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Rastplatz für die Seele

Gerade zur Urlaubszeit bieten Kapellen und Kirchen am Wegesrand einen Ort zur inneren Einkehr und zum Gebet für Reisende. So auch die Autobahnkirche Werbellin in der Schorfheide

Das Innere der Autobahnkirche Werbellin in der Schorfheide leuchtet in allen Farben. Foto: Friederike Höhn

Von Friederike Höhn

Unter dem Giebel strecken Schwalbenküken ihre gierigen Hälse aus runden Nestern. Auf dem frisch renovierten Dach sind die Hinterlassenschaften der nebenan nistenden Storchenfamilie zu sehen. Im Inneren der kleinen Kirche ist es angenehm kühl. Von draußen dröhnt ein Rasenmäher, dann wird es wieder still. Eine typische Dorfkirche in Brandenburg könnte man meinen. Doch die Kirche in Werbellin in der Schorfheide (Kirchenkreis Barnim) ist etwas Besonderes: Sie ist eine Autobahnkirche.

Den Titel "Autobahnkirche" verleiht die Akademie Bruderhilfe Familienfürsorge, eine Einrichtung der Versicherer im Raum der Kirchen. Eine Kirche, die sich um das Siegel bemüht, muss mehrere Kriterien erfüllen. "Ein Parkplatz soll vorhanden sein, auch für Busse", zählt Pfarrer Ulf Haberkorn auf und muss schmunzeln. Er betreut den Pfarrsprengel, zu dem neben Werbellin noch Lichterfelde, Finowfurt und Altenhof gehören. Vor der Kirche gibt es zwei kleine Parkbuchten mit Platz für fünf PKW. Ein Bus kann hier nicht halten.

Zudem muss eine Toilette vorhanden sein. "Es gibt zwar eine Toilette, aber die muss aufgeschlossen werden. Das geht nur bei Gruppen, die sich vorher anmelden." Und das dritte Kriterium? Die Kirche darf nicht weiter als einen Kilometer von der Autobahn entfernt liegen. "Das ist hier haarscharf der Fall", sagt Pfarrer Haberkorn. Das Siegel gab es trotzdem. Eine finanzielle Unterstützung ist damit zwar nicht verbunden, doch der Status "Autobahn­kirche" hat dazu beigetragen, die Dorfkirche erhalten zu können.„Die Idee kam von unserer westdeutschen Partnergemeinde“, erzählt der Pfarrer. "Der damalige Gemeindekirchenrat hat sich in Westdeutschland ein oder zwei der dortigen Autobahnkirchen angeschaut. Erst gab es Skepsis, aber dann haben sie gesagt: Wir machen das." Die Autobahnkirche ist bis heute ein Projekt geblieben, um das sich das gesamte Dorf kümmert – auch diejenigen, die nicht Teil der Kirchengemeinde sind. 

Das hat in Werbellin Tradition. In den 1970er Jahren war das Kirchengebäude über die Zeit arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Fachleute empfahlen, den oberen Teil des Kirchturms abzutragen. Doch der Gemeindekirchenrat wollte die Kirche erhalten. 20 Jahre dauerten die Instandsetzungsarbeiten, alle packten mit an. Baumaterialien und Geld fehlten immer, 1996 wurde die Kirche endlich durch Bischof Wolfgang Huber feierlich wieder in Dienst genommen.

Heute kümmern sich mehrere Familien darum, dass die Kirche immer offen ist. "Im wöchentlichen Wechsel wird die Kirche morgens um 8 Uhr aufgeschlossen und abends um 20 Uhr wieder zugeschlossen", erklärt Wolf-Dieter Schweidler. Der Werbelliner hat in diesem Jahr auch die alte Uhr am Kirchturm repariert, wovon er stolz erzählt. "Jetzt läuft sie wieder problemlos." Der 67-Jährige weiß viel über die Geschichte seines Heimatorts zu berichten. "Das war ein richtiges Bauerndorf hier." Die alten Häuser an der Dorfstraße sind kleine Höfe, mit Haupthaus und Nebengebäuden. Von der bäuer­lichen Vergangenheit des Dorfes zeugt auch das 18-Uhr-Läuten der Kirchenglocken. Damit wurden die Arbeiter von den Feldern nach Hause gerufen. Heute leben hier auch Zugezogene und Wochenendpendler. Über die Autobahn dauert es weniger als eine Stunde bis ins Zentrum von Berlin.

