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Kommunist im Kirchenasyl

Vor 30 Jahren wurde Erich Honecker im Lobetaler Pfarrhaus aufgenommen

Der ehemalige Leiter der Hoffnungstaler Anstalten in Lobetal bei Berlin, Pfarrer Uwe Holmer, vor seinem Wohnhaus in Lobetal (Foto vom 01.02.1990). Holmer hatte den gestürzten DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker und seine Frau Margot am 30. Januar 1990 als Gäste in das Pfarrhaus aufgenommen. Foto: epd

Von Yvonne Jennerjahn (epd)

Zuerst hatte sich die evangelische Kirche gesträubt. Viermal sei die Bitte an ihn herangetragen worden, den gestürzten DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker und seine Frau Margot in ein kirchliches Haus aufzunehmen, schreibt Bischof Gottfried Forck Anfang 1990. Doch er lehnt ab: Honeckers Unterbringung sei Aufgabe des Staates. Nur wenn dies nicht geht, sei die Kirche bereit - und nur aus Barmherzigkeit.

Doch die staatlichen Bittsteller sind hartnäckig. Die Regierung habe sich um eine Wohnung für den 77-Jährigen bemüht, könne aber nirgends Schutz vor möglicher Lynchjustiz bieten, erklären sie. Am 30. Januar 1990 gibt die Kirche nach: Der krebskranke Honecker, der nach eintägiger Untersuchungshaft in Ostberlin als haftunfähig entlassen wird, kommt mit seiner Frau nach Lobetal bei Bernau. Unter dem Dach der Hoffnungstaler Anstalten findet das Ehepaar, das stets auf eine Gesellschaft ohne Kirche gesetzt hat, vorerst eine Bleibe.

Die Unterbringung von Erich Honecker im Pfarrhaus der Hoffnungstaler Anstalten in Lobetal stösst bei vielen DDR-Bürgern auf Unverständnis. Foto von der Montagsdemonstration in Leipzig. Foto: Uwe Mehrl/epd

Ganz normale Gäste?

"Er war schwach und krank", erinnert sich Pfarrer Uwe Holmer, der damalige Anstaltsleiter und CDU-Bürgermeister von Lobetal, später an die Aufnahme der Honeckers: "Sie haben sich bedankt, sie waren wie ganz normale Gäste."

Doch das haben nicht alle so empfunden. Er sei noch dabei gewesen, den Honeckers die Zimmer zu zeigen, als der erste empörte Anruf einging, hat Holmer die ersten Stunden einmal beschrieben. Ein Mitglied des Gemeindekirchenrates sei es gewesen. Er selbst habe entgegnet: "Wir können nicht jeden Sonntag beten und vom Vergeben der Schuld reden und es dann nicht tun." Und Lobetal sei 1905 als Kolonie für Obdachlose gegründet worden, auch Honecker sei nun obdachlos. Der Gemeindevertreter hat es akzeptiert. Proteste gab es dennoch, am Gartenzaun, im Ort, per Post, selbst Bombendrohungen.

"Herr Honecker befindet sich in Lobetal nicht in einem Asyl, das ihn der strafrechtlichen Verfolgung entzieht", hatte Bischof Forck in seinem Schreiben vorsichtshalber klargestellt. Und das Ehepaar nehme auch niemandem einen Heimplatz weg: Die Holmers hatten für die Honeckers die beiden Kinderzimmer im Pfarrhaus freigeräumt. Das Bad teilten sie sich mit den Kindern.

In Erinnerung blieben dem heute 90-jährigen Holmer, der seit seinem Ruhestand im mecklenburgischen Serrahn lebt, auch die abendlichen Spaziergänge mit Honecker: "Er war deutlich anderer Meinung in politischen Dingen." Ein freundliches und menschliches Verhältnis sei trotzdem entstanden. Dass die SED-Genossen sich von ihm abwandten "und ihn im Regen stehenließen", auch die Anklage wegen Hochverrats, habe Honecker schwer getroffen.

