Von Andrea von Fournier
Vor Kurzem beging Dieter Ziebarth sein 80. Wiegenfest. 2003 zog der Pfarrer in Ruhe von Berlin-Treptow nach Spandau und bald widmete er sich auch dort denen, um die er sich schon zuvor mit Engagement, Vehemenz und Sachkenntnis gekümmert hat: Menschen, die als Flüchtlinge in die Hauptstadt kamen. In Heimen und in der Abschiebehaft in Köpenick stand Ziebarth ihnen seit der Wende helfend, beratend und als Seelsorger zur Seite, engagierte sich aktiv für Menschen im Kirchenasyl und war Vorstand von „Asyl in der Kirche“. Er fand Anschluss an die „Mahnwache“ und ist Mitglied der AG Asyl im Kirchenkreises Spandau.
Ziebarths Kindheit und Jugend sind tief vom Krieg geprägt. Der Sohn eines Gemeindediakons wurde in Malchin geboren, getauft von einem „Deutschen Christen“. Der Junge war ein dreiviertel Jahr alt, als der Vater an die Front kam. Die Mutter ging mit dem Sohn zurück ins Elternhaus, einer Pension in Bad Suderode bei Quedlinburg. „Wir fuhren über den Stettiner Bahnhof (heute Nordbahnhof), meine erste Begegnung mit Berlin“, scherzt Dieter Ziebarth. Der Weggang aus Malchin sei eine segensreiche Fügung gewesen, denn die Stadt wurde später fast völlig niedergebrannt. Ebenso wie Halberstadt. Diese Feuerbrunst am Himmel sah der Junge vom Dach seines Hauses aus.
Unauslöschlich sind auch seine Erinnerungen an den langen Zug der Häftlinge des nahen KZ Dora und Aufseher mit langen Peitschen, die auf sie eindroschen. Dieter fragte die Mutter, wohl etwas zu laut, warum alle so komische Sachen trügen und bekam zur Antwort, dass das böse Menschen seien. Zu Hause gab es die dringende Mahnung, nie wieder so etwas zu fragen. Als 1945 die Amerikaner kamen, stand der erste schwarze Soldat mit Helm auf dem Kopf im Wohnzimmer. Dieter floh entsetzt unter den Tisch und rief: „Oma, Oma - der Teufel!“
Diese Angst vor Fremden ist der Neugier und Verbundenheit gewichen: Nach der Wende gehörte das Reisen zu Dieter Ziebarths liebsten Beschäftigungen. Über 40 Länder hat er besucht. Zwei Jahre nach seiner Einschulung stand 1948 Dieters Vater vor der Tür, entlassen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft, gebrochen, krank. Er fand Anstellung am Naumburger Dom und die Familie zog dorthin. Dieter half dem Vater bei Domführungen, engagierte sich in der Jungen Gemeinde und erwarb das Abitur. Weil er nicht auf Tiere schießen wollte, wurde nichts aus dem Traumberuf Förster. Mit Sprachenaffinität hätte er Dolmetscher oder Übersetzer werden wollen, doch als Nicht-Pionier und -FDJ’ler hatte er keine Chance.
Die Entscheidung für das Studium am Katechetischen Oberseminar Naumburg war gut: „Hier gab es keine politische Gängelung!“, erinnert er sich. 1961, im Jahr des Mauerbaus, zog er mit einem Karton nach Berlin, um am Sprachenkonvikt weiterzustudieren. Eine aufregende, beängstigende Zeit direkt im Schatten der wachsenden Mauer. 1965 schloss er das Studium ab und trat nach dem Vikariat in Schönburg und Nordhausen in die wissenschaftliche Arbeit am Naumburger Seminar ein.
Die erste Pfarrstelle wurde von 1970 bis 1978 St. Michaelis in Zeitz. In diese Zeit fällt die Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz, Ziebarths Nachbarn. Seitdem stand er unter Beobachtung von „Horch und Guck“, weil man Dieter Ziebarth Mitwisserschaft anhängen wollte. 1979 wurde er Studentenpfarrer in Leipzig, eine Stelle, die ihn forderte und zur schönsten Zeit seines Berufslebens wurde. Ab 1984 leitete er in Berlin die Evangelischen Studentengemeinden der DDR, baute Netzwerke, vermittelte zwischen Staat und Kirche. 1989 ging er in den Pfarrdienst in Treptow. Spannende, gefährliche Zeiten brachen an. In seiner Kirche im Schatten der Mauer trafen sich Ausreisewillige, Menschenrechtler, Homosexuelle. Sofort nach der Wende saßen erste Kreuzberger Obdachlose auf den Stufen vor der Kirche – etwas bis dahin Unbekanntes. Ziebarth musste neue Netze knüpfen. Ebenso wie für das erste Heim für unbegleitete Minderjährige, das in der Nähe öffnete. Seitdem ist ihm die Verbesserung der Situation dieser Menschen Berufung.