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Verlöschende Erinnerungen und schwankender Boden

Wenn die Worte auseinanderfallen, die Dinge in der Wohnung nicht mehr aufzufinden sind, Aggressionen sich häufen und die Anschuldigungen immer unwahrscheinlicher werden, könnte es sein, dass sich eine ­Demenz entwickelt. Dann brauchen Menschen vor allem Verständnis. Ein persönlicher Einblick

Das Verlöschen des Gedächtnisses ist manchmal wie ein Tappen im Nebel. Trotzdem können Menschen mit Demenz charmante und fröhliche Menschen sein, wenn der Nebel sich bei Begegnungen mit vertrauten Menschen lichtet. Foto: Viktor Namikov/unsplash.com

Von Sibylle Sterzik

„War das wiedermal stressig“, ruft mir Christian zu. Er betritt gerade mit seinem Vater, der sich auf den Rollator stützt, die Kirche. Während der ältere Herr sich tapfer zu seinem Stammplatz vorkämpft, erzählt mein Bekannter: „Wenn ich in unserem Mietshaus die Treppe ­herunter komme, steht meist die Mieterin ­parterre schon an ihrer ­offenen Tür, stemmt die Hände in die Hüften und schimpft: Sie haben meinen Schlüssel aus der Wohnung mitgenommen, als Sie vor kurzem hier waren! Aber natürlich habe ich ihren Schlüssel nicht angerührt.“ 

Unerkannte Demenz ­verursacht Ratlosigkeit


Christian ist wütend und ratlos. Vor allem ärgert er sich über die Mieterin. „Die ist verrückt! Was ­sollen bloß die Leute im Haus von mir denken, wenn sie mir im Treppenhaus so laut Vorhaltungen macht.“ Es ist ihm peinlich. Manchmal klingelt sie sogar oben an der Wohnungstür und sucht ihre Geldkarte. Aber auch die hat der Nachbar, grundehrlich wie er ist, nicht eingesteckt. 

Als das Wort Geldkarte fällt, werde ich stutzig. Das kenne ich. Die Wohnung meiner an Demenz erkrankten Mutter habe ich oft auf den Kopf gestellt, bis ich endlich ihre Bankkarte fand. Ich kramte in Schubladen und kroch unter das Bett. Dabei prasselte eine Schimpfkanonade auf mich ­nieder. Mit verfinstertem Gesicht empörte sich die sonst so liebe ältere  Dame, dass ich ihr die Karte ent­wendet und das ganze Bargeld abgehoben hätte. 

Der herbeigeschaffte Kontoauszug besänftigte sie zwar. Dasselbe ­wiederholte sich aber immer wieder. 

„Könnte es eine beginnende ­Demenz sein, die diese Mieterin so misstrauisch werden lässt in letzter Zeit?“ Christian war zu sehr mit ­seinem eigenen Ärger beschäftigt gewesen, als dass er sich über die Mieterin Gedanken gemacht hätte. Wie auch? 

Demenz im eigenen ­Treppenhaus?


Wer kennt schon das Erscheinungsbild von ­Demenz aus eigenem Er­leben? Viel ist darüber zu lesen  und zu hören in den Medien. Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger zum Beispiel setzte in seiner 2011 im Carl Hanser Verlag erschienenen ­Erzählung „Der alte König in seinem Exil“ seinem an Alzheimer erkrankten Vater ein charmantes Denkmal. Aber Demenz im ­eigenen Treppenhaus? Das ist oft wenig lustig. Für den Betroffenen nicht und für die Mitbewohner auch nicht. Darum haben es alle Seiten nicht leicht. 

Christian wird jetzt auch stutzig. An so etwas hatte er natürlich nicht gedacht. Er will versuchen, Angehörige anzusprechen. Aber die Mieterin bekommt fast nie Besuch, ihr Mann ist vor zwei Jahren gestorben, der Neffe wohnt weit entfernt, eine Telefonnummer gibt die Mieterin ­bestimmt nicht heraus, vermutet er. Vielleicht helfen der medizinische Dienst oder ein Pflegestützpunkt?

Wenige Tage später ruft er mich wieder an. Die Mieterin habe wegen starker Schmerzen im Fuß geklingelt. „Ruf den ärztlichen Bereitschaftsdient an“, rate ich ihm. Der kommt ins Haus. Und ich empfehle ihm noch, dem Arzt zu erzählen, dass die Vergesslichkeit und Aggressivität der Mieterin in letzter Zeit ­zunehmen. Vielleicht weiß er, ob es eine Möglichkeit gibt, die Mieterin zu bewegen, sich in ärztliche ­Behandlung zu bewegen. 

„Ich bin keine Maus, ich bin Deine Mutter!“


Wer macht das schon, vor allem, wenn einem selbst das veränderte Verhalten gar nicht bewusst ist? ­Natürlich sind wir beide keine Mediziner, nur Hobbypsychologen, aber ansprechen kann man es ja mal.

Wenig später erzählt Christian, der Arzt habe nichts am Fuß fest­stellen können und sei nur kurz bei der Mieterin gewesen. „Hast Du ihn auf die Demenz angesprochen?“ „Als der Arzt bei uns klingelte, weil ich dort angerufen habe, nahm ich ihn beiseite, und sagte ihm, die Mieterin sei ein wenig ...“ Dann macht er eine kreisende Handbewegung vor seiner Stirn, die wohl sagen sollte „ein wenig meschugge“.  Mir fällt beinahe die Kinnlade herunter. Doch ich beherrsche mich. Abfällige Bemerkungen ­helfen von Demenz betroffenen ver­unsicherten Menschen am allerwenigsten. 

Zeige ich meiner Mutter, dass ich sie sehr lieb habe, spürt sie ganz genau, was ich ihr sage. Ihre Augen strahlen, sie lächelt selig. Wie neulich. Nach einem Café-Besuch im ­Seniorenheim ist sie erschöpft. Sie läuft trotzdem tapfer über den Hof den Weg wieder zurück. Im Zimmer setzt sie sich gleich auf ihr Bett und sagt bestimmt: „Ich geh keinen Schritt mehr!“ „Du bist aber auch toll gelaufen, meine Maus“, lobe ich sie und drücke sie sanft an mich. Darauf sie: „Ich bin keine Maus. Ich bin Deine ­Mutter!“ Beide lachen wir los. 

Ein anderes Mal verabschieden wir uns nach einem schönen Nachmittag. „Was wollt ihr zu Hause, wenn ihr mich habt?“, fügt sie keck hinzu. Und lacht schallend. „Wer mich liebt, holt mich hier weg“, entgegnet sie. Recht hat sie. Aber das liegt jenseits meines Vermögens. Ich besuche sie, sooft ich kann. Und versuche ihr zu zeigen, wie sehr sie mein Leben geprägt hat und mir wichtig ist. Vermutlich wird sie das Zimmer im Seniorenwohnhaus aber nie ganz als ihr Zuhause akzeptieren. 

Mit Christian bleibe ich im Gespräch. Vielleicht kann ich ihn darin unterstützen zu lernen, die Perspektive zu wechseln, weg von ihm, hin zu seiner Mitbewohnerin.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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