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Gratwanderung: eigene Freiheit und Einsatz für andere

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, kann einem sozialen Pflichtdienst für junge Leute, wie ihn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagen hat, viel Gutes abgewinnen. Ein solcher Dienst könne für junge Menschen eine wertvolle Erfahrung und auch für die Gesellschaft eine Bereicherung sein, sagte die westfälische Präses im Gespräch mit Ingo Lehnick (epd).

Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).Foto: Jens Schulze/epd

Der Bundespräsident hat einen sozialen Pflichtdienst für junge Menschen vorgeschlagen. Was ­halten Sie davon, Frau Kurschus?

Ich kann dem viel abgewinnen. Es ist in mancher Hinsicht ein sehr reizvoller und positiver Gedanke, den weiterzuverfolgen sich lohnt. Nach meiner Wahrnehmung war der Zivildienst oder ist ein freiwilliges soziales Jahr für die allermeisten eine kostbare Zeit mit unerwarteten Erfahrungen, die sie im Rückblick nicht missen möchten. Eine solche Zeit kann ein großer persönlicher Erfahrungsschatz für die Einzelnen sein, von dem sie unter Umständen ihr ganzes Leben lang profitieren. Und auch für unsere Gesellschaft kann es belebend und bereichernd sein, wenn junge Menschen in einer bestimmten Phase ihres Lebens etwas für die Gemeinschaft tun, in der sie leben, und sich entsprechend einbringen.

Wichtig ist, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt – nicht alle können sich vorstellen, in einer Klinik am Krankenbett zu stehen oder in einer Pflegeeinrichtung zu helfen. Es sollte selbstverständlich niemand zum Dienst in einem Altenheim gezwungen werden. Aber wer keine Lust hat, bei der Pflege von Menschen zu helfen, hat vielleicht Lust, einen Garten zu pflegen oder einen Wald aufzuräumen.

Kritiker des Vorschlags meinen, dass ein Pflichtdienst zu stark in den Lebenslauf junger Leute ­eingreift, die zudem zu den ­Hauptleidtragenden der Pandemie ­gehören und sich in dieser Zeit sehr solidarisch gezeigt hätten.

Das stimmt, ihnen hat die Pandemie viel abverlangt. Mir leuchtet ­allerdings nicht ein, dass alles, was mit einer Pflicht in Zusammenhang gebracht wird, automatisch negativ konnotiert ist. Ich hielte die Verpflichtung zu einem sozialen Dienst nicht für einen ungebührlichen Zwang, der die Entfaltung junger Frauen und Männer zu sehr ­beschneiden würde. Ich finde, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir könnten jungen Menschen damit Lebensräume und Perspektiven eröffnen, die sie „freiwillig“ und von sich aus vielleicht nie entdecken würden.

In der Diakonie gibt es dazu unterschiedliche Stimmen: Bethel-Chef Ulrich Pohl unterstützt ein Pflichtjahr als „Instrument zur Stärkung gesellschaftlicher Solidarität“, für Diakonie-Präsident Ulrich Lilie müssen dagegen Freiwilligkeit und persönliche Überzeugung entscheidend bleiben.

Ein verpflichtender Sozialdienst ist eine Gratwanderung zwischen gelebter persönlicher Freiheit und dem Einsatz für andere. Im besten Fall sollte beides Hand in Hand gehen. Freiheit heißt ja nicht allein, dass ich meine Bedürfnisse möglichst un­gehindert ausleben kann, sondern auch, dass ich meine persönliche Freiheit einer Gesamtgesellschaft verdanke, in die mein Leben eingebettet ist. In meinen Augen ist ein sozialer Pflichtdienst ein Raum, in dem ich frei bin, mich innerhalb eines bestimmten Zeitraums für andere Menschen und das Gemeinwohl einzusetzen. Von diesem Gemeinwohl profitiere ich schließlich selbst.

Der Bundespräsident erhofft sich durch eine Pflichtzeit für junge Menschen mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sind hier nicht auch ältere Menschen gefragt – und was müsste sonst noch für mehr Solidarität getan werden?

Vergessen Sie nicht, dass sehr viele Männer Wehr- oder Zivildienst geleistet haben, als sie jung waren. Aber Sie haben recht: Ein solcher ­Sozialdienst kann nur ein Anfang sein in einer Kette mit mehreren Gliedern. Es geht vor allem darum, ein Bewusstsein für Solidarität und die Notwendigkeit eines guten Miteinanders zu schaffen. Leider verliert unsere Gesellschaft zunehmend an Bereitschaft zur Toleranz; die Einzelnen kapseln sich in ihre sozialen ­Milieus und Meinungsblasen ein. ­Andere Sichtweisen werden immer weniger akzeptiert, und es gibt eine bedenkliche Entwicklung hin zu Wut und Hasstiraden. Hier sehe ich die Kirchen besonders in der Pflicht, Räume zu schaffen, in denen Begegnungen und Diskurs möglich sind. Die Auseinandersetzung ist ein Grundelement unserer Gesellschaft und von Demokratie überhaupt. Toleranz lässt sich nicht vorschreiben. Aber meine Hoffnung ist, sie könnte durch einen verpflichtenden sozialen Dienst für das Gemeinwesen ­gefördert werden.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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