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Sieben Dörfer und ein Strauß

Christoph Strauß hat seinen Entsendungsdienst in sechs Gemeinden im Kirchenkreis Barnim absolviert – und ist geblieben. Seine Prämisse als Dorfpfarrer: sich von alten Klischees und Traditionen lösen und einfach für die Menschen da sein

Beim Dorflehrpfad noch die Nummer eins, doch in der Realität nur ein Verein unter vielen, die das Leben auf dem Dorf prägen.
Die Kirchenruine in Beiersdorf und ...
die sanierte Kirche im benachbarten Freudenberg. Beide gehören zu den sechs Kirchen in den beiden Pfarrsprengeln mit sieben ­Dörfern, die Pfarrer Christoph Strauß seit 2013 ­betreut.
Eindrücke aus seinem Leben teilt Pfarrer Strauß auf Instagram unter @der_strausss. Fotos:Friederike Höhn

Von Friederike Höhn

Auf seinem Instagram-Account postet er regelmäßig Bilder, die auch aus der Zeitschrift „Landlust“ stammen könnten: mit wilden Rosen, Schafen im Sonnenuntergang und prallgefüllten Kofferräumen voller Äpfel aus dem Pfarrgarten. Ländliche Idylle. Auch offline empfängt im Pfarrhaus gegenüber der Kirche eine Pfarrfamilie wie aus dem Bilderbuch. Einer der drei Söhne kommt gerade vom Reiten, ein anderer spielt im riesigen Garten, es gibt sogar ein Baumhaus. Uta Daewel-Strauß hat die einjährige Tochter auf dem Arm, alle haben rote Wangen, später gibt es Kuchen. Hat Christoph Strauß als Pfarrer im kleinen Örtchen Beiersdorf im Barnim sein Glück gefunden?

Erstmal ging es ihm nicht anders als den meisten Vikar*innen kurz vor Ende der Ausbildung. Christoph Strauß wollte gerne in Berlin bleiben, seiner Stadt. Hier ist er geboren, am Stadtrand aufgewachsen, hier lernte er seine Frau kennen und hier kamen die ersten beiden Kinder zur Welt. Berlin bedeutete Heimat. Und der Kirchenkreis Steglitz, wo er in der Matthäusgemeinde als Vikar tätig war, hätte ihn auch gerne behalten. „Doch wir hatten keine Chance“, berichtet er. Das war 2013. Sein Jahrgang bestand nur aus neun angehendenden Pfarrer*innen – und alle mussten raus aufs Land.

„Ich war zunächst echt geschockt“, sagt Uta Daewel-Strauß. „Was mache ich da?“ Sie ist Logopädin und wollte nach der Elternzeit wieder in den Beruf einsteigen. Darauf wurde wenig Rücksicht genommen, erinnern sich beide. „Hoffentlich hat sich das heute geändert.“

Doch die Familie ist in Beiersdorf schnell angekommen. Das Pfarrhaus wurde nach ihren Bedürfnissen umgebaut und renoviert, frisch und hell begrüßt es die Gäste. „Dabei half sicherlich auch, dass ich eine gewisse Vorerfahrung bei solchen Dingen mitbrachte“, sagt Christoph Strauß. Denn erst mit 30 Jahren entschied der heute 46-Jährige sich, Pfarrer zu werden und begann ein Theologiestudium an der Berliner Humboldt-Universität. Bis dahin hatte er als studierter Landschaftsarchitekt mehrere Jahre als Bauleiter gearbeitet.

Sieben Dörfer und sechs Kirchen

Die Gemeinde besteht nur aus Dörfern: Beiersdorf, Freudenberg, Tiefensee und Schönfeld bilden den
eigentlichen Sprengel. Der Sprengel Grüntal mit Tempelfelde und Melchow wird schon seit vielen Jahrzehnten als Dauervakanz mitverwaltet. Insgesamt sechs Kirchen und 600 Gemeindeglieder, sechs Gemeindekirchenräte und zwei Haushalte. Pfarrer Strauß weiß, dass sich das verändern wird, wenn die Landessynode tatsächlich irgendwann einmal eine Mindestanzahl an Gemeindegliedern für eine Gemeinde festlegt und größere Zusammenschlüsse notwendig werden. Den Gemeinden die Eigenständigkeit zu nehmen, hält er für keine gute Idee: „Denn Dorf ist Dorf, das eigene ist hier sehr wichtig.“ Daher ist er dem Kirchenkreis Barnim sehr dankbar, dass dieser ihm trotz der geringen Größe der Gemeinde eine volle Stelle gegeben hat. „Mein Karriereendziel habe ich erreicht: Ich wollte immer 100 Prozent Pfarrer werden. Und das bin ich hier.“ Auch die Zusammenarbeit in der Region läuft problemlos. Die Pfarrerinnen und Pfarrer treffen sich regelmäßig, ebenso die Ältesten.

