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Tanz mit der Tora

Julian-Chaim Soussan, Rabbiner in Frankfurt/Main, und Hans-Joachim Ditz, Ökumenebeauftragter des Erzbistums und Geschäftsführer des Ökumenischen Rates, im Gespräch

jüdisch-christlicher Dialog
Das Plakat der Kampagne #beziehungsweise für Schawout und Pfingsten. Grafik: EKBO

Begleitend zur Kampagne „#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst“ veröffentlicht „die ­Kirche“ jüdisch-christliche ­Interviews. Im Mai spricht Volker Resing, Chefredakteur der katho­lischen Monatszeitschrift „Herder Korrespondenz“ über Schawuot, das Fest der Gabe der Heiligen Schrift, und Pfingsten, das Fest der Gabe des Heiligen Geistes mit dem Frankfurter orthodoxen Rabbiner Julian-Chaim Soussan und dem Pastoralreferenten Hans-Joachim Ditz, Geschäftsführer des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg (ÖRBB) und Ökumenebeauftragter beim Erzbistum Berlin über Offenbarung, Küsse für die Tora, Sprachverwirrung und Verständigung.  

Herr Rabbiner Soussan, können Sie uns kurz Schawuot für ­Anfänger erklären? 

Soussan:  Am 6. Siwan – dem 50. Tag nach Pessach – feiern wir das Fest Schawuot, das „Wochenfest“. Schawuot bedeutet „Wochen“. Es bietet die Vorlage für „Pfingsten“, griechisch Pentekoste, der fünfzigste Tag. Der Anlass: Wir zählen sieben Wochen vom  Auszug des Volkes Israel aus Ägypten bis zur Ankunft am Berg Sinai, wo es die Offenbarung Gottes erhält, die Tora.  Schawuot ist außerdem ein Erntedankfest, da zu dieser Zeit in Israel der erste Weizen geerntet wird. Neben der Tora-Lesung der Zehn Gebote lesen wir die Rolle Ruth mit der Geschichte von der zum Judentum übergetretenen Moabiterin.

Wie feiern Sie Schawuot?

Soussan: Wenn wir keine Pandemie haben, laden wir zu einer Nacht des Lernens der Tora ein. Mit etwa 100 Personen versuchen wir, wachzubleiben, lernen die Tora, hören Vorträge. Zum Abschluss feiern wir am Morgen Gottesdienst. Zum Brauchtum gehört, milchig zu essen. Der Klassiker ist der Käsekuchen. So futtert man sich gegen die Müdigkeit durch die Nacht. Schawuot ist kein griffiges, greifbares, sondern ein geistiges, geistliches Fest. Nach der körperlichen Befreiung von Pessach kommt jetzt die geistige Befreiung durch den Text der Tora.

Herr Ditz, wie würden Sie ­Pfingsten für Anfänger erklären?

Ditz: Pfingsten ist das Fest, das Mut machen soll. Nach dem Drama um Ostern waren die Jünger ratlos und ängstlich. Dann empfangen sie den Heiligen Geist. Das Neue Testament beschreibt das eindrücklich mit Feuerzungen und Sturmesbrausen. Auf einmal gehen die Jünger nach draußen. Und ausgerechnet ­Petrus, dieser große Hasenfuß, schwingt die große Rede und verkündigt Jesus als Christus, als Auf­erstandenen. Menschen bekommen Mut. Und Gottes Geist bewirkt Verständigung. Menschen reden mit­einander, verstehen sich auf einmal, auch wenn sie unterschiedliche Sprachen sprechen, wie die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel beschreibt. Das ist die Wirkung von Pfingsten. Und Pfingsten ist so etwas wie das Geburtsfest der Kirche. Von Jerusalem aus tragen die Apostel die Botschaft von Jesus Christus in die Welt. Wir feiern, dass es Kirche gibt. 

Wie feiern Sie Pfingsten, gerade auch in der Vielfalt und dem ­säkularen Umfeld in Berlin?

Ditz: Für Pfingsten gibt es wenig Anknüpfungspunkte. In Berlin versucht der Ökumenische Rat der ­Kirchen seit 2000 mit der Nacht der offenen Kirchen an die Idee vom ­Geburtsfest der Kirche anzuknüpfen. Früher gab es den Marsch vom Brandenburger Tor zum Berliner Dom mit Pfingstvesper und Stellungnahmen der Bischöfe zu aktuellen Themen. Am Pfingstfest geht man nach außen und bleibt nicht innerhalb der Kirchen­mauern. So wie die Apostel.  

Herr Soussan, können Sie mit der Vorstellung des Heiligen Geistes als Rabbiner etwas anfangen?

