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Insel der Ruhe

Steven Langnas, Rabbiner in München und Lehrbeauftragter, und Andrea Richter, Pfarrerin und Beauftragte für Spiritualität, im Gespräch über Schabbat und Sonntag

Begleitend zur Kampagne „#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst“ veröffentlicht „die ­Kirche“ jüdisch-christliche ­Interviews. Im Juli spricht Anna Müller, Beraterin bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, über Schabbat beziehungsweise Sonntag mit dem Münchener Rabbiner Steven Langnas und der Pfarrerin und Beauftragten für Spiritualität, Andrea Richter. Über eine Insel der Ruhe, eine zweite Seele und sinnvolle Verbote. 

Rabbiner Langnas, wie sieht für Sie der Schabbat aus? Wenn der Wecker klingelt, was machen Sie als Nächstes?

Langnas: Der Wecker klingelt am Samstag nicht, weil wir keine Technik benutzen dürfen. Die Vorbereitungen für unseren Schabbat beginnen schon am Mittwoch oder Donnerstag. Alles muss eingekauft, vorgekocht und arrangiert sein, bevor der Schabbat am Freitagabend losgeht. Beim Schabbes Eingang zündet die Frau die Schabbes Lichter, um mehr Licht und Freude zu Hause zu verbreiten. In dieser Zeit gibt es einen Gottesdienst in der Synagoge. Danach wird es zu Hause mit Familie und Freunde gefeiert. Die festliche Mahlzeit wird mit dem Kiddusch, ein Gebet über Wein und Brot, eingeleitet. Zwischen den Gängen gibt es Tischlieder und am Ende ein Tischgebet. Dazwischen wird über eine Bibelstelle diskutiert. Schabbat feiern ist ein spirituelles Erlebnis, nicht nur eines für den Bauch. 

Was passiert am Samstag?

Langnas: Der Gottesdienst dauert zwei bis drei Stunden. In der Synagoge gibt es ein kleines Essen. Dabei ist Gelegenheit zum Gespräch. Wieder folgt eine Mahlzeit. Am Nachmittag lesen, spazieren, schlafen wir. Gegen Sonnenuntergang gibt es noch eine Mahlzeit und einen Abendgottesdienst. Da verabschieden wir uns vom Schabbes durch die Zeremonie Hawdala. Mit ihr trennen wir die Heiligkeit des Schabbes vom Anfang der neuen Woche. 

Pfarrerin Richter, wie ist das bei Ihnen am Sonntag?

Richter: Ich werde ganz sehnsüchtig, wenn ich höre, wie durchgestaltet und erfüllt das klingt.  Als Gemeindepfarrerin versuchte ich am Samstagabend die Arbeit wegzulegen und das Essen für den Sonntag vorzu­bereiten. Am Sonntagmorgen spazierte ich lange mit meinem Hund im Grünen und stimmte mich ein auf den Gottesdienst. Mittags trafen wir uns als Familie, haben ausführlich gegessen, Mittagsschlaf und Sonntagsspaziergang gemacht. Diese aus dem Judentum überlieferten Elemente sind in den Sonntagsritualen alle enthalten. 

Gott ruhte am siebten Tag, eigentlich ist das der Samstag. Wie kommt es dann, dass im Judentum der Schabbat auf Freitagabend und Samstag fällt und im Christentum auf den Sonntag?

Langnas: Christen waren jüdisch. Sie hielten Schabbes am Samstag. Zusätzlich feierten sie am Sonntag den Tag des Herren, die Auferstehung Jesu. Als die Kirchenväter das Christentum mehr vom Judentum trennen wollten, verschoben sie die Feierlichkeiten vom Schabbes von Samstag auf den Sonntag. Schabbat ist immer noch ein Teil vom Christentum, aber ohne die Rituale und das strikte Arbeitsverbot. 

Richter: Dass im Christentum das Bewusstsein für den Ruhetag, den Schabbat so verschwunden ist, bedauere ich sehr. Bemerkenswert am Schabbat finde ich auch: 

Der Mensch empfängt eine zweite neue Seele, die „Neschama Jetera“, um Gott erfahren zu können. Wie einen spirituellen siebten Sinn. Christ*innen begehen den Sonntag als Tag der Auferstehung, an dem das Leben neu auflebt. 