Die Beiersdorfer Kirche direkt gegenüber dem Pfarrhaus ist seit den 1970er Jahren eine Ruine. Dort veranstaltet Christoph Strauß seit 2013 das Krippenspiel, unterm Sternenzelt, mit echten Schafen. „Der Esel ist uns leider abhanden gekommen und einen neuen zu finden, ist gar nicht so leicht“, berichtet er mit einem Schmunzeln. Solche Aktionen kommen in der Gemeinde gut an. So fragte dann auch jemand von der Freiwilligen Feuerwehr, ob man nicht auch mal das Floriansfest für den Schutzheiligen der Feuerwehrleute feiern könne, wie er es im Urlaub in Bayern gesehen habe.

Besonders stolz ist Pfarrer Strauß, dass er schon zweimal zum Amtsfeuerwehrfest eingeladen wurde, „Da durfte ich eine Andacht halten, habe Dankbarkeit ausgesprochen für die Arbeit der Feuerwehr – das kam sehr gut an.“ Die Integration in die örtlichen Strukturen mit ihren Vereinen ist ein absolutes Muss, findet er. „Auf dem Land muss man als Kirchengemeinde akzeptieren, dass man nur ein Verein unter anderen ist. Wenn man das verweigert, dann kommt man auf keinen grünen Zweig.“ Aber er weiß auch, wie wichtig es den Menschen ist, dass er präsent ist, beim Dorffest, beim Fischerfest. „Wenn gemerkt wird, dass man das Dorfleben mitlebt und sich einbringt, dann erreicht man die Menschen.“ In kirchlichen Statistiken spiegele sich diese Arbeit leider nicht wieder.

Der Seniorenkaffee als eigentlicher Gottesdienst

Die Erwartungshaltung an den Pfarrer auf dem Dorf sei eine ganz andere als in der Stadt, erzählt Pfarrer Strauß. Bürgerliche Formate wie ein Gesprächskreis funktionieren hier nicht, wie er am eigenen Leib erfahren hat. Friedensarbeitskreis, Weltgebetstag, Ökumene – das spielt hier keine große Rolle. „Alles was zu theoretisch ist, kommt nicht an.“ Christoph Strauß hat auch schnell gemerkt, dass der traditionelle Gottesdienst nicht mehr so recht zu den Menschen passt. Predigten über zehn Minuten sind ohnehin tabu. „Das Seniorenkaffeetrinken mit Andacht, Klatsch und Tratsch – das ist der eigentliche Gottesdienst hier am Montagnachmittag.“

Doch gebraucht wird er trotzdem, vor allem bei Kasualien. „Eine stille Beerdigung habe ich hier noch nie erlebt. Da kommt das ganze Dorf, 150 Menschen sind normal.“ Das kann auch eine Herausforderung sein. „In Berlin konnte ich öfter mal etwas zweit- oder drittverwerten bei den Bestattungen. Das geht hier nicht, denn da sind ja immer dieselben Menschen da“, sagt Pfarrer Strauß und lacht.

So manches Klischee über das Dorfleben kann er bestätigen, aber viele auch entkräften. Geschlecht und sexuelle Orientierung der Pfarrperson spiele zumindest in seinen und den umliegenden Gemeinden keine Rolle mehr. „Die Leute wollen sehen, ob du deine Arbeit machst, ob du ansprechbar bist, zugewandt, auch mal locker – das interessiert sie.“ Aus der Kindheit sei vielen ein sehr strenges Bild vom Pfarrer im Gedächtnis geblieben, ein Sittenwächter. „Das dieses Bild zu mir nicht passt, darüber sind alle sehr glücklich und dankbar. Denn das allerletzte, was ich heute hier bin, ist der moralische Zeigefinger.“

Bei der Fahrt mit dem Volvo zum Nachbarort Freudenberg fallen ihm die dürren Sonnenblumenfelder ins Auge. „Die werden wohl in der Biogasanlage landen, genauso wie der Mais dieses Jahr“, konstatiert er mit Bedauern. Nur zweimal habe es zwischen Juni und September geregnet, in der ländlichen Gemeinde ein wichtiges Thema. Pfarrer Strauß teilt die Sorgen der Menschen: Wie wird es mit der Landwirtschaft weitergehen können? Zwei seiner Gemeinden gehören Ländereien, die an Bauern vor Ort verpachtet werden. Auch dafür ist er als Pfarrer zuständig und bemüht sich um Pächter, die nachhaltig arbeiten.

