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Sind die Flüchtlinge vergessen?

Noch immer Katastrophale Zustände in den Lagern in Griechenland und Bosnien

Flüchtlinge

Von Dietlind Jochims

Vergessen, das klingt nach einem versehentlichen Nichtbeachten, so wie „den Liter Milch kann ich auch morgen besorgen, ist nicht so schlimm, war keine Absicht“.

Nein, was mit schutzsuchenden Menschen in Europa und an seinen Grenzen ­geschieht, ist kein Vergessen. Es ist Absicht, kalkuliert und gewollt – vom allgemeinen Schulterzucken angesichts des Elends von Geflüchteten in Bosnien über das bereits Jahre dauernde Hotspot-Drama auf den ­griechischen Inseln, vom Festsetzen ziviler Rettungsschiffe in Italien bis zum deutschen Brüsten mit immer weiter sinkenden Zahlen von Asylantragstellenden. 

Es ist ein zynisches Experiment: Wie weit kann man gehen? Was halten Menschen aus? Wie lange hält der Mythos der europäischen Wertegemeinschaft, für die Humanität und Menschenrechte an vorderster Stelle stehen? 

Groß war die Betroffenheit für ein paar Tage im September, als das Lager Moria auf der Insel Lesbos durch ein Feuer zerstört wurde. Fünf Monate später ist es im neuen Lager Kara Tepe nach wie vor noch schlimmer, als es in der „Hölle“ Moria war: kein Strom, kaum warmes Wasser, keine Heizungen in den Sommerzelten, in denen bei Regen regelmäßig das Wasser steht. Vor wenigen Tagen ließ der griechische Migrationsminister verkünden, nun seien beinahe alle Unterkünfte im Lager winterfest – eine unver­frorene Lüge. Die Verantwortliche des UN-Flüchtlingshilfswerks vor Ort stellte richtig: Die Zelte sind nach wie vor nicht beheizbar. Warmwasser gibt es nur teilweise, es mangelt nach wie vor an Toiletten und Duschen. An fehlendem Geld liegt das nicht. Was fehlt, ist der politische Wille. 

Ähnlich verhält es sich bei den zugesagten Aufnahmen: Neben einigen Minderjährigen und Kranken sollten nach dem Brand von Moria 1553 Menschen (immerhin!) schnellstmöglich in Deutschland aufgenommen werden. Mit Hochdruck arbeite man daran, war seitdem mehrfach zu hören. Ende Januar 2021 sind mit diesem Hochdruck bisher 291 Menschen in Deutschland angekommen. Im Vergleich: Im Frühjahr 2020 konnten innerhalb von fünf Wochen 240000 Deutsche nach Deutschland geholt werden. Logistisch ist das machbar. Was fehlt, ist der Wille.

„Vergessen“ kann Europa die Geflüchteten nicht. Denn es gibt nach wie vor viele Engagierte, die mahnen – zu mehr Solidarität, zur Achtung der Menschenwürde, zur Aufnahme von Schutzbedürftigen. Kirchen, NGOs, Städte und Kommunen fordern, dass dem immer blasser werdenden Reden von ­einem Europa der Menschenrechte endlich Taten folgen müssen in der Flüchtlingspolitik. Diese Stimmen sind zu hören, wenn man Ohren hat. Vergessen hat man die Menschen in Bosnien oder Griechenland nicht – gerade haben wieder über 200 Kommunen in Deutschland ihre Bereitschaft bekundet, viele von ihnen aufzunehmen. Da hat Herr See­hofer nichts vergessen, das hat er abgelehnt. Keine zusätzliche Aufnahme – das ist politische Absicht.

Noch ein Beispiel: Ebenfalls nicht „vergessen“ werden die Menschen, die mit gefähr­licher Flucht über das Meer ihr Leben riskieren. Die staatliche europäische Seenotrettung wurde 2019 eingestellt. Seitdem sind ausschließlich zivile Rettungsschiffe im Einsatz. Regelmäßig werden sie unter absurden Vorwänden in europäischen Häfen festgesetzt. Europa vergisst nicht, Europa ­schottet sich ab. Und unter verbindlicher ­Solidarität bei Flüchtlingsfragen wird im ­Entwurf des EU-Migrationspakts jetzt auch die Finanzierung von Abschiebungen verstanden. 

Haben die großen, die großartigen Gedanken eines Europas der Humanität gegen dieses Kalkül von Abschottung und Aushöhlung noch eine Chance? Unbedingt! Ihre Kraft wird sichtbar in all den einzelnen und gemeinsamen Zeichen gegen Gleichgültigkeit. Ihre Hoffnung liegt in noch mehr grenzüberschreitenden Netzwerken und vereinten Stimmen, die stetig, beharrlich, mit Mut und langem Atem arbeiten an einem Europa, an einer Welt, das die Würde jedes einzelnen Menschen achtet und ein gerechteres Zusammenleben aller Menschen zum Ziel hat.

Pastorin Dietlind Jochims ist Vorstandsvorsitzende von Asyl in der Kirche und ­Flüchtlings­beauftragte der ­Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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