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„Veranstaltung des Kalten Krieges“

Vor 60 Jahren hat die Staatsführung der DDR einen gesamtdeutschen Kirchentag verboten

Kein gesamtdeutscher Kirchentag: 1961 wurden nur im Westteil der Stadt die Kirchentagsflaggen gehisst – wie hier an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Foto: UK-Bild/epd

Von Yvonne Jennerjahn (epd)

Zehn Tage noch, dann sollte am 19. Juli 1961 in Ost- und Westberlin der 10. Evangelische Kirchentag beginnen. Doch dann kommt alles ganz anders. Am 8. Juli vor 60 Jahren gibt der Ostberliner Polizeipräsident einen Beschluss bekannt, der keinen Raum mehr für Missverständnisse lässt: „Im Interesse der Gewährleistung von Ruhe und Ordnung und zur Sicherung des Friedens ist der Evange­lische Kirchentag in der Hauptstadt der DDR (Demokratisches Berlin) verboten.“

Als „Veranstaltung des Kalten Krieges“ beeinträchtige der Kirchentag Verhandlungen über die „Lösung der Westberlinfrage“ und einen Friedens­vertrag, heißt es zur Begründung des Verbots durch das Politbüro der SED. Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg protestiert mit einem Brief beim Ministerrat der DDR, die sächsische Kirchenleitung protestiert per Telegramm. Geholfen hat es nicht, die Kirche muss umdisponieren.

Keine typischen Kirchentagsveranstaltungen in Ostberlin, heißt es nun. Stattdessen „gottesdienstliche Veranstaltungen“ zu den Themen der Bibel­arbeiten im Westen. Zur Eröffnung am 19. Juli schließlich predigt der Berliner Bischof Otto Dibelius in Westberlin und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kurt Scharf, im Osten – mit überwältigender Resonanz.

„Die Marienkirche musste anderthalb Stunden vor Beginn wegen völliger Überfüllung geschlossen werden“, erinnert sich ein Beteiligter. Auch die zur Verfügung stehende Ausweichkirche wird schon eine Stunde vor Beginn wegen des großen Andrangs geschlossen. Mit Bussen und Autos helfen Kirchentagsteilnehmende aus dem Westen beim Transport zu anderen Orten: „Für die Gemeinden Ostberlins war es ein beinahe nicht mehr zu glaubendes Bild. So sehr sind wir miteinander noch verbunden.“

Verbot überraschte nicht

Wirklich überraschend war das Verbot des Kirchentags für Ostberlin jedoch nicht über die evangelische Kirche gekommen. Schon rund anderthalb Jahre davor waren die ersten Ankündigungen, 1961 einen Kirchentag in beiden Teilen Berlins zu feiern, bei der DDR-Führung auf wenig Begeisterung gestoßen. „Alle Versuche durch Monate hindurch zu einer offiziellen Verhandlung über unsere Anträge zu gelangen, scheiterten“, schreibt Scharf Anfang 1961 in einem Brief. Die Vorbereitungen gehen trotzdem weiter, inoffizielle Gespräche werden positiv gewertet, eine Million Kirchentagsabzeichen werden beim VEB „Staatliche Porzellan-Manufaktur“ in Meißen bestellt.

Nach einem Gespräch zwischen Kirchen- und Regierungsvertretern „zur Frage eines Gesamtdeutschen Berliner Kirchentages“ am 30. Dezember 1960 heißt es offiziell am 11. Januar in einer Regierungserklärung: Der Kirchentag in München 1959 habe gezeigt, dass Vertreter der westdeutschen „Militärkirche“ bei dem Protestantentreffen „kirchliche Veranstaltungen und religiöse Anliegen christlicher Bürger zu Provokationen gegen die DDR“ nutzen wollten. Die Regierung könne deshalb „dem Antrag, den nächsten Kirchentag in Berlin durchzuführen, nicht entsprechen“.

Martin Niemöller ruft zum Boykott des Kirchentags auf

Der „Schwarze Kanal“ im DDR-Fernsehen formuliert es ein paar Tage später deutlicher: „Verschärfung der Frontstadt­politik mit Hilfe des Kirchentages? Ohne uns!“ Chefkommentator Karl-Eduard von Schnitzler verweist zur Begründung auf die Teilnahme von Bundeswehrsoldaten in München, „die dann nach Gebet und Abendmahl und wohlversehen mit dem Segen des Bischofs Dibelius an die Sandkästen zurückkehrten, an denen sie die ‚Befreiung der Ostzone‘ übten“.

Innerhalb der Kirche bricht im Frühjahr 1961 ein Streit über den geplanten Kirchentag aus. Martin Niemöller, Kirchenpräsident von Hessen-Nassau, sagt ab und ruft zum Boykott auf. Doch es bleibt bei Berlin. Die Verhandlungen mit DDR-Regierungsstellen gehen trotz negativer Vorzeichen weiter. Nun gehe es nicht mehr nur um den Kirchentag, „sondern überhaupt um die Einheit der Evangelischen Christenheit in Deutschland“, heißt es in einem Schreiben an den DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen.

Fast 43000 Dauerteilnehmende verzeichnet schließlich die Kirchentagsstatistik für das fünftägige Protestantentreffen auf dem Westberliner Messegelände, darunter knapp 20000 aus der DDR, trotz Verbots und Behinderung. Theologische und politische Themen stehen auf dem Programm bis hin zur Frage, ob ein „LPG-Bauer als Christ die Tatsache der Kollektivierung als ein Naturereignis hinnehmen“ müsse. Erstmals wird, während in Israel der Eichmann-Prozess läuft, das Verhältnis von Juden und Christen zum Kirchentagsthema gemacht.

Mehr als 80000 Menschen nehmen am 23. Juli an der Abschlussveranstaltung im Olympiastadion teil. Der Kirchentag, betont dort Kurt Scharf noch einmal, „ist ein gesamtdeutscher Kirchentag gewesen“. Nur drei Wochen später beginnt die DDR mit dem Bau der Mauer. Am 31. August wird Kurt Scharf aus Ostberlin ausgewiesen. „Es ist ein Kirchentag, der objektiv und faktisch ein Argument im Kalten Krieg geworden ist“, so hat es der Theologe Helmut Gollwitzer zusammengefasst: „Das haben wir alle nicht gewollt.“

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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