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Moses Lied

Mose singt davon, wie Gott das Volk Israel umhegte. Aber es scheint, als weise er auch Christinnen und Christen ihre Rolle zu. In welchem Verhältnis stehen Israel und die Völker? Gedanken zum Israelsonntag

Moses und der brennende Dornbusch (Ausschnitt), Öl auf Leinen, Dirk Bouts (1450–1475). Foto: Phila Museum, CC0/via Wikimedia

Von Simon Kuntze

Am Ende seines Lebens singt Mose ein ganzes Lied (5. Buch Mose 32). Von Goethe ist uns dagegen als letzter Satz nur ein kurzes „mehr Licht“ über­liefert. Das Lied von dem Knecht des Gottes Israels ist eine prophetische Schau, die – auf Hebräisch – immerhin 418 Worte umfasst. Ein langer Atem am Lebensende. Es ist ein Drama um die Beziehung zwischen Gott und dem Volk Israel, das diesem stotternden Ägypter, als er an der Grenze von der Wüste ins Land ­Kanaan steht, als Vision entfährt. 

Moses Lied ist zunächst eine Liebesgeschichte: wie Gott Israel fand, es umhegte, pflegte, behütete wie einen Augapfel und zu seinem Volk machte. „Er fand Jakob in der Steppe. Umfing ihn und hatte Acht auf ihn, wie ein Adler ausführt seine Jungen und über ihnen schwebt, so breitete er seine Fittiche aus und nahm ihn.“

Vertrauen und Enttäuschung


Dann singt das Lied aber auch von enttäuschter Liebe: wie „Jeschurun fett ward und Gott verwarf, der ihn gemacht hat, den Fels seines Heils gering achtet“. Wir hören vom Zorn Gottes und dem kommenden Leiden Israels: „... und er sprach: ich will mein Antlitz vor ihnen verbergen, will sehen, was ihnen zuletzt widerfahren wird.“ Und schließlich Hoffnung auf einen Neubeginn: „Denn der Herr wird ­seinem Volk Recht schaffen.“ Am Ende steht die Erkenntnis, dass nichts Kraft hat neben diesem Gott, der tötet und lebendig macht, der schlägt und heilt. 

Liebe, (enttäuschtes) Vertrauen, Hoffnung – alles drin in Moses Lied. Wenn ich diesen Psalm lese, kommt mir der Verdacht, dass auch wir Christen hier unsere Rolle zuge­wiesen bekommen. „Sie haben mich gereizt durch einen ‚Nicht-Gott‘, ich aber will sie reizen durch ein ‚Nicht-Volk‘.“ Diese Rede vom „Nicht-Volk“ und auch die Idee des Gottes Israels, dass sich „Volk“ und „Nicht-Volk“ gegenseitig reizen, nimmt später der Apostel und Missionar Paulus in ­seinem Brief an die Römer auf (10,19):  „Ich frage aber: Hat es Israel nicht verstanden? Als Erster spricht Mose (5. Mose 32,21): ,Ich will euch eifersüchtig machen auf ein Nicht-Volk; über ein unverständiges Volk will ich euch zornig machen.‘“ 

Ohne Israel keinen Stand


Paulus illustriert durch biblische ­Zitate die wechselvolle Geschichte zwischen Gott und Mensch, wie sie sich im Volk Israel spiegelt. Was  für eine Rolle haben hier diejenigen, die  sich als Christen zum Christus Jesus ­bekennen – der zu Israel gesandt wurde und durch den die Völker in den Bund Israels eintreten? Paulus gesteht, dass er den Reichtum der Weisheit Gottes nicht erfasst und gibt ihm eben damit die Ehre (Römer 11,32–36): „Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme. O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn ,wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen‘? (Jesaja 40,13) Oder ,wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?‘ (Hiob 41,3) Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“ Aber Paulus weiß: „Die Wurzel, der Bund Israels, trägt dich, den wilden Zweig“ (Römer 11,17ff.). Die Jünger:innen Christi haben – so verstehe ich es – ohne dieses Israel keinen Stand und keinen Grund in Gott.

Ich bin seit einigen Monaten Nah­ostreferent des Berliner Missionswerks. Ich bin zuständig für unsere Verbindung zu den Partnerkirchen im Nahen Osten. Das ist zum einen die „Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land“ , eine Kirche, deren Name genauso viele Buchstaben hat wie unsere Landeskirche: 57. Aber sie hat nur so viele Mitglieder wie zum Beispiel die Friedenskirchengemeinde in Potsdam: 1700. Zum anderen ist das die sogenannte „Nilsynode“, die presbyterianische Kirche in Ägypten mit 250000 Mitgliedern. Über unsere Partnerschaften lernen wir, dass Jesu Kirche Weltkirche ist. An anderen Orten hören wir unser Bekenntnis und unser Gebet in anderen ­Sprachen. Verbunden mit anderen Hoffnungen. Getragen von anderen Bitten und Nöten. 

