Das Fischsterben an der Oder ist eine Katastrophe historischen Ausmaßes. Experten rechnen mit langfristigen Schäden. Die natürliche Unversehrtheit der Oder sei für Christen spirituell und ideell wichtig, sagt Frank Schürer-Behrmann, Superintendent des Kirchenkreises Oderland-Spree, im Interview mit Uli Schulte Döinghaus. Das Thema bewegt auch die Kirchengemeinden. Die polnischen und deutschen Kirchenpartner ziehen an einem Strang – für eine regenerierte Oder.
Herr Schürer-Behrmann, es scheint, als wäre das Fischsterben in der Oder aus den Schlagzeilen geraten. Wie sehr ist bei den Menschen, die an der Oder leben, noch präsent?
Das Thema ist hier außerordentlich präsent. Die Regionalzeitungen berichten jeden Tag ausführlich über die Situation, wie sie ist. Aber auch über die Aufklärungsbemühungen. Die Menschen hier sind bedrückt und verunsichert. Der Fluss ist ja für die, die hier leben, ein Teil ihres Lebensraums.
Welche Kirchengemeinden in Ihrem Kirchenkreis sind unmittelbar betroffen?
Rund 10 Kirchengemeinden in den Regionen Bad Freienwalde, Seelow, Frankfurt/Oder und Eisenhüttenstadt.
Haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen dort die aktuelle Situation zum Thema gemacht, etwa in Gottesdiensten und Andachten?
Ja, natürlich ist das Fischsterben in den Gebeten aufgenommen worden. Es war und ist ein wichtiges Thema in den Kirchengemeinden …
… zumal das Leben am Fluss, der Fischreichtum und der Segen, der aus dem Wasser kommt, ein zutiefst biblisches Thema sind.
Zur Jahreslosung 2018 „Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst“ haben wir ein Themenplakat mit einem Bild von der Oder und den Oderauen herausgegeben. Das Plakat ging weg wie verrückt. Die natürliche Unversehrtheit des Flusses, abgesehen von seiner wirtschaftlichen Bedeutung für die Fischer, ist für uns Christen spirituell und ideell wichtig. Wir wollen das auch am nächsten Sonntag, 4. September, im Rahmen einer Andacht hier in Frankfurt an der Oder unterstreichen, die dem dann beginnenden „Monat für den Schutz der Schöpfung“ gewidmet ist.
An der Oder hat der „Schutz der Schöpfung“ gerade versagt. Die Oder galt bisher als ein einigermaßen intakter Fluss, das zeigen eindrucksvolle Bilder von Anglern, die überlange Welse präsentieren.
Deswegen werden wir während der Andacht auch ein Schuldbekenntnis ablegen. Sicher geht es zunächst darum, den konkreten Ablauf zu ermitteln und Verantwortliche zu benennen. Darüber hinaus wollen wir uns die Frage stellen, wie wir alle mit unserem Lebensstil zu solchen Umweltkatastrophen beitragen, zur Klimaerwärmung, zu austrocknenden Flüssen, Versalzung, Fischsterben.
Es gab und gibt Schuldzuweisungen zwischen Polen und Deutschen. Haben Sie Sorge, dass die gute Nachbarschaft leidet? Dass die Oder wieder Streit statt Zusammenhalt stiftet? Und das es auch die kirchliche Zusammenarbeit betrifft?
Für den kirchlichen Bereich trifft das nicht zu. Das zeigt auch die „Gemeinsame Erklärung anlässlich des Fischsterbens im August 2022“, die aktuell von evangelischen und katholischen Bischöfen sowie von der Görlitzer Generalsuperintendentin herausgegeben wurde. Darin heißt es unter anderem: „Nach vielen Jahren, in denen die Oder unsere Länder getrennt hat, haben wir uns als Christinnen und Christen in den letzten Jahrzehnten dafür eingesetzt, dass die Oder ein deutsch-polnischer Fluss ist, der Menschen in einem gemeinsamen Kulturraum verbindet.“
Wie hilfreich ist so eine Erklärung?
Immerhin hat sie die Tagesschau gemeldet und verbreitet. Allemal könnte die Erklärung der kirchlichen „Oder-Repräsentanten“ ein Anstoß zu noch mehr Begegnungen sein …
... zumal sich der nächste Streitpunkt zwischen Naturschutz und Wirtschaft aufdrängt. Es gibt – besonders in Polen – Forderungen nach Odervertiefung und Oderausbau für eine intensivere Binnenschifffahrt …
Deshalb muss es auf der staatlichen wie auf der zivilgesellschaftlichen Ebene noch mehr Gespräche zwischen allen Beteiligten geben, um wirklich die gegenseitigen Positionen zu kennen und dann auch zu Vereinbarungen zu kommen. Die Oder trennt uns nicht, sondern ist eine Lebensader für eine Landschaft und ihre Bewohner, die sich über zwei Staaten erstreckt.
Am 4. September um 16 Uhr lädt das Oekumenische Europa-Centrum Frankfurt (Oder) zum Beginn der Ökumenischen Schöpfungszeit zum polnisch-deutschen Gebet für die Oder in die Friedenskirche ein. Superintendent Frank Schürer-Behrmann und der polnische katholische Studierendenseelsorger Rafal Mocny leiten das Gebet.