Die kleine Kirche lädt zum Verweilen ein

Das Dorf in der Nähe von Eberswalde wurde 1748 durch den preußischen König Friedrich II. gegründet. Die ursprüngliche Kirche, eine 1776 erbaute Fachwerkkirche, wurde 1910 aufgrund ihres desolaten Bauzustandes abgerissen. Bereits 1914 konnte das neue Gotteshaus feierlich eingeweiht werden. Der Berliner Architekt Georg Büttner gestaltete sie im sogenannten Land- und Heimatstil, ungewöhnlich für Brandenburger Dorfkirchen: neobarocke Schnitzereien in leuchtenden Farben, eine aufwendig gestaltete Leuchterleiste, das beeindruckende Taufbecken mit hölzernem Aufsatz. Über dem Altar thront ein Aufsatz mit Christus­monogramm.

Acht hölzerne Sitzreihen geben etwa 100 Besucherinnen und Besuchern Platz. Einmal im Monat findet hier ein regulärer Gemeindegottesdienst statt. "Da kommt es manchmal auch vor, dass plötzlich Leute in der Tür stehen und komisch gucken, wenn sie sehen, dass hier ein Gottesdienst stattfindet. Einige setzen sich einfach dazu und feiern mit uns, andere gehen wieder", erzählt Pfarrer Haberkorn. 

Unter der Empore befindet sich ein kleiner Aufenthaltsraum: ein paar Stühle, auf dem Tisch steht eine Bonbonniere und für Kinder liegen Buntstifte bereit. Und natürlich das Anliegenbuch. Hier erfährt man mehr über die Menschen, die den kleinen Umweg von der Autobahn unternehmen, um in der Kirche eine Pause zu machen. In diesem Gästebuch tragen die Reisenden ein, was sie bewegt: "Danke für diesen Ort der gesegneten Einkehr." – "Bitte hilf mir, die richtigen Wege zu finden." – "Danke für die stille Zeit." – "Beschütze meine Familie und alle, die mir nahestehen." – "Danke, Herr, dass du uns gut nach Hause bringst."

Die Gäste kommen von überall her: aus dem Dahmetal und Prenzlau, aber auch aus Dresden und Baden-Württemberg. Manche haben eine weite Reise hinter sich, ein Eintrag auf Ukrainisch verrät es. Der letzte Eintrag stammt von einer Frau aus Prag. Einmal im Jahr kommt auch die Autobahnpolizei vorbei. "Es ist eine Art Ritual, dass die Polizisten hier um Schutz und um Ruhe auf ihrem Autobahnabschnitt bitten", weiß Pfarrer Haberkorn. Auch sie schreiben dann etwas in das Buch.

Informationsmaterial über die Geschichte der Kirche und zu ihrer besonderen Innenausstattung gibt es auch, auf Deutsch, Englisch und Polnisch. Das Publikum ist international, davon weiß auch eine Werbellinerin zu berichten: "Hier kommen schon viele Leute vorbei, auch mit ausländischen Kennzeichen, aus den Niederlanden, Polen, auch Nummernschilder aus der Schweiz habe ich schon mal gesehen." Nicht jeden Tag, aber oft. Pfarrer Haberkorn schätzt, dass im Jahr etwa 200 bis 300 Reisende hier Rast machen. Auch viele Radfahrer*innen, die in der Region unterwegs sind, halten hier an. Es sind vor allem Urlauber*innen, die auf dem Weg zur Ostsee oder auf dem Heimweg Richtung Berlin unterwegs sind. Sie wissen, dass sie hier eine Rast einlegen wollen oder biegen spontan ab, wenn sie das kleine Schild auf der Autobahn sehen. In der Dorfkirche können sie abschalten, die Gedanken ordnen, für eine gute Reise beten oder Gott für Erlebtes danken. Anhalten, innehalten, jenseits der Autobahn und doch auf dem Weg. Ein Rastplatz für die Seele.

 

Hintergrund

In Deutschland gibt es 44 Autobahnkirchen oder -kapellen, davon sind 19 evangelisch, acht katholisch und 17 ökumenisch. Tendenz: steigend! 2014 wurde an der Autobahn A6 zwischen Heilbronn und Nürnberg eine ökumenische Kapelle eingerichtet. Eine weitere Autobahnkirche soll an der A8 bei Sindelfingen entstehen. Die Idee, entlang der Fernstraßen Kirchen und Kapellen zur Einkehr der Reisenden und Berufsfahrer einzurichten, fußt auf den Pilgerkirchen, die schon im Mittelalter den Menschen auf dem Weg einen Ort zur Einkehr und Besinnung gaben. 1958 öffnete die erste Kirche "Maria, Schutz der Reisenden" im bayerisch-schwäbischen Adelsried an der A8 zwischen Stuttgart und München ihre Pforten.

Im Bereich der EKBO gibt es mittlerweile drei Autobahnkirchen: Duben im Spreewald an der A13, war 1997 die erste. Es folgten 2001 Werbellin und 2014 Zeestow am Berliner Ring. Insgesamt verzeichnen alle Autobahn­kirchen jedes Jahr über eine Million Besucher.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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