Picknickdecken-Blues-Gottesdienst
Freitag, 11.September. 20.15 Uhr, Kirche Haseloff, Krimigottesdienst
Sonntag, 13.September. 15 Uhr, Kirche Groß Marzehns, Beethovengottesdienst mit der Kreismusikschule
Sonntag, 27. September. 15 Uhr, Kirche Niemegk, Akustik-Rockgottesdienst
Pfarrer Geißler auf Youtube: