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Sie fehlt.

Viola Kennert, Superintendentin im Ruhestand, starb am 26. Juli im Alter von 67 Jahren

Viola Kennert
Foto: EKBO

Herzlich, klug und hartnäckig

Von Isolde Böhm

Farbenfroh und herzlich in der Begegnung, klug im Diskutieren und hartnäckig im Nachfragen, zugewandt und verletzlich – wie Perlen reihen sich Viola Kennerts Eigenschaften in der Erinnerung zu einer Kette auf (Schmuck konnte sie wunderbar tragen und hat es gern getan!).

Und länger noch ist die Perlenkette der Menschen, die sie begleitet, beraten und mit denen sie zusammengearbeitet hat, und die der kirchlichen Bereiche, in denen sie tätig gewesen ist. Viola Kennert streckte sich aus in die Weite von Kirche und Welt. Sie hatte so viel Energie und hat sie so freigebig verschenkt.

Fröhlich begann sie vor nur zwei Jahren mit der neuen Lebensetappe des Ruhestands. Wir haben es genossen, wie alte Berliner Damen nun „konditern“ zu gehen und einander bei Kaffee und Kuchen Lebensgeschichte und Gottesfragen, Lektüre und Erinnerungen zu erzählen – und manchmal auch Kirche zu diskutieren.

Zugleich blieb Viola Kennert bis zum Beginn ihrer schweren Krankheit ansprechbar für seelsorgerliche Anfragen und für solche, bei denen ein Blick von außen oder lange ­Erfahrung wichtig waren: Die unabhängige Kommission in Fragen von Missbrauch und sexueller Gewalt hat sie mit entworfen und auf den Weg gebracht; zur Funktion einer Ombudsfrau für Vikarinnen und Vikare hat sie Ja gesagt; den ersten Durchlauf des ­Mentoring Programms für junge Pfarrerinnen abgeschlossen. 

Was für eine Fähigkeit, „alte“ Leidenschaften in immer neuen Gewändern zu entfalten! Viola Kennert hatte doch schon dreißig Jahre zuvor die Kreisfrauenarbeit im Kirchenkreis Charlottenburg und immer wieder den Weltgebetstag der Frauen geprägt und mitgetragen. Die Leitungsverantwortung und erst recht das Eintreten für die Leitungsfähigkeit von Frauen waren ihr Anliegen durch alle kirchlichen Aufgaben hindurch. Ihr Streiten und Fechten für die Ermutigung der Jüngeren im Pfarramt (kirchlich sagt man dazu: FEA oder Fortbildung in den ersten Amtsjahren) spürten Einzelne und kirchlich Verantwort­liche in ihrer Zeit als Pastoralkollegsleiterin und als Superintendentin. Das sind nur einige kostbare Perlen aus vier Jahrzehnten kirch­lichem Dienst.

In Santiago de Chile am 6. August 1952 geboren, wo sie Kindheit und Schulzeit verbrachte, wollte sie zum Studium unbedingt an eine deutsche Hochschule: Evangelische Theologie stellt schließlich Anforderungen und will ernstgenommen werden, so erzählte sie einmal von ihrer Entscheidung. 

Auch das war etwas, was sie immer verkörperte und immer erleben ließ: Sie fragte theologisch nach und diskutierte mit theologischen Argumenten in den Debatten der Ephorenkonvente, der Landessynode (sie war auch Vorsitzende des Theologischen Ausschusses), in Kooperation oder Auseinandersetzung mit dem Konsistorium, in zahllosen Vorträgen, Konferenzen und Konsultationen, an denen sie verantwortlich mitwirkte. Und nicht zuletzt war da noch die EKD-Synode, auch dort ­leitete sie den Theologischen Ausschuss.

Aber bundesweit reichte nicht! Weltweit war ihr Horizont – möglicherweise als Geschenk in die chilenische Wiege gelegt? Mitglied war sie erst und dann stellvertretende Vorsitzende im Missionsrat; „Bunte Reihe“ (Schmuck und Farben passen eben doch auch in Kirche und ­Theologie!) hieß die Internationale Frauenkonferenz, die sie mit dem Ber­liner Missionswerk organisierte. 

Und Flüchtlingsschutz: Als einer der ersten Kirchenkreise hatte Neukölln, wo sie bis 2018 Superintendentin war, zwei Flüchtlingsbeauftragte. Schon 2015 wurden dort, ­diakonisch getragen und mit Tempelhof zusammen, zwei Menschen angestellt, einer mit arabischer Muttersprache: damit Geflüchtete Willkommen erfahren und Hilfe finden und Freundlichkeit. Und Wohnungen! Wie hat sie gekämpft, dass ­Kirchengemeinden und Diakonie schnell und unbürokratisch Räume zur Verfügung stellten, weil die Camps in der Stadt aufgelöst wurden.

Wäre es möglich, jetzt einen großen Gottesdienst für sie zu feiern, und könnten wir zusammensitzen und alle Erinnerungen aneinanderreihen – es kämen noch viele mehr dazu. Es wäre dann, als würden wir die Garben tragen, die aus Viola Kennerts gesätem Samen gewachsen sind: reiche Ernte, viel Brot für viele. 

Wir trauern um sie und wissen uns ­beschenkt. 

Isolde Böhm (68) war von 1999 bis 2016 Super­intendentin des Kirchenkreises Berlin-Tempelhof  und von 2006 bis 2013 stellvertretende General­superintendentin im Sprengel Berlin. 

