Von Frank Schürer-Behrmann
Ich mache meinen Frieden mit dir,
du kleine Mücke.
Du kannst mich ruhig pleken,
ich werd‘ dich nicht zerdrücken.
Du kannst mich ruhig stechen,
ich werde dich nicht schlagen.
Du musst mir nur versprechen,
es deinen Kumpels nicht zu sagen.
Nun hau schon deinen Spund rein
und lass uns einen heben.
Ich fülle auf mit Rotwein,
so könn’ wir beide leben.
Gerhard Gundermann
Diese Zeilen des Liedermachers Gerhard Gundermanns irritieren. Ist es nicht die natürlichste Reaktion der Welt, nach einer Mücke zu schlagen, damit sie nicht zusticht?
In einem Moment der Gnade muss Gundermann aber die Mücke nicht als Feindin sehen. Er kann ihr zugestehen, zu tun, was sie tun muss, auch zu seinen Lasten. Sie soll es nur nicht übertreiben, dann gibt es Raum für beide. Ist das absurd oder lächerlich?
Die uns umgebende Natur ist widersprüchlich. Natürlich gibt es wunderbare Sonnenaufgänge und herrliche Wildbäche. Getreide, Raps und Obst schenken Brot, Öl und Wein, wie es der 104. Psalm besingt. Aber im Laufe des Tages kann die Sonne des kühlen Morgens sengende Hitze entwickeln, der plätschernde Bach wird zur mörderischen Flut.
Deswegen haben Menschen über Jahrtausende die Natur meistens als Feindin gesehen. Wir haben versucht, sie unter Kontrolle zu bringen und uns bedingungslos gefügig zu machen. Aus sich windenden Flüssen wurden exakt berechnete Wasserstraßen, aus flauschig piependen Küken industrieller Überschuss, der möglichst effizient vernichtet wird.
Die Rechnungen gehen aber nicht auf. Es gibt zu viele unbekannte Variablen. Die hemmungslose Verbrennung von Kohle und Öl führt zur Klimakrise. Und selbst die kleine Mücke fehlt, wenn sie mit anderen Insekten mit chemischen Mitteln flächendeckend vernichtet wird – wovon sollen die Singvögel leben und wie sollen Obstblüten bestäubt werden?
Die Ambivalenz wird bleiben. Aber vielleicht lernen wir, dass der richtige Umgang mit der Natur ist, sie nicht durch unbedingte Herrschaft überwinden zu wollen. Sondern wir müssen, so gut es geht, eine Beziehung gestalten, die die „Bedürfnisse“ der Schöpfung besser wahrnimmt und ihnen Raum gibt. Und die Voraussetzung für Wahrnahme ist freundliche Einfühlung oder Sympathie.
Ein Übungsraum für solche Geschwisterlichkeit ist die Religion. Gerhard Gundermann ist nicht der erste, der die scheinbar stumme Schöpfung als lebendiges Mitgeschöpf sehen konnte. Vor Hunderten von Jahren sprach der Heilige Franz von Assisi Sonne und Mond, Wind, Wasser und Erde als Geschwister an.
Franz’ später Nachfolger Papst Franziskus rief 2015 in seiner Enzyklika „Laudato Si“ zu einem neuen Verhältnis zur Schöpfung auf, und die weltweite ökumenische Bewegung lädt seit einigen Jahren ein, im September einen „Ökumenischen Tag der Schöpfung“ zu feiern.
In Berlin und Brandenburg feiern wir diesen Tag auch in der Doppelstadt Frankfurt-Słubice an der Oder. Aus einem Gespräch mit dem römisch-katholischen Bischof von Gorzów (Landsberg) Tadeusz Lityński ergab sich letztes Jahr die gemeinsame Initiative, beidseits entlang des Flusses „Schöpfungsgärten“ entstehen zu lassen. In ihnen soll ein einfühlsamer Umgang mit der Schöpfung eingeübt werden – in praktischer Arbeit, in Gespräch und Gebet. Zwei Gärten entstehen nun an den beiden Studierendenhäusern Parakletos und Hedwig in Słubice und Frankfurt – sie sind noch in den Anfängen. Im Anschluss an den ökumenischen Gottesdienst in der Friedenskirche am 5. September um 14 Uhr werden wir sie besuchen. Und vielleicht lernen, dass gegen Mücken auch Walnussbäume und Netze helfen, und dass dann alle ihren Platz haben können. So könn’ wir alle leben.
Stichwort: Ökumenischer Tag der Schöpfung
Im Jahr 1989 lud der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Dimitrios „die ganze orthodoxe und christliche Welt“ ein, am 1. September „zum Schöpfer der Welt zu beten: mit Dankgebeten für die große Gabe der geschaffenen Welt und mit Bittgebeten für ihren Schutz und für ihre Erlösung“. Diese Initiative wurde 1992 von der gesamten Orthodoxen Kirche begrüßt und übernommen. Zugleich gehörten zum damaligen ökumenischen Diskurs Fragen zur Bewahrung der Schöpfung, Frieden und Gerechtigkeit und viele Christinnen und Christen engagierten sich bereits für den Konziliaren Prozess. Teil dieses Prozesses waren die Europäischen Ökumenischen Versammlungen in Basel (1989), Graz (1997) und Sibiu (2007). Die Charta Oecumenica aus dem Jahr 2001 empfiehlt allen europäischen Kirchen, „einen ökumenischen Tag des Gebets für die Bewahrung der Schöpfung“. Die ACK beschloss 2009, den Ökumenischen Tag der Schöpfung einzuführen, den sie auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag 2010 in München proklamierte.
Mehr dazu: www.schoepfungstag.info