Soussan: Da kann ich anknüpfen, es geht ja auch um Offenbarung. Feuerzungen und Sturmesbrausen erinnern mich an Gottes Offenbarung am Berg Sinai. Der Unterschied zu Pfingsten ist: Hier spricht Gott zum ganzen Volk. Er verkündet die Zehn Gebote, die Tora. Der Begriff des Heiligen Geistes ist schwierig, weil er im Christentum besetzt ist mit der dritten Person der Trinität. Im Judentum gibt es „ruach ha ­kodesh“, den göttlichen Geist, der inspiriert. Alle Propheten stehen unter diesem göttlichen Geist, wenn sie prophezeien.

Ditz: Da sind wir doch einig! Gottes Geisteskraft wirkt in den Menschen. Da knüpfen wir Christen an die Bibel an. Sophia, in griechischer Sprache die Weisheit Gottes, ist an der Schöpfung beteiligt. In der Vorstellung des Heiligen Geist als Person der Trinität unterscheiden wir uns.  

Gottes Wort mehr zu feiern, ­könnten wir Christen uns da nicht etwas abschauen, gerade wir Katholiken, Herr Ditz?

Ditz: Das ist genau der Impuls von Pfingsten: Die Jünger empfangen den Heiligen Geist und verkündigen den Menschen Gottes Wort. Sie geben es weiter, gehen nach außen. Das umfasst auch die jüdische Tradition. Das sind die Schultern, auf denen wir stehen und ohne die wir gar nicht sein können.  

Also ist Schawuot für Christen ein Fest, das den Wert des Ersten Testaments bewusst macht?

Ditz: Absolut. Es gibt eine Zeichnung, die das Alte und Neue Testament als Gebirge darstellt. Daraus strömen Quellflüsse zusammen. Das  Neue Testament ist vergleichsweise ein Hügelland gegenüber dem Hochgebirge des Ersten Testaments. Das muss man einfach anerkennen. 

Rabbiner Soussan, welche ­Bedeutung hat die Tora für den ­jüdischen Glauben? Ich habe den Eindruck, die Bedeutung der Schrift wird im Judentum viel mehr gefeiert und zelebriert. Ist das mit Schawuot verbunden?

Soussan: Das ist ein wichtiger Unterschied. Zehn Aussprüche hat es gebraucht, um die Welt zu schöpfen, sagt der Talmud. Gott sprach und es ward Licht. Deshalb heißen die Zehn Gebote auf Hebräisch die zehn Aussprüche Gottes,  asseret ha-dibrot. Die Tora, die fünf Bücher Moses, sind so heilig, dass aus einer Tora nicht mehr öffentlich gelesen werden darf, in der ein Buchstabe nicht mehr lesbar ist. Sie gilt nicht mehr als „koscher“, was man sonst nur vom Essen kennt. Hier bedeutet es: rituell korrekt. In jedem Buchstaben steckt die Heiligkeit Gottes. Die Tora ist das Buch Gottes für den Menschen. Das Neue Testament ist das Buch der Menschen über Gott, über Jesus, den Christen als Gott ansehen. 

Nach der Kabbala, der mystischen Tradition, existierte die Tora schon vor der Welt. Gott schaut in die Tora, um die Welt zu schöpfen. Daraus entsteht eine enge Verbindung. Wenn wir den Zyklus der Tora einmal im Jahr durchgelesen haben, feiern wir am Ende des Laubhüttenfestes „Sukkot“ „Simchat Tora“, das Fest der Torafreude. Da wird mit der Tora getanzt, man küsst sie. Darin drückt sich eine Art Liebesbeziehung aus, etwa so, als würde ein Verfassungsrichter mit dem Grundgesetz tanzen. Die Kinder lernen die Tora von klein auf. Möglichst alle sollen sie lernen und ihr Wissen vertiefen. Das drückt sich in Schawuot aus.

Herr Ditz, gibt es so ein inniges Verhältnis zur Bibel auch in der katholischen Kirche? 

Ditz: Ein so inniges, geradezu zärtliches Verhältnis zur Bibel, wie es Rabbiner Soussan gerade beschrieben hat – das begeistert mich! – ist für römische Katholiken eher fremd. Das Allerheiligste ist für uns die Eucharistie. Wenn wir die geweihte Hostie, den Leib Christi, empfangen, sind wir innig mit Jesus Christus verbunden. Da sehe ich eine Parallele. Innigkeit und Zärtlichkeit drückt sich auch in Texten und Liedern  aus. Eine evangelische Kollegin im ÖRBB antwortete mir auf die Frage, was für Protestanten das ­Allerheiligste ist: Vielleicht das Wort, das nicht nur gelesen und gehört und ausgelegt wird, sondern das sich ereignet. Dabei ereignet sich die Kraft des Heiligen Geistes und spricht uns durch die Schrift immer wieder neu an. Das zu erspüren, ist unsere Aufgabe. Da gehen inzwischen auch Katholiken mit. Nicht einig sind wir uns in der Frage, wie wörtlich wir die Bibel auslegen. Die Haltung, mit der ich versuche, die Bibel zu lesen, ist: Die Bibel will nicht wortwörtlich genommen, sondern beim Wort genommen werden. 

