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Schluss mit Sünde

Unser Titelkommentator Klaas Huizing besitzt den Mut, Martin Luthers Reform weiterzu- entwickeln. Und Recht hat er! Seinen Aufruf, Schluss mit der Sünde zu machen, tut zum Ende der Jubiläumsfeierlichkeiten wohltuend gut. Der Autor ist keineswegs ein feiermüder und schlecht gelaunter Kritiker.

<span style="font-size: 11px;">Foto: Dietmar Silber</span>



Unser Titelkommentator Klaas Huizing besitzt den Mut, Martin Luthers Reform weiterzu- entwickeln. Und Recht hat er! Seinen Aufruf, Schluss mit der Sünde zu machen, tut zum Ende der Jubiläumsfeierlichkeiten wohltuend gut. Der Autor ist keineswegs ein feiermüder und schlecht gelaunter Kritiker.

Von Klaas Huizing

Zehn Jahre Jubelfeiern zu Ehren von Martin Luther. Zehn Jahre Konzentration auf den Höhepunkt. Da drohen immer Ermüdung und eine frühzeitige Erschlaffung. Und stehen wir Protestantinnen und Protestanten nicht sehr grundsätzlich im Verdacht, feieruntüchtig zu sein? Ich will nicht die Feierlaune verderben und deshalb zunächst evangelisch knapp Luther ehren.

Luther ist ein großartiger Elitenbeschimpfer, der gegen die religiöse Elite der katholischen Kirche Sturm läuft, einen Mut zur Wahrheit an den Tag legt, der auch heute noch Respekt einfordert. Er gehört in die Reihe der großen Verdichter von Traditionen, denen es gelingt, klar und einfach eine hoch komplizierte Sache auf den Punkt zu bringen – und zwar im Fall Luther so, dass die Masse der Gläubigen ihn versteht.

Luther war im besten Sinne populär, er war, auch dank der Medienrevolution in jenem Jahrhundert, eine eigene Marke, aber er war nicht populistisch, weil er seinen Wahrheitsanspruch am Text der Bibel ausweisen konnte: Luther hatte ein sachkritisches Prinzip, weil er die Bibel stets darauf hin befragte, „was Christum treibet“. Dieses Prinzip schützte ihn vor jedem Biblizismus und bildete die Voraussetzung für die spätere historisch-kritische Erforschung der Bibel.

Der autoritätskritische Gestus von Luther, so die Pointe, führte zu einem groß angelegten Bildungsschub, weil jedem und jeder Gläubigen der Text der Bibel auf Deutsch zugänglich gemacht werden sollte, in der Predigt hörend und im Idealfall auch selber lesend. Der Mensch ist ein gerechtfertigter Sünder. Das ist der springende Punkt. Diese Botschaft ist eine gute Botschaft, weil sie den Menschen enorm entlastet: entlastet von allen hinterhältigen Versuchen, die Gnade Gottes etwa durch Ablassbriefe zu erkaufen, aber auch befreit von den im Mittelalter grassierenden Höllenängsten. Die Gnade ist gratis.

Allerdings: Wir leben nicht mehr im Mittelalter, Höllenängste sind uns fremd, wir wollen wissen, wie Leben gelingt, bitteschön. Ich hinterfrage Luther an einer entscheidenden Stelle: Wie steht es um sein Menschenbild? Luther, das darf man nie vergessen, war Augustinermönch und teilte mit Augustin sein sündenverbiestertes Menschenbild: Jeder Mensch ist grundsätzlich verdorben. Diese Sicht auf den Menschen ist durchaus nicht biblisch. Kein Alttestamentler von Rang deutet heute die Schöpfungserzählung als Sündenfallgeschichte.

Zum ersten Mal ist in der Bibel – man kann nicht oft genug daran erinnern – von Sünde in Geschichte von Kain und Abel die Rede. Die Kain-und-Abel-Erzählung ist große literarische Kunst. Gott fordert Kain heraus, indem er sein Opfer ablehnt und das Opfer seines jüngeren Bruders annimmt. Jeder kennt die Bilder: Bei Abel steigt der Opferdampf auf, bei Kain kriecht er müde über das Land. Ich lese die Geschichte als eine wohlwollende Beschämung Kains durch Gott, der Kain auf eine problematische Struktur seines Charakters aufmerksam macht: Kain ist nicht selbstbeherrscht, leider neidanfällig und bezogen auf seinen Status als Erstgeborener ehrpusselig. Gott treibt Kain in die Scham.

