Suchet der Stadt Bestes
Was ist das Beste für die Stadt? Gerade mit Blick auf die Berliner Abgeordnetenhauswahl am 26. September? Was braucht es in der nächsten Wahlperiode, um eine gerechte Stadtgesellschaft zu fördern? Die Berliner Stadtmission sorgt sich beispielhaft um das Wohl der am meisten Bedürftigen. Haben Politikerinnen und Politiker sie genügend im Blick?
Kommentar von Christian Ceconi
Mit der Politik ist es wie mit der Kirche: Beide werden am meisten geschätzt, wenn Reden und Handeln übereinstimmen. Wenn das, was gepredigt wird, im Alltag sichtbar wird. Oder besser noch: Wenn die Praxis anschaulich macht, worum und wie es auch im Großen geht.
Zwei Begegnungen hatte ich in Wahlkampfzeiten, die mir das eindrücklich vor Augen geführt haben. Frau M. sprach mich an: „Habe ich Ihnen eigentlich schon von B. erzählt? Er lebt in der Bushaltestelle gegenüber.“ Frau M., Managerin in einem Berliner Unternehmen, hatte ihn angesprochen. Sie erfuhr von seinem Weg aus Slowenien nach Deutschland, und dass er auf dem Bau gearbeitet hatte. Sie war beeindruckt, dass er es aus eigener Kraft geschafft hatte, vom Alkohol loszukommen. Bald schon bot sie ihm Unterstützung an, besorgte eine Unterkunft, beantragte mit ihm Sozialversicherungsleistungen und begann herauszufinden, wo seine Potentiale liegen könnten. Dann schrieb sie uns bei der Berliner Stadtmission, ob wir weiterhelfen könnten beim nächsten Schritt. Das haben wir gemacht und ihren Nachbarn beraten.
Frau M. hat angepackt und gesagt: „Eure Armut geht mich an.“ Sicher auch, weil sie vorher bei einem Social Day (sozialen Tag) in einer unserer Einrichtungen Menschen ohne Wohnung kennengelernt hatte.
Aber es geht nicht nur um Armut. Es geht auch um Teilhabe. Eine junge Politikerin, die sich erstmals für das Abgeordnetenhaus zur Wahl stellt, habe ich kürzlich gefragt, mit welchen Themen sie in den Wahlkampf zieht. Die Antwort: „Mich beschäftigt, wie wir in unserer Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung umgehen. Mir ist das wichtig. Ich nehme das mit in meine Wahlkampfgespräche im Kiez.“ Und dann fuhr sie leicht zweifelnd fort: „Ob man damit im Wahlkampf punkten kann, da bin ich mir nicht so sicher.“
Beide, Frau M. und die junge Politikerin, haben etwas gewagt: Ehrlichkeit in der Begegnung und Verantwortung für das, was nottut. Nicht nur aus Pflichtgefühl, sondern mit Leidenschaft. Für mich ein Stück Bau am Reich Gottes, weil Menschen angeschaut werden, weil Beziehungen tragfähige Perspektiven entwickeln. Weil beide die Herausforderungen, die Gott ihnen im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße gelegt hat, als Berufung begriffen haben.
Ob Armut oder Teilhabe, Stärken von Kindern oder Integrieren von Geflüchteten: Dinge wandeln sich, wenn wir nicht nur wahrnehmen, sondern auch in Beziehung gehen. Hinschauen, Anteil nehmen, Verantwortung eingehen und dafür sorgen, dass jeder und jede einen Platz findet. Das ist eine Haltung, die im Alltag genauso wichtig ist wie in der Politik.
Jesus hat das oft mit einer Einladung zum Essen verbunden. Nicht immer lud er die ein, die ihm und anderen angenehm waren. Er hat gefragt: Wer braucht heute die Gemeinschaft und einen Platz am gemeinsamen Tisch, damit er aufleben kann?
Ehrlichkeit in der Begegnung und Verantwortung, für das, was nottut. Das erwarte ich von allen, die sich am 26. September zur Wahl stellen – zuallererst aber von mir selbst. Und nach dem 26. September? Da werden wir weiter einladen: die aus der Politik und die von der Bushaltestelle, damit sie sich ehrlich begegnen und Verantwortung füreinander übernehmen.
Christian Ceconi ist Theologischer Vorstand und Direktor der Berliner Stadtmission.