Weltweit vereint im Glauben


Was uns weltweit vereint, ist unser Glaube und unser Bekenntnis zum Gott Israels, zu ­unseren gemeinsamen Müttern und Vätern im Glauben: zu Abraham/Ibrahim und Sara, zu Rahel, Lea und Jakob, Rebekka und Isaak. Menschen, die gegen die göttlichen Ehegebote verstoßen und deren eheliche Frucht doch gesegnet ist. Humpelnde, die weiterziehen. Untreue, die von Gott nicht lassen – weil er nicht von ihnen lässt. Merkwürdige Heilige. 

Uns Christen in aller Welt eint so auch unsere Verbindung zu Israel, dem Volk, das Gottes Namen trägt und zu uns bringt. Aus dieser Verbindung folgte – Gott sei es geklagt – nicht einzig eine Geschichte der Dankbarkeit und der Geschwisterliebe, sondern auch eine des Neides, des Hasses und der Überheblichkeit. 

Niemand kann Christ sein ohne Israel 


Wir Christen sind nicht Christen ohne Israel. Wenn auch Israel Israel bleibt ohne uns. Vielleicht ja eine ­Beziehungskonstellation, die in ­Zeiten der Unsicherheit den Hass ­anheizt auf dieses „am segula“, das „Schatz-Volk“ Gottes, das sich beizeiten so sehr wünscht, von Gottes Zuwendung verschont zu bleiben, wie es die französische Rabbinerin Delphine Horveilleur formulierte. 

Was ich mir wünsche – für uns Christen, denen durch Jesus Israel ins Stammbuch geschrieben ist? Kein stolperndes Gewissen, das nur zu leeren verdrucksten Worthülsen reizt, zur Klage, was man wohl alles über die Juden und den Staat Israel sagen dürfe, und was nicht – und das am Ende zu weiterem Zorn an­stachelt. Aber echte Buße, Umkehr, Teschuwa unter uns. 

Wir haben unsere jüdischen Schwestern und ­Brüder ums Leben gebracht, und an vielen Orten um ihre Existenz. Haben kaum etwas ­unternommen, um zu retten: nicht die Juden in Europa, nicht die Christen jüdischer Herkunft. Wir haben kein christliches Zeugnis gegeben, wo es Not getan und etwas gekostet hätte. Unser Hass war wohl der Hass, den Schwestern und Brüder auf­einander haben können. Aber wir sind bis heute Geschwister, „siamesische Zwillinge, die an der Hüfte zusammengewachsen sind“, so drückt es Daniel Boyarin, ein US-amerikanischer Religionsphilosoph aus. Das macht das Miteinander-Gehen ­beizeiten kompliziert, aber auch zu einer Notwendigkeit. Ich denke,  recht eigentlich „siamesische Drillinge“, die als Kinder Abrahams und Saras sich als Christen, Juden, Muslime zu einem Gott bekennen. 

Staunend aneinander reiben 


Wir haben ein gemeinsames Wort als Juden, Christen und ­Muslime. Ein manchmal etwas lässig gebrauchtes Wort. Ein beizeiten auch als zu ­erwartbar verspottetes Wort. Die ­Gerechten, die auf Gott vertrauen, sprechen: „Amen, Amen.“ „Ich vertraue. Ich verlasse mich.“ Das meint doch auch: Ich bin gerade mal weg; weg von mir, meinen Eigenheiten und Gewissheiten und ausgerichtet auf diesen Einen, diese Eine. Diese Kraft, die uns ­geschaffen hat, die liebt und zürnt, und weiter an uns wirkt. Solidarisch wird’s, wenn wir auf unsere Schwäche blicken, statt unseren Geschwistern unsere Wahrheit beizubringen suchen.

Gott gebe es, dass wir uns ­staunend reiben an unserer widersprüchlichen Gotteserkenntnis. Dass wir einander reizen zur Erkenntnis: „Gott allein ist’s, und ist kein Gott nebendran. Er macht Tote und ­Lebende. Er schlägt zu und heilt und niemand nimmt uns aus seiner Hand“ (5. Mose 32,39). 

Simon Kuntze ist Pfarrer und ­Nahostreferent des Berliner Missionswerks.

 

 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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