Scham ist eine schreckliche Erfahrung: Der Körper meldet sich, man wird rot, jede Handlungskraft kommt zum Erliegen. Scham, so sagt die neue Forschung zu den Gefühlen, bezieht sich primär auf den Charakter, ist eine Aufforderung, sich zu ändern, aufmerksam und selbstbeherrscht zu sein, weil nur so Gemeinschaft gelingt.

Kain geht auf das Coaching Gottes allerdings nicht ein, arbeitet nicht an seinem Charakter, sondern will aus der Passivität und der ihn bedrängenden Enge der Situation dadurch herausfinden, dass er die Scham willentlich aktiv in die Schuld verschiebt. Kain schämt sich, als er sieht, dass Gott sein Opfer ablehnt. Er sieht sich mit den problematischen Seiten seines Charakters konfrontiert, fehlende Selbstbeherrschung, Neid, ändert diese aber nicht, sondern zieht es vor, Mörder zu werden. Damit ist aber auch gesagt: Menschen sind nicht von Grund auf sündig, sondern anfällig, sündig zu werden, wenn schwierige Charakterdispositionen nicht bearbeitet werden.

Die Schamerfahrung erlaubt einen Unterschied aufzumachen zwischen der Person und ihren Taten. Die Erfahrung, mit der eigenen Scham konfrontiert zu sein, unterbricht die alten Handlungsmuster, fordert eine Charakteränderung, um künftig so zu handeln, wie man es gegenseitig voneinander erwarten kann, nämlich besonnen und aufmerksam. Die Schamerfahrung leistet damit genau das, was die Rechtfertigungslehre an anderer Stelle leistet, wenn, wie wir heute sagen würden, eine Differenz aufgemacht wird zwischen den Taten und der Würde eines Menschen. Die Scham markiert die Differenz zwischen Person und Tat im Diesseits von Sünde und Schuld, die Erfahrung der Gnade im Jenseits von Sünde und Schuld.

Die christliche Theologie ist spätestens seit Augustin eine sündenverbiesterte Theologie, die bis hin zu Karl Barth eine pessimistische Lehre vom Menschen pflegt, die jede emanzipatorische Kraft unterbindet und lange Zeit auch die Frauenemanzipation und die Schwulenemanzipation unmöglich machte. Die Vokabel „Sünde“ besitzt eine dunkle Kraft. Sie macht klein und sorgt dafür, dass man sich schmutzig fühlt. Das hat auch Martin Luther nicht verhindert. Die literarische Figur Gott übt die Menschen in Selbstständigkeit ein, wenn darunter verstanden wird: Selbstbeherrschung und Sensibilität. Denn beide Charaktereigenschaften oder Tugenden befähigen uns Menschen, selbst Verantwortung zu übernehmen, sie befreien zum guten Handeln.

An der Erzählung von Kain und Abel werden, was häufig übersehen wird, Ehre und Status hinterfragt. Der Neutestamentler Gerd Theißen hat deshalb das Ethos des Christentums treffend durch die Begriffe Statusverzicht und Nächstenliebe umschrieben. Folgt man der Dramaturgie der Genesis-Erzählungen, so wissen wir, was gut und böse ist. Die Scham hilft uns, mit diesem emanzipatorischen Wissen weise umzugehen.

Deshalb plädiere ich für eine neue radikale Reformation. Schluss mit dem Sündengerassel. Widersprecht Luther. Empört euch über Barth. Seid besonnen und achtsam. Im besten Sinne selbstständig.

Klaas Huizing, ist Autor des Buches „Schluss mit Sünde! Warum wir eine neue Reformation brauchen“, Kreuz Verlag 2017,
15 Euro

http://www.ekbo.de/wir/landessynode/vorlagen-und-beschluesse/herbsttagung-2017.html

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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