Wie erleben Sie das in Frankfurt, Herr Rabbiner Soussan, wie kann man das Wort Gottes heute ­verständlich machen?

Soussan: Die Tora ist allum­fassend, sie umfasst meinen ganzen Lebensbereich, nicht nur die Religion. Das ist es, was wir versuchen müssen zu übersetzen: Für unsere gegenwärtigen Probleme, für alle meine Lebensentscheidungen finden wir in der Regel in der reichen jüdischen Tradition, die sich seit 3500 Jahren, seit Moses mit dem jüdischen Volk am Berg Sinai stand, bis in die Gegenwart zieht, eine Orientierung. Deshalb ist dieses Wort, etwas, das wir versuchen müssen, uns zu vergegenwärtigen. 

Herr Ditz, wie funktioniert Gottesrede in der Sprachverwirrung ­unserer Zeit?

Ditz: Ich treffe zunehmend Menschen, die sagen, Gott spielt für mich keine Rolle. Ich denke, wir können die Kraft des Zweifels nutzen oder, wie es Paul Michael Zulehner, katholischer Pastoraltheologe, formuliert hat: „Unsere Chance als Christen, überhaupt als Gottgläubige, besteht darin, das Gottesgerücht wach zu halten.“ Den Zweifel nähren, es könnte ihn doch  geben. Es könnte sein, dass er eingreift. Es gibt jedenfalls ein dickes Buch, das davon ­erzählt. So würde ich herangehen ... 

Herr Rabbiner, was können Sie von Pfingsten für sich mitnehmen?

Soussan: Der Rückbezug auf das eigene Ich, das am Ende der Traditionskette steht und aus all dem auswählt und entscheiden muss, das ist noch mal deutlich geworden für mich. Diese eigene Beschäftigung mit dem Text, das Wort, das an mich geht, daran muss ich auch immer wieder erinnert werden. 

Herr Ditz, was haben Sie heute über Schawuot gelernt?

Ditz: Was mich wirklich anrührt, ist der zärtliche Umgang mit der Tora. Das nehme ich mit. Und dass Gott selber in die Tora schaut, wie er die Welt erschaffen soll, ist ein wunderschönes Bild. Vielen Dank für diesen Blick in unsere Wurzeln, die jüdische Tradition. Und ich glaube in punkto Humor können wir auch noch eine Menge lernen. 

Zum Thema „Spirit, der bewegt: Schawuot beziehungsweise Pfingsten“ lädt „die Kirche“ zu einem Online-Dialog (via Zoom) am Mittwoch, 12.Mai, um 19 Uhr mit Julian-Chaim Soussan und Hans-Joachim Ditz ein. Es ­moderiert Volker Resing. Bitte vorher ­anmelden unter der E-Mail-Adresse: ­dialog(at)wichern.de.
Einen Tag vorher erhalten Sie dann die Zugangsdaten.

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1. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
2. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.
3. Frieden? Gert Flessing Das Wort Frieden ist ziemlich abgenutzt. Nicht erst heute ist das so. Als ein gewisser britischer Premierminister einst in London davon sprach, den "Frieden für unsere Zeit gesichert zu haben", war das den Atem nicht wert, den er verschwendet hat.
Ist es heute besser? Ich hörte irgendwann mal was von einer "europäischen Friedensordnung". Selbst das war eine Illusion.
Und unter uns, im eigenen Land? Man mag in keine Diskussion eintreten, weil viel zu oft die Emotionen über die Vernunft siegen. In unserer Kirche ist es leider nicht sehr viel anders.
Sind wir nur noch Kirche für jene Menschen, die eine "richtige Gesinnung" haben? Wobei ich mehr und mehr daran zweifle, dass es jene Gesinnung sein soll, von der Paulus im Philipperbrief schrieb.
Wie soll da Frieden entstehen?
Aber wenn wir selbst nicht, in unserer Mitte, unter dem Kreuz und in der Hoffnung des leeren Grabes lebend, miteinander in Frieden sein können, wie wollen wir dann der "Welt" dazu helfen?
Viel zu oft, auch da, wo sich Kirche und Politik kreuzen, sehen wir den Splitter im Auge des anderen. Das sollte nicht sein. sonst können wir uns alles, was wir so von Frieden und Mitmenschlichkeit erzählen, sparen.

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