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Vom U-Boot auf die Barrikaden

Im März 1920 versuchten rechtsradikale Putschisten die noch junge deutsche Republik zu Fall zu bringen. An ihrer Seite: der Theologiestudent Martin Niemöller

Niemöller Putschist Armee
Martin Niemöller als Oberleutnant zur See. Aus: Martin Niemöller, Vom U-Boot zur Kanzel/CC BY-SA 3.0 (via wikimedia commons)

Von Friederike Höhn

Martin Niemöller ist heute bekannt als treibende Kraft der Bekennenden Kirche, als Pfarrer, der von 1937 bis 1945 als persönlicher Gefangener Adolf Hitlers in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau saß, weil er sich gegen die Einmischung des Staats in kirchliche Angelegenheiten und die Verfolgung „nichtarischer“ Amtskollegen einsetzte. Nach dem Krieg gehörte er zu den Verfassern des „Stuttgarter Schuldbekenntnis“, in der evangelische Christen ihre Mitschuld an den Verbrechen des NS-Regimes bekannten. Niemöller engagierte sich zudem politisch in der Friedensbewegung und wurde 1947 Kirchenpräsident der hessen-nassauischen Landeskirche.

Doch der 1892 geborene Pfarrerssohn hatte ursprünglich keine Ambitionen gehabt, in die väterlichen Fußstapfen zu treten. Niemöller schlug eine Offizierslaufbahn ein, begann 1910 als Seekadett eine Karriere als Berufsoffizier und diente während des Ersten Weltkriegs in der U-Boot-Flotte.

Pfarramt als sichere Lösung in unsicheren Zeiten
Das Kriegsende 1918 und die anschließende Revolution erlebte der Offizier als Trauma. Die bekannten Ordnungen von Kaiser und Vaterland, von Thron und Altar lösten sich auf. Die Niederlage war nicht mit dem nationalprotestantischen Selbstverständnis von der Gott­gewähltheit des deutschen Volkes in Übereinstimmung zu bringen.

Orientierungslos und ohnmächtig suchte auch Niemöller einen Sündenbock und fand diesen in völkisch-nationalen und antisemitischen Erklärmustern. Seinen bisherigen Karriereweg gab er auf, einer Republik wollte und konnte er nicht als Offizier dienen.

Aus denselben Gründen kam auch der Eintritt in eines der entstehenden Freikorps, der irregulären militärischen Verbände zur Grenzsicherung, nicht in Frage, wenngleich er bei einigen Treffen in Kiel dabei gewesen war. Nach einer kurzen Phase der Orientierungslosigkeit entschied er sich im Herbst 1919 zum Theologiestudium, weil ihm der Pfarrberuf ein geregeltes Auskommen in unruhigen Zeiten garantieren würde, so der Historiker Benjamin Ziemann, der im vergangenen Jahr eine umfangreiche Biografie Niemöllers vorgelegt hat. Im Januar 1920 begann der ehemalige Offizier, in Münster zu studieren, wo auch schon sein jüngerer Bruder Wilhelm im Jahr zuvor das Theologiestudium aufgenommen hatte.

Kapp-Putsch: Rechte gegen Republik

Also marschierte am 13. März 1920 das Freikorps „Marinebrigade Erhardt“ ohne einen Martin Niemöller in ihren Reihen ins Berliner Regierungsviertel ein und erklärte die Reichsregierung unter Gustav Bauer (SPD) für abgesetzt. Führender Kopf des Putsches war nicht der namensgebende Wolfgang Kapp, sondern General Walther von Lüttwitz, Chef des Reichswehrkommandos I in Berlin. Im Hintergrund agierten rechtsradikal-völkische Kreise, die sich um den ehemaligen Ersten Generalquartiermeister Erich Ludendorff in München gesammelt hatten. Keiner von ihnen aber wollte sich an die Spitze stellen, sodass der relativ unbekannte Politiker Kapp als öffent­liches Gesicht erhalten musste. Ziel der Putschisten war, die verhasste Republik mitsamt dem Versailler Vertrag zu revidieren.

Im fernen Münster schrieb Martin Niemöller begeistert in seinen Tageskalender: „Die Republik ist gestürzt.“ Tatsächlich verließ die Reichsregierung die Hauptstadt und zog nach Stuttgart. Die Reichswehr trat nicht auf den Plan: „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“, hieß es aus den Reihen der Generalität.

Im Gegensatz dazu riefen die Gewerkschaften und die SPD zum Generalstreik auf, auch die KPD schloss sich nach kurzem Zögern an. Die Arbeiterschaft legte in der Folge alle wichtigen Industriegebiete im Reich sowie die Infrastruktur in der Hauptstadt lahm. Der Beitrag des Generalstreiks zum folgenlosen Ende des Putschversuches ist umstritten. Vielmehr, so schreibt etwa der Historiker Wolfram Pyta, hätte die Verweigerung des Beamtenapparats, für die Putschisten zu arbeiten, zu deren schnellen Ende beigetragen. Ohne Rückhalt in den Behörden, in der Wirtschaft und im Volk gaben sie nach nur vier Tagen auf.

Im Westen formierte sich als Reaktion auf den Putschversuch die „Rote Ruhrarmee“, der es mit mehr als 50000 bewaffneten Arbeitern innerhalb weniger Tage gelang, das gesamte Ruhrgebiet unter ihre Kontrolle zu bekommen. Diese Ereignisse alarmierten am 17. März auch die Akademische Wehr in Münster, eine studentische Freiwilligentruppe mit etwa 750 Mitgliedern, deren wichtigstes ideologisches Motiv die Abwehr des Bolschewismus war. Ihr gehörte auch der Theologiestudent Martin Niemöller an.