Die Freudenberger Kirche wurde in den letzten Jahren aufwändig saniert. Der neogotische Bau aus dem Jahre 1893 erinnert an die Berliner Kirchen, die um die Jahrhundertwende in der wachsenden Großstadt entstanden. Auf dem Land wirkt sie fremd, auch weil sie für die kleine Gemeinde heute viel zu groß geworden ist. Doch vielleicht hat sie in diesem Jahr noch einen großen Auftritt: Freudenberg diente nämlich als Kulisse für den Fernsehdreiteiler „Unterleuten“, der Verfilmung des Erfolgsromans von Juli Zeh, der noch in diesem Jahr im ZDF gezeigt werden soll. Pfarrer Strauß hat den Roman gerne gelesen und ihm ist ein wichtiges Detail in Erinnerung geblieben: „Im fiktiven Ort Unterleuten, in dem das Buch spielt, gibt es gar keine Kirche.“ Ob die Freudenberger Kirche es trotzdem in den Film schaffen wird? Immerhin ist nicht zu übersehen.

Kein Team, aber dafür viele Freiheiten

Pfarrer Strauß ist weitestgehend Einzelkämpfer. Andere Hauptamtliche hat die Gemeinde nicht, das vermisst er manchmal. „Mitarbeiterbesprechungen mit allen Leuten waren in Steglitz immer schön. Und das gemeinsame Gestalten des Konfirmationsunterrichts.“ Zu seinen Aufgaben gehören zudem nicht nur Gottesdienste und Kasualien, Geschäftsführung und Buchhaltung, Betreuung von Bausachen und das Zählen der Kollekte, sondern auch die Verwaltung der kircheneigenen Ländereien sowie des Friedhofs.

„50 Prozent meiner Zeit bin ich mit Verwaltungstätigkeiten befasst, das wird im Vikariat immer so ein bisschen verschwiegen“, fasst er zusammen. Doch dabei hat er relativ freie Hand. Als absolutes Privileg empfindet er die Möglichkeit, im Sommer einfach mal vier Wochen Pause machen zu können. Keine Gottesdienste, keine Termine – Familienzeit und Urlaub. Möglich machen es die Gemeindeglieder, die ihrem Pfarrer diese Auszeit gönnen, und die Kolleg*innen aus den umliegenden Pfarrsprengeln und Gemeinden, die Dienste übernehmen.
„Sie gehen doch auch gleich wieder“, hieß es am Anfang von manch einem Gemeindeglied. Doch das hatte er nicht vor. Nach dem Entsendungsdienst blieb Pfarrer Strauß in seiner verstreuten Gemeinde, 2025 –nach zehn Jahren – wird geschaut, wie es weitergeht. „Na klar könnte es danach woanders hingehen, aber wer weiß das schon?“ Momentan besteht kein Bedarf nach räumlicher Veränderung. Die Kinder gehen hier zur Schule und in die Kita, Uta Daewel-Strauß hat sofort eine Stelle in der Nähe gefunden.

Hinter dem Haus hat die Familie eine Terrasse angelegt, „die Feldsteine dafür lagen alle hier auf dem Grundstück“. Von hier aus blickt Christoph Strauß in den großen Pfarrgarten, der in früheren Zeiten die Pfarrfamilie versorgen musste. Heute wird hier ein wenig für den Eigenbedarf angebaut, ein Teil ist verpachtet, doch er überlegt, sich einen Streifen zurückzuholen. „Für die Schafe.“ Die sind aktuell leider woanders unterwegs.

Das ist vielleicht auch gut so, denn so viel Landlust kauft einem ja auch niemand ab.

Mehr Lust auf Geschichten aus dem Landpfarramt? Lesen Sie hier über Pfarrer Stefan Hartmann aus Päwesin.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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