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Späte Einsicht

Die Bestattung eines Neonazis auf dem Grab des jüdischen Musikwissenschaftlers Max Friedlaender (1852–1934) in Stahnsdorf war ein ­Fehler. Der Vorfall zeigt: Angriffe auf die jüdisch-christliche Kultur machen auch vor Friedhöfen nicht Halt. Die Evangelische Kirche muss die Totenruhe und ihre Grabkultur davor schützen – mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Grabstein des Musikwissenschaftlers Max Friedlaender. Foto: epd

Von Marion Gardei

Im Tod sind alle gleich, sagt der Volksmund. Abbildungen mittelalterlicher Totentänze ­zeigen die verschiedenen Stände der Gesellschaft und wie sie vom Sensenmann geholt werden: Arm und Reich, Jung und Alt – keiner kann sich vor dem Tod schützen, jede ist ­betroffen. Obwohl der Tod „der große Gleich­macher“ ist, ist es nicht gleich, wo und wie ein Mensch beerdigt wird. Das haben in der vergangenen Woche alle erkannt, die mit der Vergabe des aufgelassenen Grabes von Max Friedlaender an einen Neonazi und Holocaustleugner zu tun hatten. Ein Fehler war diese Vergabe, die zu einer öffentlichen Empörung führte: Der Bischof hat sich dafür zu Recht im Namen der EKBO entschuldigt. Die Kirchenleitung versucht, die falsche Entscheidung wieder rückgängig zu machen. Wir arbeiten außerdem an der „Heilung“ des Geschehenen, ­indem wir für Max Friedlaender einen würdigen Gedenkort schaffen, an dem Nachgeborene etwas von seiner Biografie und seinen Lebensumständen erfahren können.

Als Musikwissenschaftler veröffentlichte Professor Max Friedlaender unter anderem bis dahin ungedruckte Lieder Franz Schuberts. Er machte sich verdient um Neuausgaben der Lieder Mendelssohns, Schumanns und Brahms’ sowie der schottischen Lieder Beet­hovens. Außerdem schrieb er viele Aufsätze zur neueren Liedkunst. In den 1890er Jahren hatte er sich taufen lassen, vielleicht auch, um der ­gesellschaftlichen Benachteiligung als Jude zu entgehen. Nach religiöser Auffassung ist er damit evangelisch geworden. 

Keine neonazistische Ideologie


Das schützte ihn und seine Leidensgenossen jedoch später nicht vor der Verfolgung durch die Nazis, die das Jude-Sein ausschließlich nach der biologischen Abstammung als „Rasse“ definierten. Auch wenn Friedlaender schon am 2. Mai 1934 starb, wird er noch ­miterlebt haben, wie die Nazis sein Lebenswerk missachteten, einfach weil sie ihn als ­„undeutsch“ aus der sogenannten Volks­gemeinschaft ausschlossen, obwohl er Deutscher war und wichtige Forschungen gerade über das deutsche Volksliedgut geleistet hatte. 

Deshalb ist es nicht gleich, wenn auf ­seinem Grab einer bestattet wird, der die Grausamkeit und die Morde des Naziregimes frech leugnete oder sogar billigte. Deshalb ist es unerträglich, dass auf sein Grab Kränze mit nazihaften Parolen und Farben abgelegt ­wurden. Auch wenn es in der Bibel den sehr humanen Grundsatz gibt, selbst den Feind ­ordentlich zu bestatten, heißt das nicht, dass Menschen, die eine neonazistische Ideologie uneinsichtig vertreten, nun gerade auf ­evangelischen Friedhöfen beigesetzt werden müssen. Und schon gar nicht in Gräbern von Verfolgten des Naziregimes.

Wir müssen lernen


Denn Gott ist es nicht gleich, wie wir ­leben. Unser Tun und unsere Entscheidungen haben Bedeutung und eine Nachhaltigkeit über ­unser persönliches Leben hinaus. Die ­Bibel weist zum Beispiel im Gleichnis vom ­armen Lazarus (Lukas 16,19ff) oder vom Weltgericht (Matthäus 25) darauf hin, dass wir von Gott einst gefragt werden, was wir getan haben für unseren Nächsten. Denn wir sind dazu ­geschaffen, Gutes zu tun nach dem Maßstab seiner lebensfördernden Gebote. ­Darin bekommt jede und jeder seine höchste Würde, dass er sich als Geschöpf Gottes erweist, wenn er nicht achtlos an der Not des Nächsten ­vorübergeht. Dazu gehören eine unbestech­liche Wahrnehmung und Sorgfalt im Umgang mit anderen.

Das gilt auch bei der Vergabe von Gräbern. Niemand wird der Leitung unserer ­Kirche oder dem Friedhofsverantwortlichen antisemitische Absichten unterstellen. Aber wir müssen lernen: Neonazistische Angriffe auf jüdisch-christliches Denken und demokratische Kultur machen auch vor Friedhöfen nicht halt. Es gibt gewaltverherrlichende  Aufmärsche und Kundgebungen vor prominenten Nazigräbern. Davor müssen wir die Totenruhe und unsere Grabkultur schützen mit allen uns von der Friedhofsordnung zur Verfügung stehenden Mitteln. Und wenn diese nicht ausreichen, müssen wir sie ­ändern. Ziel ist es, auch hier antisemitische Akte zu verhindern und Solidarität zu zeigen. Das sind wir Max Friedlaender und unseren ­jüdischen Geschwistern schuldig.

Pfarrerin Marion Gardei ist Beauftragte für jüdisches Leben und für den Kampf gegen Antisemitismus (Antisemitismus­beauftragte) und Beauftragte für Erinnerungskultur der Evange­lischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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