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Neue Formen des Gedenkens

Ein QR-Code am Grab? Gedenken per Smartphone? Die Passauer Soziologen Thorsten Benkel und Matthias Meitzler scheuen derartige Modelle nicht. In ihren Studien und wissenschaftlichen Veröffentlichungen beschäftigen sie sich mit der Trauerkultur der Moderne und dem Wandel der Bedürfnisse von Angehörigen. Sie sind überzeugt, dass der Friedhof sich in vielen Punkten ändern muss. Auch für eine Lockerung der Bestattungsgesetze stehen sie ein. Ein Artikel von Sibylle Sterzik.

Experten ermutigen Träger von Friedhöfen, positive Visionen des Friedhofs von morgen zu entwickeln

Von Sibylle Sterzik

Am Grab ist ein QR-Code angebracht. Eine Besucherin scannt ihn mit dem Mobiltelefon. Eine Seite im Internet öffnet sich. Sie zeigt Bilder des Verstorbenen, erzählt aus seinem Leben. „Online-Offline-Schnittstellen zwischen Leben und Tod“, nennt das Thorsten Benkel. Eine moderne Form der Trauerkultur. „Da werden eigene Räume geschaffen, virtuelle Friedhöfe. Junge Leute, die digital leben, werden auch im Tod und in der Trauer online sein.“ Wie Menschen mit dem Lebensende umgehen, verändert sich zunehmend, sagt der Passauer Soziologe. Der Zwang vorzuschreiben, wo ein toter Körper bestattet werden muss, sollte aufgehoben werden, findet er. Damit Hinterbliebene individuell ihre Form des Gedenkens gestalten können.

Zusammen mit seinem Kollegen Matthias Meitzler von der Universität Passau beobachtet Benkel Friedhöfe. Mehr als 1100 haben sie bereits besucht und neben zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen auch zwei Bildbände über ungewöhnliche Grabsteine vorgelegt. Ihre Studie „Zur Trauerkultur der Moderne“ stellten sie im Oktober in Köln auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. vor. Sie erforschen, wie Angehörige das Gedenken an ihre Verstorbenen gestalten. Dazu führen sie Inter­views mit Bestat­tern, Trau­er­­be­glei­tern, Pfar­rern und Hinter­blie­benen. Ihr Fazit: „Wir stehen am Beginn eines Wandels, der unsere Trau­er­kultur und die Bestat­tungs­branche funda­mental verän­dern wird. Wir sehen, dass das Leben der Menschen im Ganzen sich verändert, sie leben individualisiert, pluralisiert, säkularisiert. Um diesem Wandel auch langfristig gerecht werden zu können, muss der Friedhof sich in vielen Punkten ändern.“

Nicht nur die Individualisierung in der Gesellschaft nimmt zu. Auch die Mobilität wächst. Ein typisches Dilemma: Das Familiengrab liegt auf dem Friedhof in München, der Sohn lebt beruflich in Hamburg. Deshalb kann er die Grabstelle nicht pflegen. Doch die Friedhofsordnung zwingt den Hinterbliebenen zur Pflege. „So pflegt er das Grab, weil er muss. Sein Gedenkort kann ganz woanders sein. Viele Friedhöfe wissen der Mobilität der Menschen keine flexiblen Möglichkeiten entgegenzusetzen“, meint Thorsten Benkel.

Zwar gibt es einfache Rasenplatten oder anonyme Bestattungen auf der Wiese, aber dort fehlt oft der Name des Verstorbenen. Hinterbliebene dürfen an der Beisetzungsstelle keine Blume oder Kerze abstellen. Das geht aber nur auf vorgesehenen Flächen. Trauernde wünschen sich das dort, wo der Angehörige bestattet ist. „Das klingt zwar paradox“, sagt Matthias Meitzler, „aber viele, die eine anonyme Bestattung wählen, merken erst später, dass sie einen Ort für ihre Trauer brauchen.“

Er plädiert für Grabtypen ohne die Pflicht zur Pflege, aber mit der Möglichkeit, etwas tun zu können. Kolumbarien zum Beispiel erfordern keinen Aufwand. Ein Kolumbarium, benannt nach dem lateinischen Wort für „Taubenschlag“, ist ein kleineres Gebäude oder Gewölbe, in dem nach dem Vorbild altrömischer Grabkammern mit übereinander angebrachten Nischen Urnen beigesetzt werden können.

„Wir brauchen flexiblere Konzepte“, meint Benkel. Die Leute wählen sonst Alternativen in Grauzonen. Das passiert bereits. Menschen verstreuen Asche Hinterbliebener an einem Ort ihrer Wahl oder nehmen die Urne mit nach Hause – halblegal, auf dem Umweg über die Einäscherung im Ausland. In Deutschland ist das verboten. „Sie suchen die Nähe zur verstorbenen Person über die Nähe zur Asche“, bringt es Matthias Meitzler auf den Punkt.

Bestattungsgesetze lockern
Seiner Meinung nach müssten die Bestattungsgesetze gelockert werden, damit Angehörige mehr Zeit haben, zu überlegen, welche Art von Bestattung sie wählen möchten, was zu ihrer Familiensituation passt. So wie die Gesetze sind, muss man sich nach dem Todesfall sehr schnell entscheiden. Meitzler denkt an die Möglichkeit, die Asche beim Bestatter „zwischenparken“ zu dürfen, bis die Familie sich klar darüber wird, was sie möchte. Zugleich würde Thorsten Benkel es befürworten, die Asche teilen zu dürfen. Ein Teil könnte dann an die Familie in Norddeutschland gehen, der andere Teil zur Familie nach Süddeutschland. Doch der Tod sei kein prominentes Thema in der Politik, da läge es nahe zu sagen, wir lassen alles beim Alten. „Das wird aber so nicht funktionieren“, warnt Benkel. Auch Gemeinden spüren den Wandel. Manchmal lädt ein Pfarrer sie ein, der wie sie merkt, dass Trauernde sich andere Gedenkformen jenseits starrer Friedhofsordnungen wünschen.

Rückblick auf die Lebenswelt
Eine zentrale Erkenntnis der ­Soziologen: Der Blick am Grab geht nicht mehr voraus aufs Jenseits, sondern zurück ins Diesseits. „Lebenswelt-Rückblick“ nennt das Benkel. „Man schaut zurück auf das Leben des Verstorbenen. Was den Menschen ausgemacht hat?“ Das wird mit Symbolen dargestellt. „Manche Friedhöfe verbieten das.“ Wie den Eltern eines 9-jährigen verstorbenen Jungen, der Borussia Dortmund-Fan war. Sie kämpften darum, einen steinernen Fußball auf einem katholischen Friedhof in Dortmund aufstellen zu dürfen. Erst nach einem medialen Shitstorm gab die Verwaltung nach. Nur ein paar Kilometer weiter sind Fanzeichen auf dem städtischen Hauptfriedhof gar kein Problem.

„Das heißt nicht, dass Friedhöfe grundsätzlich alles erlauben sollten. Sinnvoller wäre eine Mehrfelder-Strategie“, sagt Matthias Meitzler. Um der Vielfalt gerecht zu werden, könnten Friedhöfe statt eines großen Feldes mehrere unterschied­liche kleine anlegen. In einem sind bunte Gräber erlaubt, in einem anderen nicht. So entstünde ein ­thematisch sortierter Park. „Ein Friedhof, der sich gut aufstellt, beachtet die Lebensweisen der Menschen. Er versucht das Leben zu berücksichtigen und nicht nur den Tod zu verwalten.“

Mehr unter www.friedhofssoziologie.de

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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