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Vor allem Umkehren und Lernen: aushalten und beistehen

Wo der regelmäßige direkte Kontakt fehlt, der Austausch zwischen Tür und Angel weggebrochen ist, braucht es neue Wege für die Fragen, die das theologische Gespräch benötigen. Theologie im Alltag ist auf Dialog aus. Manche machen gerade jetzt die Erfahrung, dass in dieser Zeit auch Mails, schriftlicher Austausch nachdenklicher, umfassender, vielleicht auch direkter und offener werden. Miteinander im Gespräch zu bleiben, auch auf anderen Wegen. Das gehört zur Theologie in Zeiten von Corona. In dieser Woche sprechen Pröpstin Christina ­Bammel und Bischof Christian Stäblein über den Ruf zur Umkehr.

Flüchtlinge Corona Bischof Stäblein Pröpstin Bammel


Lieber Bischof, lieber Christian,

die ersten Umstellungen aufgrund der ­Corona-Pandemie bekommen eine gewisse Routine. Gottesdienste aufnehmen, Podcasts für die Gemeindeglieder, Näh-Anleitungen für den Mundschutz weitergeben oder selbst probieren, Abstand halten. Der Stresstest bleibt, weil die Leerstelle bleibt, zu der uns ein mikroskopisch kleines Wesen zwingt. Ich sträube mich noch immer dagegen, biblische Bilder von Pest, Plage und Strafe aufzurufen. Das ist nicht mein Weg des Schriftverstehens. Ich kann nicht dahinter zurückgehen, dass wir enthalten sind in Christus, ein für alle mal. Ich kann nicht dahinter zurückgehen, dass dieser Christus alle Strafe „auf sich genommen hat“. Und siehe, wir leben, auch wenn wir sterben. Wir können dieses Wort nicht im Nachhinein kleinmachen, wenn wir Gott auf die Größe eines Kaufmanns reduzieren, der Leid in Strafe umrechnet und abrechnet. Der Ruf „Lasst euch zur Umkehr bewegen“ ist ein Ruf, der nicht droht und ängstigt!

Liebe Pröpstin, liebe Christina,

ja, auch ich kann Gott nicht als Kaufmann denken. Ich staune aber doch, wie hartnäckig sich dieses Bild von Gott hält. Warum? Weil es ein Weg ist, ein zutiefst menschlicher Weg, mit dem Erleben der Wirklichkeit umzugehen? Weil wir ja alles in den Zusammenhängen Ursache und Wirkung denken und also auch stets die Frage, wie uns die Welt entgegen kommt, eine ist, die ihre Antwort in dem finden soll, was wir getan oder eben nicht getan haben? Die halbe Bibel ist voll vom Ringen des Glaubens um diese Frage: Teilt Gott zu, was wir „verdienen“ oder ist es anders? Die Antwort ist auch für mich so, wie du schreibst: Gottes Handeln ist vorlaufend und umfassend gnädig. Gott schafft immer wieder aus dem Nichts, da, wo alles zu Ende scheint, da ist er – leidet mit, tröstet, stärkt, hält die Klage, weist den Weg. Und, ja, setzt hier, genau hier, auf die Umkehr. Vielleicht ist es das, was so schwer zu denken ist. Umkehren, neue Wege suchen, das ist die Folge der Krise. Aber es ist doch nicht eine Strafe, nicht ein „Siehste“ Gottes, sondern das frohe: Seht, seht her, Leben kann auch so gehen. Meinst du es so? Umkehr, neue Wege, nicht als Reaktion, aber doch als Chance? 

Die Geschichte vom Priester Don Giuseppe Berardelli, der letzte Woche sein Beatmungsgerät einem 14-jährigen Jungen gegeben haben soll und dann selbst starb, ging durch die Medien. Darf man diese Geschichte in einer Predigt erzählen oder suggeriert sie nicht viel zu schnell den Fehlappell, die Älteren sollten jetzt ihre Beatmungsgeräte den Jüngeren geben? Die persönlich entschiedene Selbsthingabe, man könnte auch sagen: Christusnachfolge, kann und wird niemand zur ethischen Forderung erheben, schon gar nicht zu einer ethischen Norm. Ich betone das, weil mir die Rede über die Generationen besonders Angst macht, wenn in scheinbar medizinisch-rationalen oder ethisch-utilitaristisch angehauchten Betrachtungen so getan wird, als ließen sich Leben und Lebenswert am Alter entlang beurteilen. Das ist weder christlich noch entspricht es unserer Vorstellung von der Würde des Menschen. Vermutlich sind wir uns hier einig, oder? 

