Von Friederike Krippner
„Rassistische Darstellung? Kirche streitet über Heilige Drei Könige“ – Solche und ähnliche Schlagzeilen konnte man jüngst in der Presse lesen. Was war passiert?
Der Kirchengemeinderat der Münstergemeinde Ulm hatte beschlossen, in diesem Jahr die Heiligen Drei Könige nicht aufzustellen, die Teil einer in den 1920er Jahren von dem Künstler Martin Scheible geschaffenen Krippe sind. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass Scheibles Melchior-Figur „voller Klischees und grotesk überzeichnet“ sei und daher rassistische Stereotype bediene. Es gab eine Presseerklärung, man erläuterte, es gehe nicht allgemein um Melchior-Figuren, sondern um diese konkrete Darstellung. Und der Dekan des Evangelischen Kirchenbezirks Ulm, Ernst Wilhelm Gohl, erklärte in verschiedenen Interviews, dass die in diesem Sommer sehr präsente „Black Lives Matter“-Bewegung die Gemeinde für das Thema sensibilisiert habe. Nach Weihnachten wolle man in Ruhe darüber nachdenken, wie mit der ganzen Sache umzugehen sei.
Mit der Ruhe wurde es allerdings nichts. Das Thema ging stattdessen kreuz und quer durch die deutschen Medien und Gohls Mail-Postfach quoll von größtenteils wütenden Kommentaren über. Gegenüber dem SWR sagte Gohl: „Ich wundere mich, welche Aggressivität in unserer Gesellschaft herrscht, dass man nicht mal aushält, wenn einer eine andere Position hat und man sich damit vertraut macht. Warum machen die das? Diese Frage stellt überhaupt niemand. Wenn man mal auf diesem Wutgleis ist, dann hat man echt schlechte Karten mit Argumenten.“
Eine Pointe der Geschichte ist, dass der Entschluss, die Figur nicht aufzustellen, eine Rassismus-Debatte im Advent verhindern sollte. Noch ist zwar kein Advent, aber eine Debatte um die Figur blieb ganz offensichtlich nicht aus.
Und ich finde: zum Glück! Denn der Ulmer Melchior wirft viele Fragen auf: Es kreuzen sich die biblische Überlieferung mit christlichem Brauchtum, (kunst-)historische Argumente mit aktuellen Debatten und kommentierende Museumspraxis mit der geistlichen Funktion von Krippen. Wie man diese verschiedenen Ebenen auseinanderhält und gewichtet und wie man schlussendlich mit solchen Figuren umgeht, darüber müssen wir uns verständigen. Zum Glück also verschwand der Melchior nicht sang- und klanglos.
Wir müssen inner- und außerhalb der Kirche streiten, denn nein, wir sind nicht alle einer Meinung – natürlich nicht. Und das gilt keineswegs nur für den Umgang mit Krippenfiguren. Es gilt für die großen kirchlichen Themen: Was sind die „eigentlichen Themen“ der Kirche? Was sind die Aufgaben der Kirche? Soll Kirche politisch sein? Und was hieße das? Wie gehen wir mit dem Mitgliederschwund um? Möglicherweise beantworten Sie diese Fragen anders als ich. Also: Ja, wir müssen streiten. Aber Streit heißt nicht Wut. Streiten heißt, den anderen und seine Position wahrnehmen; heißt, nicht reflexhaft die eigene Meinung direkt zu äußern; heißt, nicht alles im Konsens aufzulösen; heißt aber auch, für die Argument der anderen offen zu sein. Es ist also gut, dass es eine Debatte um Scheibles Melchior gibt. Ich hätte den Ulmern aber einen echten Streit gewünscht, und nicht so viele Menschen auf dem „Wutgleis“.
Ganz sicher brauchen wir in der Kirche Orte, an denen eine gute Streitkultur gelebt wird. Die Evangelische Akademie zu Berlin, die ich seit diesem Sommer leite, ist ein solcher Ort. Darum freue ich mich so über dieses Amt, das man mir anvertraut hat. Aber natürlich können auch die Kirchengemeinden solche Orte sein, die Synode, die kirchlichen Institutionen. Wir haben die Chance, Streit als produktive, gesellschaftliche Praxis zu leben. Lassen Sie uns das tun! Und bevor wir das nächste Mal um unsere Krippe unterm Baum fürchten, lassen Sie uns doch zunächst mal den anderen zuhören.
Friederike Krippner ist Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin.