Dieses Buch erzählt in so umsichtig wie liebevoll kompilierten Vorträgen, Zeugnissen, Predigten, Andachten, Tagebucheinträgen und Bildern die Lebensgeschichte einer herausragenden Frau unserer Kirche.
Mit Würde, Wachheit und Warmherzigkeit hat Viola Kennert Menschen und Gemeinden, einen Kirchenkreis und viele Vorhaben – landeskirchlich, weit über die Landeskirche hinaus, ökumenisch und im Gespräch mit den Religionen – in einer Weise geleitet, die sich in die Geschichte nicht nur dieser Kirche eingeprägt hat. Auf den Seiten wird erzählt von einer Frau mit Strahlkraft, die sich aus tiefen inneren Quellen speisen konnte, so wie aus der Gemeinschaft mit Menschen, die ihr Herz berührten – und vor allem aus der theologischen Arbeit.
Dieses Buch erzählt mit Bildern und Gedanken von Freundinnen und Freunde, vieler, die gemeinsam mit Viola Kennert Wege gegangen sind, wie kostbar jede einzelne Erinnerung ist und sich zusammenfügen kann zu einem ebenso kostbaren Kapitel Kirchengeschichte.
Strukturen in Bewegung
Die Zeilen atmen in allem Schmerz um ihren Verlust eine unvergleichbar tiefe Dankbarkeit all derer, die mit ihr leben, ihr begegnen und mit ihr arbeiten durften. Sie hat Menschen und Gemeinden gelehrt, gefördert, getragen und dabei tief berührt. Viola Kennert hat dabei mit allein schon äußerlich unübersehbarer Eleganz, mit Anmut und mit beeindruckender geistlich-geistiger Stärke Strukturen in Bewegung gebracht, die tatsächlich dringend Bewegung brauchten. Es konnte zu einer ungemein schönen Bereicherung werden, ihr zu begegnen und ihr zuhören zu dürfen.
Unvergessen sind mir die Abende im Pastoralkolleg: Sie hat dazu ermutigt, das Gelungene zu feiern und das, was im Fragment blieb, nicht schönzureden. Selbst ihre Kritik war getragen von wohltuender Besonnenheit, Klarheit und echter Zuwendung. Die musste sie nicht inszenieren, denn sie gehörte zu ihrem Wesen. Das hat sie eingebracht, für mich damals nicht weniger eindrücklich auch im landeskirchlichen Mentoringprogramm für Frauen.
Ein unvergessener Abend
So professionell und echt die Worte, mit Leben, Kompetenz und Erfahrung gefüllt, sie hatten an einem Abend, der auch hier im Buch Erwähnung findet, alle, die so glücklich gewesen waren, dabei zu sein, in ihren Bann gezogen. Direkt gesprochen und ohne jede Floskel – über Schmerz und Freude des Leitens, über Grenzen des Machbaren, über Erlittenes und Errungenes. Man hätte diesen Abend aufzeichnen sollen. So bleibt er aufgezeichnet in den Herzen und Köpfen derer, die zugehört haben und ihre Fragen stellen konnten.
Viola Kennerts Predigten atmeten dieselbe Geistkraft. Als ob es ein Gespräch wäre, das möglichst nicht aufhören sollte. Ich habe nicht nur einmal anschließend nachgefragt, ob es ihre Worte noch einmal zum Nachlesen gibt; dieser besondere Sinn für das Erzählen – welterfahren, gedankenreich, einfühlsam und auf den Punkt gebracht – war gemacht dazu, mehr als einmal aufgenommen und bedacht zu werden.
Die unbekannte Strecke vor sich
Als wir Viola Kennert nach dem Ruhestand gebeten hatten, über einen Vorsitz der Kommission zur individuellen Aufarbeitung erlittener sexualisierter Gewalt nachzudenken, hat sie sehr besonnen abgewogen, welche Last sie tragen würde und von welchem Team sie in dieser Aufgabe getragen werden würde. Dann hat sie „ja“ gesagt und noch einmal gewissenhaft, präzis und engagiert begonnen, als ein Gesicht dieser Kirche für betroffene und verletzte Menschen da zu sein.
Dann wurde sie auch in dieser Aufgabe im Frühjahr 2020 hart und abrupt unterbrochen. Wochen der Isolation. Als sie im Juni 2020 zu Hause ist, schreibt sie davon, wie Lebenskräfte spürbar werden, die sie lange vermisst hatte, dankt für jedes begleitende Wort, das sie „aufgesogen“ habe. Selbst in dieser Situation vergisst sie nicht, Gutes zu wünschen und zugewandte Worte zu finden. Dass eine unbekannte Strecke vor ihr liegt, erwähnt sie nur wie nebenbei.
Immer wieder habe ich diese Juni-Notiz gelesen, weil sie mir kostbar geworden ist. Und bin nun so froh, noch viel mehr von Viola Kennert und über sie lesen zu können. Sie werden es ebenfalls sein, liebe Lesegemeinschaft. Und vielleicht wird es sein, dass Sie, so wie ich – berührt und getröstet, dankbar und bereichert – sagen können: Was für ein Segen, der unsichtbar und sichtbar durch Viola Kennert gewirkt hat!
Michael Kennert (Hrsg.), Viola Kennert. Gotteswürdig und menschenwürdig leben. Eine Frau der Kirche in Texten und Begegnungen, Wichern-Verlag Berlin 2022, 290 Seiten, 30 Euro