 

Respektvoll und ­ermutigend

Von Almut Bellmann

In der Kirche taucht schnell die Anrede ­Bruder und Schwester auf. Mir ist das oft fremd. Die besondere Vertrautheit, die ­Qualität der Auseinandersetzung, das geschwisterliche Sich-Einfühlen und Interessieren, Sich-Kennen und Begleiten, mal aus der Nähe, mal von ferner, mit Respekt für Unterschiede und Gemeinsamkeiten – wann gibt es das schon wirklich?

Viola Kennert eine Schwester zu nennen, fällt mir nicht schwer. Es gibt vieles, das diese große Schwester, meine erste Superintendentin, in meiner Erinnerung hinterlässt. Ihr Büro, der Tisch mit der großen Teekanne, der Blick in den Garten. Die respektvolle Offenheit mit den Mitarbeitenden der Superintendentur, die ich nebenbei mitbekam. Im Gespräch stellte sie Fragen, weil sie sich wirklich interessierte, weil sie mich, die junge Vikarin damals, wirklich kennenlernen wollte. Ihre eigenen Erinnerungen bot sie an, als Material, als persönliche Erfahrungen, als einen Weg, der für sie passend war – immer in dem Wissen, dass ihre Gesprächspartnerin eigene Wege finden und gehen würde. Viola Kennert konnte selbstlos zuhören, beraten, führen – das zeigte sich für mich in diesen ­Gesprächen.

Was mich beeindruckt: wie viel diese Frau gelesen, nachgedacht, sich engagiert hat. Sie war immer auf der Höhe kirchlicher, gesellschaftlicher und theologischer Diskurse. Kaum ein aktueller Artikel, den sie nicht ­gelesen – also intensiv durchdacht –hatte. Sie bildete sich eine differenzierte Meinung. Und immer, wenn sie einen Standpunkt vertrat, wusste sie um die Vorläufigkeit ihrer, jeder Entscheidung. Wenn eine dazulernte und neue Perspektiven fand – dann sie. Auch andere als die eigenen ­Lebensentscheidungen und Lebenswege konnte sie akzeptieren und ihnen ihr Recht geben.

Unvergesslich sind ihre Postkarten – mit der Hand und mit persönlicher Note ­geschrieben. Sich eindenkend in meine Lebenswirklichkeit, mit klaren, ehrlichen Worten. Wie froh war ich, als ich nach meinem Abschied aus dem Kirchenkreis Neukölln zu meiner Einführung in der neuen Gemeinde noch eine Karte von ihr bekam: Frida Kahlo, Selbstporträt mit Samtkleid. Viola Kennert schrieb dazu: „klar, zugewandt, stark, ­verletzlich, zuversichtlich, aufmerksam ... dieses Selbstporträt liebe ich sehr.“

Vor einigen Wochen erfuhr ich, dass Viola Kennert schwer krank war. Und ich wusste: Ich will ihr schreiben. Eine Postkarte an die große Kartenschreiberin.

Ein oder zwei Tage, bevor sie starb, fand ich in meinem Briefkasten ihre Antwort. Eine Karte, wie immer respektvoll und persönlich geschrieben. „Ein tiefer Schrecken“ sei diese Krankheit, schrieb sie. Und das Motiv der Karte sagte viel: in weiß und hellgrau gehalten, ein Foto aus dem Raum der Stille am Brandenburger Tor. Ein Gesicht darauf mit geschlossenen Augen, einen Finger an den Lippen. „Stille“, stand darauf.

Ich freute mich über die Karte, dieses ­Lebenszeichen, dieses Zeichen dafür, dass sie an mich dachte, sich über meinen Gruß gefreut hat. Und ich überlegte, was ich ihr zurückschicken könnte: eine ermutigende CD, ein aktuelles Familienbild, weil sie sich immer ­interessierte, wie das Leben für mich, für ihr Gegenüber gerade aussah. 

Zwei Tage später habe ich erfahren, dass sie verstorben ist. Sie braucht nun keine ­Ermutigung mehr.

Wir aber umso mehr, glaube ich. Denn sie fehlt. Und ihre Karte kommt mir nun wie ein Abschiedsgruß vor. Letzte Worte für mich, mit denen sie noch einmal erzählt von Respekt, von Zugewandtheit, von Aufmerksamkeit und persönlicher Verbindung.

Meine Schwester Viola Kennert – sie eine Schwester zu nennen fällt mir wirklich nicht schwer. Und diese Schwester hat mich sehr geprägt. Ich wünsche mir sehr, dass vieles von ihr bleibt. Sie war so respektvoll, so genau, so aufmerksam, so ehrlich, so klar, so anspruchsvoll, so ermutigend. Verschiedenheit und Vielfalt bedeuteten für sie keine Anstrengung, sondern ein Geschenk. Sie war auch eine Lady – immer gut gekleidet und charmant. Und sie konnte lachen ...

Ich werde sie vermissen!

Als Abschiedsgruß auf einer ihrer Karten schrieb sie: „Bleiben Sie behütet – und fröhlich unterwegs!“ Ich werde es versuchen.

Almut Bellmann (38) ist Pfarrerin in der ­Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord.

Die Trauerfeier findet im Familienkreis statt. Der Kirchenkreis Neukölln lädt am 22. August um 11 Uhr zu einem Gedenkgottesdienst ein, bei schönem Wetter voraussichtlich im Körnerpark, bei Regen in der Magdalenenkirche. 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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