Was mir einleuchtet, lieber Christian:

In ethischer Hinsicht muss unsere Kirche vorbereitet sein. Soweit man überhaupt vorbereitet sein kann. Die Frage danach, wer möglicherweise in Zeiten des Mangels an Beatmungsgeräten nach welchen Kriterien welche Versorgung erhalten sollte, wird ja in manchen Formen gerade als die ethische Hauptfrage betrachtet. Aber ich glaube, es gibt noch eine Menge mehr ethischer Fragen in dieser Zeit: Wieso rutscht diese absolut humanitäre Dauerkatastrophe vor den Toren Europas so derart aus dem Blick? Wieso schaffen wir es, Corona-Patienten mit bestausgestatteten Flugzeugen von Land zu Land zu fliegen, um Leben zu retten und uns gegenseitig zu helfen, aber die Aufnahme der Kinder aus den Lagern, in denen alle eng auf eng mit einem Mindestmaß an Wasser und Versorgung festsitzen, nicht zu beschleunigen? Diese Katastrophe ist so un­attraktiv, die rückt sich nicht von selbst ins Bild. Wir haben mit Sorge dafür zu tragen, dass auch dorthin unser Engagement, unsere Hilfe gehen.  Es geht nicht um Selbstüberforderung, sondern um die offene Frage, wie wir Humanität auch jenseits der Grenzen Europas durchbuchstabieren.    

Liebe Christina,

… womit wir wieder bei deinem Einstieg wären: Es ist doch ein Ruf zur Umkehr in allem, weil die Augen aufgehen für das, wie wir miteinander leben müssten. Im Namen Gottes! Auch mein Blick geht auf die Fragen, die in diesen Wochen in den Hintergrund zu treten scheinen. Das erste: die Menschen auf der Flucht nicht zu vergessen. Die fundamentalen Migrationsbewegungen sind eine große Herausforderung an uns, das Gut und die Lebensmittel dieser Welt gerechter zu verteilen. Und die Kinder nicht auf griechischen Inseln ihr Leben verlieren lassen, um Gottes willen nicht. Dazu die Frage des Klimas. Vielleicht kann uns hier die Corona-Krise tatsächlich etwas „zeigen“: wie reduziert Leben auch geht, wie wenig es sich dadurch erfüllt, dass wir nur immer mehr und immer schneller rennen, am liebsten überall und überall gleichzeitig sind. Das hat doch alles mit Corona nichts zu tun, sagst du vielleicht und sagst es zurecht. Das ist der Punkt. Wenn es um Umkehr geht und ich eben nicht glaube, dass Gott ein schlechter ­Pädagoge ist, der sagt „denk mal nach, was dir die Krankheit sagen soll“ und ich dann nur antworten wollte: „Sie sagt nichts“, zum Glück nicht –, aber wenn ich das eben nicht glaube: Dann kann es doch nur meinen: das Leben tatsächlich mutig umzustellen. Nicht als Antwort, als Anfang. Nicht von Gott fordernd erzwungen, von ihm eröffnet. Vom ihm, der da ist und nicht geht, wenn das Leben zur Sackgasse geworden ist. Gerade dann geht er nicht. Oder? 

Lieber Christian,  

die Eine Stunde für die Erde, die Earth Hour, zu der am vergangenen Wochenende weltweit für eine Stunde die Lichter ­gelöscht wurden, erinnert daran, wie ein Planet aufatmen könnte, wenn weniger Energie verbraucht würde. Und es ist nicht von ungefähr, dass es ums wieder Atmen-Können, Aufatmen-Können auch in dieser Krisenzeit geht. Diese Zeit ruft uns auf zu einer Solidarität, die so gänzlich umfassender, tiefer greifend und ­offensiver sein muss als alles, was wir in den vergangenen sehr wohlhabenden Jahren ­erlebt haben. Dieser Ruf zur so gut wie – ich nenne das mal - „ent-grenzenden Solidarität“ ist die ethische Kernbotschaft. Zu dieser ent-grenzenden Solidarität gehört auch das Stehen neben den Initiativen und Kräften, die das Wachstum auf Kosten eines sich verschluckenden Planeten nicht mehr mitmachen. Ob das gleich ein fröhliches Umstellen wird? Ich ­wünsche es mir.

Ja, es ist ein Umkehrruf. Und zwar tatsächlich im Sinne der Erfahrungen, die Menschen in den verschiedenen biblischen Zeiten mit Gott gemacht haben. Es ist ein Ruf – Gottes Ruf –, wie wir neu Leben und Zukunft buchstabieren. Umkehr als eine Art Heilungshilfe. Keine bloße Kurskorrektur nur aus eigener Kraft; wir würden uns wahrscheinlich schon wieder überfordern. Sondern eine Kurskorrektur, die mit Gottes Ausblick beginnt. Konsequenzen also aus einer schier ins Atemlose getriebenen Dauer-Überforderung. Die Konsequenz daraus, wie oft und wie viel wir uns nur selbst die Nächsten sind, als Land, als Einzelne, sogar auch als Kirche. Wo waren wir denn wirklich eine Kirche der Umkehr in den vergangenen Jahren? Nicht das mikroskopisch kleine Wesen als solches fordert zur Umkehr, sondern unser eigenes Tun und dessen Folgen. 

Liebe Christina, 

Umkehr, mutig, drängend, dringend. Aber zuerst und vor allem: beistehen, mit aushalten, von dem reden, der mit aushält in allem, im Weinen, im Hoffen, im Sterben, im Leben. Vor allem Umkehren und Lernen kommt das Aushalten und Beistehen. Das ist der Anfang von allem.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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