Die ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 erlebte Honecker unter dem Dach der Kirche. Dass die Niederlage für den DDR-Sozialismus dabei so klar ausfiel, erschütterte ihn. Dann hieß es plötzlich, es gebe eine geeignetere Unterkunft. Nach Lindow bei Rheinsberg sollte es gehen. Doch schon am nächsten Tag kam die eilige Bitte um erneute Aufnahme in Lobetal. Denn am neuen Wohnort hatten aufgebrachte Anwohner gedroht, das Haus zu stürmen.

Bis zum 3. April kommen die Honeckers noch einmal im Pfarrhaus unter, danach bei der Sowjetarmee in Beelitz. Im Winter 1990, die DDR gibt es nicht mehr, ergeht Haftbefehl gegen ihn. Das Ehepaar wird von den Russen nach Moskau gebracht. 1992, auch die Sowjetunion gibt es nun nicht mehr, werden sie nach Deutschland ausgeliefert.

Niemanden abweisen

Honecker wird wegen des Schießbefehls an der Grenze angeklagt und kommt in Berlin erneut in Untersuchungshaft. Anfang 1993 wird das Verfahren aus gesundheitlichen Gründen eingestellt, das Ehepaar geht nach Chile. Dort stirbt Honecker 1994 mit 81 Jahren an Krebs. Seine Witwe Margot bleibt bis zu ihrem Tod 2016 in dem Land in Südamerika, sie stirbt mit 89 Jahren.

Die Aufnahme Honeckers im Pfarrhaus hat der spätere langjährige Leiter der heutigen Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, Johannes Feldmann, trotz der spektakulären Umstände nur als einen von vielen Mosaiksteinen in der Geschichte der Anstalt betrachtet. "Dass ihr mir niemanden abweist", war das Motto des Gründers Friedrich von Bodelschwingh. "Wer Hilfe braucht, für den müssen wir da sein", so hat es auch sein Nachfolger gesehen. Und die beiden Honecker-Zimmer wurden später wieder zu ganz normalen Wohnräumen.

 

Theologe Holmer: Honecker-Kirchenasyl war Zeichen für Vergebung

Von Yvonne Jennerjahn (epd)

Der evangelische Theologe Uwe Holmer steht auch 30 Jahre nach dem Honecker-Kirchenasyl im brandenburgischen Lobetal zu seiner Entscheidung. "Ich sehe das heute so wie damals auch", sagte Holmer dem Evangelischen Pressedienst (epd) im mecklenburgischen Serrahn. Ziel sei gewesen, die angespannte Atmosphäre zu entschärfen. "Wir wollten nicht, dass die friedliche Revolution in inneren Kämpfen, Verachtung, Verwerfungen und Streit mündet", sagte der 90-jährige frühere Leiter der diakonischen Einrichtung in Lobetal.

Holmer hatte Erich und Margot Honecker am 30. Januar 1990 in seinem Pfarrhaus in Lobetal aufgenommen, weil die damalige DDR-Regierung keine andere Möglichkeit zum Schutz des gestürzten Staatschefs vor Gewalt sah. "Wenn man einen guten Weg gehen will, muss der Hass wegbleiben", sagte Holmer: "Gutes geschieht nur im Frieden." Das biblische Gebot der Vergebung gelte auch in solchen Fällen. "Wir wollten einfach das Zeichen setzen, wir wollen vergeben", sagte der Theologe.

Damals habe er wegen der Aufnahme Honeckers knapp 3.000 Briefe bekommen, etwa die Hälfte davon mit Kritik, sagte Holmer. Inzwischen spiele das Thema jedoch keine große Rolle mehr.

Bei heutigen Kirchenasylfragen sei er geteilter Meinung, sagte Holmer. Flüchtlinge, die ihren Glauben ändern und Christen werden, sollten nicht abgeschoben werden. "Wenn eine Gemeinde überzeugt ist, jemand ist Christ geworden, soll sie den Mut haben zu helfen", sagte Holmer. Dann komme aus seiner Sicht auch ein Kirchenasyl infrage. Die anderen Fälle seien jedoch Sache des Staates.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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