Rechtsnationale und antisemitische Studentenzeit

Dieser hatte sich in Münster gemeinsam mit seinem Bruder schnell „in das radikalnationalistische Milieu der Universitätsstadt“ eingebettet, wie Benjamin Ziemann schreibt. Zwischen 1919 und 1923 war Martin Niemöller Mitglied in nicht weniger als acht rechtsnationalen, rechtsradikalen und antisemitischen Parteien und Gruppierungen, die sich durch Vortragsabende und Diskussionsrunden mit Themen wie der Rückgewinnung der Kolonien oder Kriegserlebnissen beschäftigten, aber auch massive antisemitische Agitation in Münster betrieben. Inwieweit Nie­möller auch daran beteiligt war, lässt sich nicht belegen. Sicher ist in jedem Fall, dass er davon wusste, da Parolen und Flugblätter sich sichtbar an der Universität verbreiteten.

Am aktivsten engagierte Niemöller sich in der Studentengruppe und im Ortsverband der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), einer rechtsnationalen Partei, die sich mehr oder weniger in das Weimarer Parteiensystem integrierte. Benjamin Ziemann bezeichnet sie als „evangelische Volkspartei, für die sich auch die Mehrheit der Pfarrer einsetzte“. Zu ihnen gehörte etwa Gottfried Traub, der den Putsch in Berlin aktiv unterstützte.

Niemöller wurde auch Mitglied des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes“, der als „erster faschistischer Verband in Deutschland“ zu verstehen ist, so Benjamin Ziemann. Bei der Anmeldung musste jedes Mitglied versichern, dass man „deutscher Abstammung war und sich auch unter den Vorfahren keine jüdischen Blutes befanden“. Der Bund wurde 1922 nach der Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau verboten, viele Mitglieder schlossen sich der NSDAP an. Gemeinsames Kennzeichen aller Verbände und Parteien, denen Martin Niemöller angehörte, waren ihr strammer Antibolschewismus, der sich auch gegen die Sozialdemokratie wendete, sowie ihr völkisch-rassistischer Antisemitismus.

Mit der Studentenwehr gegen aufständische Arbeiter
Am 27. März 1920 marschierte die Akademische Wehr von Münster ins Ruhrgebiet. Martin Niemöller fungierte als Kommandeur des III. Bataillons. In seinen Erinnerungen „Vom U-Boot zur Kanzel“ rühmt er den Einsatz der Akademischen Wehr als „Befreier aus der Hölle des Bolschewismus“; in der Realität war sie aber an keinen Kämpfen beteiligt, sondern übernahm Sicherungsdienste und durchsuchte Häuser nach Waffen und Soldaten der Ruhr­armee. Dazwischen blieb genug Zeit für Sektabende, Doppelkopfrunden und fröhliches Beisammensein, wie aus dem Tageskalender Niemöllers hervorgeht.

Die Rote Ruhrarmee wurde am 12. April von Reichswehr- und Freikorpsverbänden niedergeschlagen. Insgesamt 1300 Menschen starben dabei. Zuständig dafür war General Oskar von Watter, der ein lebenslanger Freund Niemöllers wurde. Noch 1939, kurz vor Watters Tod, korrespondierten er mit ihm aus seiner Zelle im KZ Sachsenhausen.

Nach 1920 ließ das Engagement Martin Niemöllers in den Verbänden merklich nach, anders als bei seinem Bruder Wilhelm. Dieser wurde 1923 Mitglied der NSDAP und blieb dies bis 1945, trotz seines Engagements in der Bekennenden Kirche und der Inhaftierung seines Bruders. Warum nicht auch Martin diesen Weg eingeschlagen hatte, erklärt Benjamin Ziemann mit den Lebensumständen des mittlerweile 28-jährigen Studenten. Am 2. April 1920 hatte seine Frau Else die erste gemeinsame Tochter Brigitte zur Welt gebracht. Martin Niemöller war eigens zur kurzen Stippvisite aus dem „Felde“ nach Münster zurückgekehrt (Tagebucheintrag: „Brigittchen kennengelernt, niedliches Mädel“). Er hatte nun eine Familie zu ernähren und für deren Unterhalt zu sorgen. Dazu musste das Studium schnell abgeschlossen werden und es blieb wenig Zeit für anderes. Die Prioritäten hatten sich verschoben.

Martin Niemöllers historische Schuld
Zu seiner Einstellung gegenüber der Weimarer Republik befragt, antwortete Niemöller in den 1960er Jahren, dass die Deutschen damals noch nicht reif für eine Demokratie gewesen wären. Seine eigenen republikfeindlichen Aktivitäten erwähnte er nicht. Zwar habe Niemöller sich ab 1932 vom Rasseantisemitismus gelöst, so Ziemann, sei aber auch im Kirchenkampf ambivalent gegenüber Glaubensjuden geblieben.

Ziemann konkludiert hinsichtlich des wohlbekannte Zitats Niemöllers von 1946, dass er wisse „an der Versklavung meines Volkes durch mein Schweigen mitgearbeitet“ zu haben, und der in der frühen Bundesrepublik immer wieder betonten eigenen Schuld: „Die historische Schuld Niemöllers im Hinblick auf den Nationalsozialismus (…) lag nicht im Schweigen, sondern in der aktiven Teilnahme an völkisch-nationaler und rasseantisemitischer Politik.“

Zum Weiterlesen:
Martin Niemöller, Vom U-Boot zur Kanzel, Berlin 1934.
Benjamin Ziemann, Martin Niemöller. Ein Leben in Opposition, München 2019.
ders., Martin Niemöller als völkisch-nationaler Studentenpolitiker in Münster 1919 bis 1923, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 2, April 2019.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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