Das Leben hat es gut mit mir gemeint. Es ist mir die Gabe gegeben worden, aufrecht durchs Leben gehen und für andere da sein zu können. Ich habe mich immer für andere Menschen interessiert. Außer meiner Familie weiß kaum jemand, dass ich bei der Telefonseelsorge arbeite, das ist ganz wichtig. Denn vielleicht will auch mal mein Nachbar anrufen.
Am Ende meines Berufslebens habe ich die Ausbildung zur Telefonseelsorgerin gemacht. Es war das Beste, was mir je passiert ist. Die Gruppe ist stark und vertrauensvoll, niemand wird bewertet. Ich habe viel über mich selbst gelernt und die Arbeit gibt mir so viel zurück.
Ich bin keine Therapeutin oder Ratgeberin. Ich möchte den Anrufern zuhören und sie ernst nehmen. Keine Bewertung, das ist mir besonders wichtig. In vielen Gesprächen merke ich, wie verunsichert viele Menschen sind. Manchen geht erst am Telefon auf: „Das kann ich machen, mich trauen?“ Ich bin für sie da, um Mut zu machen, ihren Weg zu gehen, auch wenn es Widerstand gibt.
„Ich habe Zeit für Sie“: Das ist für viele Menschen ungewohnt zu hören. Ich habe Zeit, mich drängt niemand und nichts. Ich bin da, um zuzuhören. Bei der Telefonseelsorge geht es sehr oft um die schweren Themen des Lebens wie Suizid, Sterben, Trauer und Tod. Aber nicht nur. Manchmal geht es um Alltägliches. Ganz viel um Gefühle. Um Traurigkeit oder Wut, um Ängste. Wenn jemand anfängt zu schimpfen, weiß ich: Ich bin nicht gemeint, aber die Person hat gerade kein anderes Gegenüber. Am Ende legt kaum jemand mehr gefrustet auf. Es wird viel geweint, aber zum Schluss öfters auch gemeinsam gelacht. Es gibt auch Anrufer, die gemeinsam beten wollen. Das Buch mit den Losungen liegt immer bereit.
Auch nachts steht das Telefon nicht still. Da mache ich besonders gerne Dienst, denn es gibt andere Themen als am Tag. So ist es auch an Weihnachten, die Menschen sind anders eingestimmt. Da kommen viele Erinnerungen hoch, an die Kindheit, an früher. Einsamkeit spielt eine große Rolle, dieses Jahr bestimmt noch mehr als sonst. Einmal, am zweiten Weihnachtsfeiertag sagte jemand zu mir: „Sie sind der erste Gesprächspartner seit drei Tagen. Jetzt kann ich endlich mal wieder reden.“ Das erschüttert mich schon manchmal.
Wie es in diesem besonderen Jahr werden wird? Das kann ich nicht sagen. Viele Menschen haben sich sehr zurückgezogen aus allem. Wie soll das wieder gekittet werden? Überall gibt es Ängste und schlechte Nachrichten. Was macht das mit uns? Darüber mache ich mir Gedanken.
Viele Menschen rufen an, wenn sie zum ersten Mal Weihnachten allein verbringen nach dem Tod des Partners oder der Partnerin. Trauer, das Sich-verlassen-Fühlen und auch Wut über das Alleinsein spielen eine große Rolle. Im Gespräch haben sie die Möglichkeit, über das, was das Herz so schwer macht, zu sprechen. Ich versuche dann schöne Erlebnisse und gemeinsame Erinnerungen wachzurufen, das gelingt mir oft ganz gut. Dass die Anrufer mir ihr Vertrauen schenken, ist keineswegs selbstverständlich. Dafür bin ich dankbar. Es macht demütig und erdet mich.
*Name von der Redaktion geändert.