Wie zerstörerisch Mobbing und Hass in den Sozialen Netzwerken sein können, zeigt das erschütternde Beispiel der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr. Zuerst konnte sie ihren normalen Praxisbetrieb nicht mehr aufrecht erhalten, dann beging sie Suizid. Nehmen Behörden, User und Kirchen diese Bedrohung ernst genug?
Von Margot Käßmann
Lisa-Maria Kellermayr. Eine 36 Jahre junge Ärztin. Vor weniger als zwei Jahren hat sie ihre eigene Praxis eröffnet, sich darauf gefreut, als Landärztin in Seewalch am Attersee zu praktizieren. Nach langem Studium und praktischer Ausbildung ein großer Schritt, zum Mitfreuen auch für Patientinnen und Patienten.
Keine zwei Jahre später nimmt sie sich am 22. Juli 2022 selbst das Leben. Gehetzt und bedroht von Impfgegnern sieht sie keinen anderen Ausweg mehr. Nach einem Tweet im November 2021, in dem sie Verschwörungstheoretiker kritisierte, die mit einer Demonstration den Zugang zum Krankenhaus in Wels (Oberösterreich) blockiert hatten, wird sie von massivem Hass und brutalen Morddrohungen verfolgt. Impfgegner schicken nicht nur Mails, sie kommen auch als vermeintliche Patienten in ihre Praxis, stören den Betrieb, stellen Videos davon ins Internet.
Polizei unterstellte ihr „Geltungssucht“
Von der Polizei fühlt die Ärztin sich nicht ernstgenommen und geschützt. In einem Aktenvermerk der oberösterreichischen Polizei heißt es: „Insgesamt wurde zunehmend der Eindruck gewonnen, dass Frau Dr. Kellermayr sich über verschiedene Schienen bemüht, die öffentliche Wahrnehmung ihrer Person zu erweitern, indem sie Druck auf die Ermittlungsbehörden ausübt“ (Quelle: „Puls 24“, österreichischer Privatfernsehsender). Das klingt, als wolle das Opfer sich ins Licht der Öffentlichkeit drängen, als sei sie die Schuldige und nicht die Täter. Also versucht sie sich selbst zu schützen und gibt viel Geld für Personenschutz aus: für sich, ihre Mitarbeitenden und die Praxis. Aus der fröhlichen Ärztin wird eine Frau, die völlig verängstigt ist. Am Ende sieht sie sich gezwungen, die Praxis zu schließen.
Das ist eine entsetzlich traurige, erschütternde Geschichte. Aber sie ist mehr als das. Sie zeigt, wie zerstörerisch sich der Hass in den sogenannten sozialen Netzwerken Bahn bricht. Da verlieren Menschen jede Form von Respekt vor der Würde des anderen. Sie wird nicht nur angetastet, sie wird in Frage gestellt, mit Füßen getreten, ja ausradiert. Menschen mögen in Sachen Impfung verschiedener Meinung sein. Aber das berechtigt in keinster Weise zu derartigen Anfeindungen.
Auch eine Aufgabe der Kirchen
Da sind auch diejenigen gefragt, die sich auf Kanälen wie Telegram beteiligen. Es muss doch jemand zur Mäßigung mahnen, statt die Hetze immer weiter zu drehen! In unserem demokratischen Land gibt es die Freiheit der Meinungsäußerung – aber ohne Diffamierung anderer! Dafür klar einzutreten, liegt an uns allen und ist auch eine Aufgabe der Kirchen.
Und sie zeigt, dass Polizeibehörden, Gerichte, Staatsanwaltschaften solche Vorgänge noch immer nicht ernst genug nehmen. Es geht nicht um „Kavaliersdelikte“ oder „nur“ schriftliche Äußerungen. Gegen derartige Bedrohungen muss viel entschiedener vorgegangen werden. Die Spur der Mails führt übrigens nach Deutschland …
Zuletzt: Ich bin froh, dass wir Menschen, die sich suizidieren, nicht länger verurteilen. Es gab eine Zeit, da wurden sie nicht auf dem kirchlichen Friedhof bestattet. Sie hätten eine Todsünde begangen, hieß es.
In dem Film „Luther“ von 2003 mit Joseph Fiennes in der Hauptrolle bestattet Martin Luther einen Jungen, der sich das Leben genommen hat, auf dem kirchlichen Friedhof. So wird „Rechtfertigung allein aus Glauben“ filmisch übersetzt. Gottes Gnade ist größer als das Tun der Menschen. Und allzumal gilt die Liebe Gottes einem Menschen, der zu Tode gehetzt wird. Möge die Seele von Lisa-Maria Kellermayr Ruhe und Frieden finden bei Gott.
Hilfe bei Suzidgedanken leistet die Telefonseelsorge unter:
0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222
Die Theologin Margot Käßmann war unter anderem Ratsvorsitzende der EKD und Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.