Von Susanne Atzenroth
Wer bei Studierendenarbeit an ein theologisches Vortragsprogramm denkt, hat weit gefehlt. In der Oderstadt Frankfurt sind die Angebote bunt und vielfältig: Da treffen sich junge Studierende zum Stammtisch in der Mensa, joggen zusammen oder kochen für sich und andere. Sie bauen Gemüse in einem Paradiesgarten an und malen auf die Fußwege der Stadt mit bunter Farbe ein Straßenwörterbuch.
Auch aus einem anderen Grund ist in der Doppelstadt Frankfurt/Słubice rechts und links der Oderbrücke alles etwas bunter und vielfältiger als anderswo. Hier mischen sich Sprachen, Kulturen und Konfessionen aus der ganzen Welt. Das ist nicht nur so wegen der Nähe zum Nachbarland Polen, sondern auch wegen der Europa-Universität Viadrina. Sie unterhält weltweite Partnerschaften zu 250 Hochschulen. Viele Studiengänge haben eine internationale Ausrichtung oder werden gleich auf Englisch angeboten.
Das gab den Ausschlag für Ama Frimpomaa aus Ghana, hier International Business Administration zu studieren. Im Masterstudium ist sie für ein Jahr an der Viadrina und kommt zu den Veranstaltungen der Ökumenischen Studierendenarbeit. Heute hat sie sich zum Mittagessen-Stammtisch in der Mensa mit anderen Studierenden getroffen – wie jeden Mittwoch. „Wir helfen uns und teilen unsere Erfahrungen“, erzählt die 30-jährige Masterstudentin. Auch Cloé Carreau aus Frankreich ist gekommen. Die Erasmusstudentin macht in Frankfurt ihren Doppelmaster in Kulturwissenschaften. Cloé ist katholisch, Ama evangelisch – aber das spielt hier keine Rolle. Die Angebote der Ökumenischen Studierendenarbeit in Frankfurt sind offen für alle jungen Menschen – mit und ohne Konfessionen.
Der Treff ist offen
So sitzt am Mensatisch auch nicht nur ein Studierendenseelsorger, sondern es sind ihrer gleich zwei: Der evangelische Pfarrer Reinhard Menzel und der katholische Seel-sorger René Pachmann. Letzterer ist seit einem Jahr dabei. Der Treff ist offen, wer kommt der kommt.
Gesprochen wird auf Deutsch und Englisch, auf Polnisch oder Ukrainisch. Man verabredet sich und plant gemeinsam die nächsten Aktionen.
Noch am gleichen Abend wird es mit dem Straßenwörterbuch weitergehen. An vielen Stellen vor öffentlichen Gebäuden der Stadt wollen die Studierenden per Schablone Worte in drei Sprachen auf den Bürgersteigen anbringen. An diesem Tag ist das Arbeitsamt dran. „Geduld“ ist dort oft gefragt – auf Deutsch, Polnisch und Ukrainisch leuchten die Buchstaben nach wenigen Stunden Arbeit in den Farben Frankfurts und der Ukraine in grün, blau und gelb.
Gute Beziehungen gibt es auch zum polnischen, katholischen Studierendenseelsorger Rafał Mocny am Collegium Polonicum in Słubice, kaum einen Kilometer entfernt über die Oderbrücke, und zur Ortho-doxen Kirche. Die Ökumene hat in der Doppelstadt Tradition und kurze Wege: „Wir sind so wenige Christen hier, da machen wir auch die Studierendenarbeit gemeinsam“, betont Reinhard Menzel. Der evangelische Pfarrer ist seit drei Jahren in Frankfurt. Vorher war er zehn Jahre als Studierendenpfarrer in Cottbus.
Die Realität mehrsprachig wahrnehmen
„Nach der Coronazeit, in der alle Aktivitäten ruhten, starten wir praktisch wieder neu“, sagt Menzel. Das Gerüst bilden dabei regelmäßige Angebote wie der wöchentliche Bibelkreis unter dem Motto „Eat & Read“. Dazu kommen offene Projekte, wie das Straßenwörterbuch, gemeinsames Joggen oder die Vorbereitung mehrsprachiger Gottesdienste. Es sei wichtig, die Augen für die Realität zu öffnen. „Die theologische Reflexion ergibt sich eher beim praktischen Tun als in Kreisen oder Vorträgen“, erklärt Menzel.
Selbstverwaltet wohnen
Das Studien- und Gästehaus Hedwig von Schlesien ist eng mit der Ökumenischen Studierendenarbeit verbunden. 15 junge Menschen unterschiedlicher Nationen, mit und ohne Konfession, leben hier selbstverwaltet zusammen. Die Namensgeberin lebte im 12. und 13. Jahrhundert und war als Landesmutter bei Polen und Deutschen gleichermaßen beliebt. Sie wird als Heilige verehrt und gab mit ihrem Leben ein Beispiel für Verständigung, Mit- einander und christliche Nächstenliebe.
Träger des Hauses ist der Verein Oekumenisches Europa-Centrum Frankfurt (Oder), der sich für Verständigung von Kirchen, Religionen und Weltanschauungen einsetzt. „Wir treffen uns zum gemeinsamen Essen, Feiern, zu Andachten oder beim spontanen Kaffee am Nachmittag“, sagt Anne Pilhofer. Die 32-jährige Studentin lebt seit zwei Jahren im Hedwighaus und schreibt ihre Masterarbeit über die beiden Schöpfungsgärten, die seit dem vergangenem Jahr auf der polnischen und deutschen Seite der Oder entstehen. Im 2021 angelegten Garten des Hedwighauses sind Blumen, Gehölze und Bäume mit biblischem Bezug gepflanzt, Hochbeete mit Kräutern und Tomaten bewachsen. Eine Förderung des Projektes, das Ökologie und praktischen Nutzen verbinden soll, gab es von der Euroregion Pro Europa Viadrina. Ein ähnlicher Garten entsteht hinter dem Haus der polnischen Studierendengemeinde in Słubice.
Bar mit Pizzaofen
Vieles ist im Hedwiggarten noch im Entstehen. So fehlen noch einige Bretter am Pavillon hinter dem Haus, den die Hausbewohner*innen gemeinschaftlich aus einem Bausatz fertigten und der jetzt zur Bar wird. Am 2. Juli fand hier nämlich nicht nur der Semesterabschlussgottesdienst der Ökumenischen Studierendenarbeit statt, sondern auch das jährliche Sommerfest – ein Höhepunkt im Hedwighaus. Wegen der Corona-Pandemie musste es in den letzten zwei Jahren ausfallen. Jetzt wurden der frisch gesetzte Pizzaofen und die neu beplankten Bänke eingeweiht. „Wir freuen uns sehr, wieder mit allen zusammen feiern zu können“, sagt Anne Pilhofer.