Langnas: Diese Schabbat-Seele „nischoma bischema“ ist eine zusätzliche Dimension von Spiritualität. Durch die Verbote und die Schabbat-Ruhe wird ein Mensch empfänglicher für das Spirituelle. 

Am Schabbat ist vieles nicht ­erlaubt. Wie erklären Sie diese Verbote heute?

Langnas: Geht man die Liste von Verboten durch, meint man: Was für ein düsterer Tag! Kein Handy, kein Computer, kein Fernseher, keine Elektrizität, kein Fahren mit Fahrrad, Auto und öffentlichem Verkehrsmittel. Kein Einkaufen, kein Kochen, kein Kino. Aber durch diese Verbote ist ein richtiger Ruhetag garantiert. Denn es ist doch so: An einem freien Tag nehmen wir uns vor, spazieren zu gehen oder ein Buch zu lesen. Aber was passiert? Mir fällt ein, was ich alles vergessen habe zu tun und ich erledige es. Hast du aber ein Verbot, ist diese Insel der Ruhe garantiert. 

Was hat es mit dem Verbot zu ­arbeiten auf sich?

Langnas: Die Verrichtung von 

Melacha „Arbeit“, ist am Schabbat verboten. Von dem Wort kommt die Redewendung „malochen gehen“. Verboten ist kreatives Arbeiten. Betätige ich einen Lichtschalter, erlaube ich dem Strom, durch das Kabel bis zur Glühbirne zu fließen. Das erzeugt Licht und Wärme, die vorher nicht existierte. Das ist kreative Arbeit. 

Frau Richter, gibt es im Christentum auch Ge- und Verbote?

Richter: Manchmal wünschte ich mir, mir würde jemand am Sonntag den Strom abstellen. Aber in der evangelischen Tradition gibt es kein strenges Reglement. Wir haben es schwerer als eine jüdische Familie. Es ist in die Hände jeder Familie gelegt, wie sie mit der Einladung für einen Ruhetag umgeht. Und bedenkt, dass wir nicht die Schöpfer*innen unseres Lebens sind. 

In der Corona-Zeit erlebten wir digital eine Art Revival der Haus- und Familienkirche. Das knüpft an die jüdische Tradition an. 

Was ist ihnen besonders wichtig am Sonntag als Ruhetag?

Richter: Was wirklich für die Seele notwendig ist, kann ich nicht machen, nur empfangen. Wir sind nicht Schöpfer, aber wir haben schöpferische Fähigkeiten. Diese sind uns als Aufgaben in die Hände gelegt. Haben wir sie erfüllt, sind wir nicht mehr Schaffende, sondern geschafft und können uns die leeren Hände wieder füllen lassen. Das ist die Funktion des Sonntags. Das müssen wir als Christen wieder mehr verstehen lernen und Rituale dafür finden. 

Langnas: Pfarrerin Richter, sie haben eine wichtige Sache erwähnt. Unsere schöpferische Fähigkeit ist einer der Gründe für die Schabbes-Ruhe. Einen Tag in der Woche hören wir auf, schöpferisch zu sein, um zu erkennen, dass dieses wunderbare Geschenk von Gott kommt. Wir haben so viel geschaffen, Radio, Raumschiffe, Computer: Wow, wie toll wir sind. Wir sind toll! Aber die Möglichkeit all das zu tun, kommt nicht von uns. Sie kommt von oben. 

Richter: Das könnte man sofort auf den Sonntag als Tag der Auferstehung übertragen. Es bedarf einer Art spirituellen Grabesruhe, um anzuerkennen, dass wir unser Leben nicht aus uns selber haben. Wir bedürfen der Auferstehung und der Geistkraft Gottes, um neu anfangen zu können. 

Worin besteht für sie die soziale und politische Bedeutung des Sonntags?

Richter: Die Ruhe ist wichtig, um die Kraft zu gewinnen, die versklavenden Todesstrukturen unserer Welt zu erkennen. Und dagegen aufzustehen. Wir schonen auch die Natur und hinterlassen einen kleineren ökolo­gischen Fußabdruck. Hier kommt aus den monotheistischen Religionen ein wesentlicher Impuls. Auch der Freitag der Muslime gehört dazu. 

Immerzu piepst sonntags beim Essen ein Handy, klingelt ein Telefon. Eine Software kann regeln, dass am Sonntag niemand anruft.  Der Bedarf nach Ruhe setzt ein kreatives Schaffen frei?

Langnas: Schabbat erinnert an die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. Wenn ich bei Sonnen­untergang am Freitag mein Handy ausschalte, bin ich befreit von meiner Sklaverei der heutigen Technik. Kirchen und Gewerkschaften kämpfen aus unterschiedlichen Perspektiven für den Ruhetag. ­Zugleich gab er immer wieder ­Anlass für antisemitische Übergriffe.

Langnas: In den USA, wo ich ursprünglich herkomme, ist alles 24 Stunden offen. Die Feiertagsruhe existiert nicht mehr. In Deutschland musste ich mich erst daran gewöhnen, dass ich am Sonntag – nach dem ohnehin freien Schabbat – nicht einkaufen kann.  Dazu kommt: Bis ins 20. Jahrhundert hinein war der Samstag vielerorts ein Arbeitstag. ­Jemand, der Schabbat halten wollte, hatte es oft sehr schwer, am Samstag frei zu bekommen. 

Richter: Ich halte es für eine anthropologische Notwendigkeit, dass wir die Bedeutung der Ruhetagskultur wieder erlernen. Entsetzt bin ich darüber, wie oft die Schabbatruhe genutzt wurde, um gegen Jüdinnen und Juden zu hetzen. Das Nichtarbeiten am Samstag wurde sogar unter Strafe gestellt.

Die Kirche behauptete, Jesus hätte den Schabbat gebrochen.

Richter: Das ist infam! Das Gegenteil ist der Fall. Jesus interpretierte den Schabbat auf eine bestimmte Weise: Lebensnotwendiges darf am Schabbat geschehen, wie das Heilen. Wenn ich richtig informiert bin, darf ein jüdischer Arzt am Schabbat natürlich einem Kranken zur Hilfe eilen. Aber er wird nicht mit dem Auto zurückfahren. Ich glaube das ist eigentlich jesuanisch. 

Langnas: Wenn Lebensgefahr besteht, darf man im Judentum nicht nur die Schabbat-Vorschriften aufheben, man muss alles tun, was möglich ist, um Leben zu retten! Jesus war im grünen Bereich. Er heilte mit Worten. Das ist nicht verboten. 

Sonntag gilt als achter Tag. Manche Kirchen und Taufsteine sind deshalb achteckig. Dabei ist der Sonntag der siebte Tag, wie kommt das?

Richter: Die Acht sprengt die ­irdische Dreidimensionalität und eröffnet eine neue Dimension, genauso wie die Auferstehung. Der siebte Tag ist der Ruhetag, der achte Tag der erste Tag der neuen Schöpfung. In der Taufe sind wir hinein­genommen in Tod und Auferstehung Jesu, deshalb das Achteck.

Langnas: Im Judentum ist das auch so. Sieben ist ein kompletter Zyklus. Acht ist ein neuer Anfang. Deshalb werden Jungen am achten Tag beschnitten. Für einen Jungen beginnt sein vollständiger Status als Mitglied des Bundes Abrahams.

Richter: Auch das Jesuskind wurde am achten Tag zur Beschneidung ­gebracht. 

Zum Thema „Auszeit vom Alltag – Schabbat beziehungsweise Sonntag“ lädt „die Kirche“ zu einem Online-Dialog (via Zoom) am Mittwoch, 14.Juli, um 19 Uhr mit Rabbiner Steven Langnas und Pfarrerin Andrea Richter. Es ­moderiert Anna Müller.

Bitte ­anmelden unter der E-Mail-Adresse: ­dialog(at)wichern.de 

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1. Kirchen erhalten.... Heinz-Walter Knackmuss Lieber Herr Röger,die Kulturministerin des Landes Brandenburg, Dr. Manja Schüle, hat auf meine Anregung eine Verordnung erlassen, dass mit Zustimmung des Denkmalschtzes und des Konsistoriums Photovoltaik auf Kirchen der Normalfall sein soll. Das wäre eine Möglichkeit die Stromversorgung der Kirchengebäude autark zu machen, denn die Akkus erlauben eine Versorgung bei Tag und Nacht und durch die Einspeisungen noch Geld zu Verdienen und evtl. eine Heizung zu betreiben. Nun sind aber die Pfarrer dagegen und blockieren solche Maßnahmen. Sie haben im voauseilenden Gehorsam Angst, dass der Denkmalschutz das Projekt für Ihre Kirche ablehnen würden oder führen ästhetische Gründe an. Ich würde gern für die SMA in Rathenow dafür eine Spenenaktion starten, aber es fehlt die Zustimmung des Pfarrers. Ich finde, die Kirchenleitung müsste auch die Pfarrer motivieren, solche Projekte zu unterstützen.Wenn es den Christen mit dem Erhalt der Schöpfung Gottes wirklich ernst ist, müssten Photovoltaikanlagen auf alle Kirchendächer.
2. Die Kirche weiter umbauen Wolfgang Banse Nicht immer denkt eine Konsistorialpräsidentin.hier EKBO, Viola Vogel in den richtigen Kategorien.Ist sie eine Prophetin, Hellseherin, was den Zustand der EKBO betrifft.Bei grundsätzlichen Entscheidungen, sollte die Basisdemokratie angewendet w erden, hier Anhörung, Beteiligung der Kirchenglieder, im Bezug:"Wir sind das Kirchenvolk"Einsparungen, was das aufgeblähte Personal im Konsistorium betrifft.Der Rotstift sollte was das Personal anbetrifft, nicht das Bischofsbüro aussperren.Verabschiedung vom Beamtentum, Fahrer abschaffen,Mittelklasse PKw sich zu wenden.Pfarrwohnungen und Pfarrhäuser entsprechend zu aktuellem Mietzins vermieten.Die Kirche unterliegt keinem Modetrend, der wechselt.Gläubige identifizieren sich mit der Kirche, hier Kirchengemeinden, mit denen sie sich verbunden fühlen, beheimatet sind.Sie Familienkirchen , von der Taufe, über Konfirmation, Trauung bis zur Beerdigung für die Familie sind. Gemeindeglieder möchten nicht alle ein paar Jahre ein neues Gesangbuch...Dem Volk, hier Kirchenvolk auf`s Maul schauen, hier Reformator Martin Luther, sollte das Konsistorium beherzigen.Es ist nicht alle gut, was in der EKBO angedacht, umgesetzt wird.Kirchernmitgliedsaustritte zu Hauf belegen dies.
3. "Kontrast könnte nicht größer sein" Wolfgang Banse Die evangelische, protestantische Kirche sollte eindeutig Stellung, Position beziehen, wo sie steht im Bezug was die AFD betrifft.Lippenbekenntnisse sind nicht gefragt, sind fehl am Platz.Die Kirchen sollten sich intensiv beteiligen Ausländerfeindlichkeit, im Bezug:"Suchet der Stadt Bestes" Das Wächteramt, welches die Kirchen inne haben, sollte zum Vorschein kommen, im Bezug Antisemitismus, Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit,Behindertenfeindlichkeit.Aus der jüngsten deutschen Geschichte, hier 1933 bis 1945 sollten Lehren gezogen werden.Die Kirchen sind KPÖR, dieses sollten sie leben, erfahrbar werden lassen, im Bezug AFD. In drei neuen Bundesländern finden 2024 Landtagswahlen statt.Beide Amtskirchen sollten ein gemeinsames Wort zu den jeweiligen anstehenden Landtagswahlen herausgeben, im Hinblick auf die AFD.Flagge,Gesicht zeigen,wo für die Kirche, die Kirchen im Jahr 2024 stehen.

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